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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Vorwärts, die Plaids um, an den Rand des Kraters, der uns sein Lied entgegenzischt, als ob alle Locomotiven der deutschen Eisenbahnen zugleich ihres Dampfes entledigt würden. Der Schwefeldunst ist fast unleidlich geworden. Wir treten an den Rand. Heiliger Gott, das ist die Hölle, die da unten kocht! Ungefähr eine Viertelstunde im Umkreis ist die Erde, sind die Felsen geborsten und tief umgestürzt in den Abgrund, aus welchem von allen Seiten glühende Dämpfe emportauchen. Die Felsen sind übergossen mit Schwefellagen von allen Farben, vom hellen Citronengelb bis zum dunklen Rothbraun, zerborsten in tausend und abertausend Rissen. Der schwarze Felsengrund ist an vielen Orten gespalten, zerklüftet und zerfetzt und aus hundert Oeffnungen dringt der dicke, weiße Schwefeldampf empor. Ein neuer kleiner Ausbruchskegel, der sich erst seit vier Tagen gebildet hat, kräuselt feinen Rauch in die Luft, während die alte eigentliche felsige Oeffnung des Vulcans von fünf zu fünf Minuten ihr gelblich-weißes Feuer — in der Nacht soll es glühend roth sein — und ihren dichten, schwefeligen Qualm mit gewaltigem Brausen emporstößt, zwischen denen die schwarzen Lavastücke, welche der Schlund auswirft, sich deutlich abzeichnen.

Während wir das grauenvolle Schauspiel betrachteten, frug uns der Führer (meine Begleiter sprachen gut italienisch), ob wir nicht hinabwollten?

„Hinab? Ja, wo denn?“

Man zeigte uns eine fast senkrecht hinablaufende Aschenrinne, zwischen zwei Felsen.

„Da kann man hinabrutschen.“

„Rutschen? Ich danke.“

„Ich thu’s!“ ruft Schwenitz. „Vorwärts!“

Zwei Führer haben ihn „Henkeltopf“ unter den Arm genommen und ehe wir es uns versahen, sind die Drei, wie auf einer zwischen Felsen eingekeilten Schlittschuhbahn oder wie durch eine Theaterversenkung, in den dampfenden Abgrund angelangt. Nach einer kurzen Weile ruft uns Schwenitz zu, wenn wir das Großartigste auf der ganzen Reise sehen wollten, müßten wir auch hinab. Nun denn, in Gottes Namen! Den Führern ist ihr Leben so lieb, wie mir das meine; sie würden es, wäre wirklich Gefahr, nicht für zwei Franken in die Schanze schlagen. Vorwärts also! Zwei feste Bursche nehmen mich unterm Arm, mit langen Bergstöcken in den andern Händen, dirigiren sie an den Felsen entlang die Fahrt und durch die über die Knöchel dringende Asche, die heiß durch die Doppelsohlen meiner Fußbekleidung brennt, geht es mit Blitzesschnelle hinab in den Grund. Die Felsen um uns dampften, ein glühend heißer, erstickender Dampf dringt uns aus dem gespaltenen Boden entgegen, der mit ungeheuren Lavatrümmern bedeckt ist. Meine Führer reißen mich, fest mich an den Armen haltend, vorwärts über die Klüfte hinweg, vorwärts, wie vom bösen Feind gejagt! Der Boden brennt, im strengsten Sinne des Wortes, unter unsern Füßen. Ich will mir mit dem Taschentuch den hervorbrechenden Schweiß abtrocknen, und eine Secunde verpusten. „Avanti, avanti! Nix stehen bleiben,“ rufen die Führer, und schleppen mich in weiten Sprüngen über die geborstenen, dampfenden Erdrisse weg, bis wir, jenseits des Windes, hinter dem eigentlichen Eruptionskegel anlangen, wo wir erschöpft und keuchend stehen bleiben. Da plötzlich öffnet der Ausbruchshügel sein Ventil, zuerst dringt unter Brausen und Zischen ein dicker, dunkler Qualm empor, zwischen dem schwarze Schlacken fliegen, dann kommt eine helle, gelbe Lohe, der Boden bebt unter unsern Füßen, der Felskegel des Ausbruchs wankt wie ein niederstürzendes Kartenhaus, die Führer drücken schnell bereit gehaltene kupferne Münzen in die geschmolzenen, eben ausgeworfenen Schlacken, wo sie sich tief eindrücken, das Gepräge schmilzt sofort hinweg; wir taumeln wie betrunken, ein kalter Schweiß des Entsetzens tritt uns bei diesem furchtbaren Schauspiel auf die Stirn. Fort von dem Schauplatz des Grauens! Wieder werden wir emporgezogen, diesmal nicht über die Aschenrinne, sondern über die übereinandergethürmten Lavastücke, zwischen denen fortwährend aus hundert und hundert Oeffnungen der heiße Dampf emporquillt.

