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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

dem Dienst der menschlichen Friedensarbeit gefügt. Ein solcher Complex großer Eisenhüttenwerke hat etwas Imposantes; die Natur mit Wasser und Dampf hilft den Menschen und treibt ihre Hämmer und Räder. Der Hochofen in Mägdesprung war im Bau begriffen, wir konnten daher diesen unersättlichen Moloch, der oft in dreijährigen „Campagnen“ gefüttert wird, nicht in seiner verschlingenden Thätigkeit bewundern. Weiter in’s Thal hinab liegt der „Puddelofen“, in welchem das Roheisen verkohlt und in Stabeisen verwandelt wird.

Unsern auf Selbstanschauung beruhenden Cursus begannen wir mit dem Eisenhammer, wo das dickköpfige Ungethüm, getrieben von der brausenden Fluth, uns mit einer prasselnden Funkensaat überstreute, während es das Stabeisen zurecht hämmerte für den Handel und zu Stäben ausreckte. Draußen vor den Thüren des Hammers standen ganze „Stabbündel“ fertig für die Versendung. Vor den Hütten des Dorfes selbst lagen in großen Haufen die verschiedenen Eisenerze aufgeschüttet, mit denen die Hochöfen gespeist werden: Eisenglanz, Brauneisenstein, Raseneisenstein, Bohrerze u. a. Es war interessant, die Freigebigkeit zu beobachten, mit der die Natur ihre Metalladern in das verschiedenste Gestein hineinarbeitet. In der Gießerei sahen wir die Sandkasten, in welchen die Metalle gebettet liegen unter dem magern Sande. Ist der Formkasten gestampft voll, so werden Verbindungscanäle für das Metall gemacht, das Modell wird vorsichtig ausgehoben und der Metallguß kann beginnen. Das Metall selbst wird in den Cupolöfen geschmolzen. Alle diese Arbeiter bei den Hochöfen, Puddelöfen, Cupolöfen müssen feuerfest sein, denn sie befinden sich in einer tropischen Temperatur. Der feinere Kunstguß wird in Mägdesprung übrigens auch mit großer Vollendung getrieben. Noch steht in der Modellkammer das prächtige Modell einer Hirschgruppe, die in Eisenguß ausgeführt worden ist. Die Schmiede ist ebenfalls ein großartiges Etablissement, ebenso das „Carlswerk“, wo die vom Wasser- oder Dampfrad getriebenen zahllosen, über unseren Köpfen kreisenden Räder und Räderchen und die verschiedenen Walz- und Schmiedewerke anfangs einen schwindelerregenden Eindruck machen. Das arme Eisen wird gehörig hin- und hergefoltert, muß die Rinnen der gußeisernen Walzen eine nach der andern passiren, oder sich von den erhöhten und vertieften Reifen zweier Walzen grausam schneiden lassen, bis es die gewünschte Form erhält und das Gepräge des menschlichen Willens trägt. Aus all’ diesem Hämmern, Rollen, Schnurren, Schleifen sehnt man sich zuletzt hinaus in die freie Natur, nachdem man das deutsche Volk bei seiner Arbeit aufgesucht. Leider isolirt der Fortschritt der Industrie die Arbeit immer mehr in geisttödtender Weise. Der Einzelne greift selbst nur wie ein mechanisches Rad ein in das Getriebe des Ganzen, indem er sich fortwährend im Kreise dreht, wie des Müllers Gaul. Geht es doch heutigen Tages kaum anders in den Hüttenwerken der Wissenschaft, wo auch der freie Ueberblick über das Ganze mehr und mehr verloren geht, der Eine das Roheisen der Kenntnisse für den Hochofen zusammenträgt, der Andere dialektischen Draht zieht, der Dritte in seine geistigen Sandkasten immer dieselben schematischen Modelle legt und Keiner sich um den Andern und um das Ganze kümmert.

Mitten in diesen Eisenhütten liegt ein bescheidenes Landhaus, welches den Ansprüchen eines stolzen Fabrikherrn kaum genügen würde. In der That ist es auch nicht das Absteigequartier eines in Gold gefaßten Industriellen, sondern nur die Wohnung des Herzogs von Anhalt, der hier mitten unter seinem fleißigen Völkchen die Sommerfrische des Selkethals athmet. Einer seiner Ahnherren, der 1796 verstorbene Fürst Friedrich Albert, hat diese Eisenwerke gegründet, und ihm zu Ehren wurde der über achtundfünfzig Fuß hohe Obelisk aus Gußeisen errichtet, der sich so stattlich, das Thal beherrschend, auf einer Erhöhung neben dem Wege nach Ballenstedt erhebt.

Wir schlagen diesen Weg ein, der uns dicht an den Trümmern der alten Heinrichsburg vorbei führt. Wenn die Geister der alten Ritter bisweilen im Dämmer noch über die Felsenpfade irren, so werden sie erstaunen über den lauten Lärm im Thale, über die ragenden Schlote, die kreisenden Dampfräder, über die Ehrensäule, die einem Friedensfürsten errichtet ist, und wenn sie in der ewigen Langweile ihrer feudalen Unsterblichkeit Auskunft suchen in Wagener’s „Staatslexikon“, auf das ein echter Ritter auch im Jenseits abonnirt ist, so werden sie die moderne Industrie verwünschen und gegen all’ ihre Stätten die Faust ballen. Hier oben im alten Gestein glotzen uns zur Nachtzeit noch die Augen des Uhu entgegen, des romantischen Räubervogels, der bessere Tage gesehen hat; unten im Thal aber ruft aus frischem Laubholz der Kukuk, der Vogel der modernen Industrie, der das Geld in der Tasche zählt.

Herrlich und parkartig ist der Laubwald, durch den wir der Försterei Sternhaus zuschreiten. Die Forsten im Harz sind berühmt wegen trefflicher Pflege; In der That merkt man hier überall die menschliche Hand. Ein großer Theil der Umzäunungen um Wald und Wiesen ist des Wildstandes wegen da und verwandelt alle diese Wälder in große Thiergärten. Einzelne Umhegungen gelten indeß auch den jungen Waldculturen, von denen es verschiedene Arten giebt. Die eigentlichen Kleinkinderbewahranstalten sind die „Saatkämpen“. Hier wiegen die jungen, aus dem Samen schießenden Waldbäumchen die hellgrünen Büschel im Winde und suchen sich nach Kräften von dem dazwischen wuchernden Unkraut zu unterscheiden. Die Elementarschulen sind die „Haine“, wohin die Stämmchen aus den „Kämpen“ verpflanzt werden; hier wachsen sie heran bis zu den Jahren ihrer akademischen Verwilderung, wo sie als „Dickung“ sich behaglich und ungeschoren einer neben den andern hinflegeln, sich in wirrem Durcheinander „touchiren“ und „pauken“ und mit den Thieren des Waldes in traulichstem Verkehr leben.

Hier begegnet man oft lauschigen Rehen, schlanken Hirschen, welche ziemlich stolz und unbekümmert ihres Weges ziehen; aber auch den armen Harzbewohnerinnen, die in Körben auf dem Rücken das dürre Holz tragen, welches der Schein des Försters ihnen verstattet sich anzueignen. Nicht alle Gesichter sind frisch geröthet von Berg- und Waldluft; in vielen prägt sich auch das Elend der Armuth aus.

Hinab von den Waldeshöhen, den Blick auf die blaue Ebene gewendet, geht’s nun nach dem Stubenberg bei Gernrode, einem reizenden Vorhügel des Niederharzes, von wo aus man eine jener Aussichten hat, welche man den großen Panoramen der Gebirgsspitzen vorzuziehen geneigt ist. Hier ist uns Alles traulich näher gerückt, Berg und Wald, Städte und Dörfer heben sich in lebendigem Colorit, in sichern Umrissen von einander ab. Trotz des Strichregens, der uns verhinderte, die beiden goldenschimmernden Knöpfe am Kirchthurm von Gernrode in ihrer sonnenhellen Glorie zu sehen, war das Landschaftsbild von großer Lieblichkeit. Zu unsern Füßen lag das Städtchen, das sich von oben gesehen gewiß am besten ausnimmt, weiterhin Suderode, die bevölkertste Fremdenstation am Unterharz, die fruchtbare Ebene, wo hinter Saatfeldern die Thurmspitzen hervorblickten. Ein Waldthal zur Linken, das sich weithin den Blicken öffnet, erinnerte uns, daß wir uns am Fuße eines gefeierten Waldgebirges befanden. Das Gasthaus auf dem Stubenberge hat einen vornehmen, villaartigen Charakter. Im Gastzimmer occupirte Berlin die besten Plätze; alle Gespräche drehten sich um Landwehr und Cholera. Von unten tönten die rollenden Kugeln der Kegelbahn und die rasch sich wiederholenden Rufe: „Alle neun!“ zu uns herauf. Man merkte, daß es preußische Kugeln waren, denen jüngst so mancher kühne Wurf gelang; doch die conservativen Kegeljungen setzten den gefallenen König mit all’ den Seinen immer wieder auf.

Suderode ist ein Soolbad, ganze Heringstonnen von Berlinern und Magdeburgern werden hier alljährlich eingesalzen; denn die Zeiten sind theuer und Suderode ist billig. Allenfalls kann hier auch ein Supernumerarius existiren; doch die fünfte Rathsclasse überwiegt. Trotz des strömenden Regens war die Straße, wo sich die Haupthotels befinden, übervölkert; Schönheit und Intelligenz wandelten unter den triefenden Regenschirmen einher; auf einem Caroussel aber übte sich das junge Berlin im Ringelstechen und saß so siegesmuthig auf den hölzernen Pferden, als bliesen die Trompeter zu einer Cavalerie-Attake!

Wieder in Thale angekommen, trafen wir Adolph Stahr und Fanny Lewald. Stahr sah leidend aus; es scheint, seine römischen Studien bekommen ihm nicht. Möchte es der geistreiche Kritiker, dessen edle Begeisterung, dessen gründliche Kenntnisse wir hochschätzen, doch aufgeben, die Mohren und die Mohrinnen der Weltgeschichte weiß zu waschen! Ob Fanny Lewald einen neuen Roman schreibt, oder in ihren praktischen Bestrebungen für die künstlerische Bildung der Handwerker und für weibliche Gesindehäuser aufgeht, ist fraglich. Spät Abends saßen wir in Zehnpfund’s Hotel noch mit Titus Ulrich zusammen und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_566.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)