Wir sind oben und athmen frei auf, Gott dankend, daß er uns den interessanten Blick in die geheimnißvolle Werkstätte der Natur thun ließ! Abwärts über die Aschenfelder führt der Weg über den Aschenhügel, der aufwärts über eine Stunde währte, als Rutschpartie nur eine starke Viertelstunde; dann nach zwei Stunden beschwerlichen Ritts zurück nach Resina, belohnt durch die stets vor uns liegende entzückende Aussicht auf drei Meerbusen und deren Umgebung. Noch eine Stunde rasche Eisenbahnfahrt, und ich bin wieder in meinem Zimmer in Neapel. Todmüde, mehr müde, als ich es je war — denn alle Anstrengungen meines ganzen Lebens reichen nicht an diesen einen Tag — fiel ich auf mein Bett, und im wüsten Traume verfolgte mich noch der Anblick des offenen Feuerschlundes und der düstern Abgründe des Vulcans, während die Kniee mir noch zwei Tage lang nur mit größtem Widerstreben dienstbar waren.




Blätter und Blüthen.


Die letzten Lebensstunden von Friederike Bremer. Wenden wir unsere Blicke für einige Minuten von dem blutigen Getümmel der Schlachtfelder und der Kriegsereignisse, die noch immer das Interesse fast ausschließlich in Anspruch nehmen, zu einem Bild des tiefsten Friedens und hören wir, wie eine Freundin der gegen Beginn dieses Jahres verstorbenen schwedischen Schriftstellerin uns deren letzte Stunden schildert.

„In der Christnacht träumte sie, wie sie uns am nächsten Morgen erzählte, sie höre die herrlichste Musik, so himmlisch, wie sie noch nie vernommen habe. Tante Bremer und ich fuhren sehr zeitig zur Kirche, um die Christmetten mit anzuhören; sie sang die Hymnen und das Halleluja mit volltönender Stimme und erfreute sich kindlich an der hellerleuchteten Kirche, aber beim Nachhausegehen wurde sie von heftigem Frost geschüttelt und war ungewöhnlich still. Am zweiten Weihnachtsfeiertage war sie recht unwohl an einem heftigen Husten und Brustschmerzen, aber sie machte nicht viel Aufhebens davon und lachte über unsere Besorgnisse.

Am folgenden Tage schien es ihr besser zu gehen; ich trank Thee bei ihr und sie führte die Unterhaltung mit ihrer gewohnten Lebhaftigkeit, Beredsamkeit und Liebenswürdigkeit. Den nächsten Morgen war sie jedoch viel kränker und mußte sich’s gefallen lassen, daß wir nach einem Arzt schickten, der ihr Unwohlsein für eine Lungenentzündung erklärte und ihr zuredete, sich zu Bett zu legen, wozu sie aber nicht zu bewegen war. Mancherlei Mittel wurden angewendet, doch ohne allen Erfolg; sie schien nicht viel Schmerzen zu leiden, allein ihre Kräfte waren bald erschöpft, so daß alle Hoffnung aufgegeben werden mußte. Sie klagte jedoch nie und unterhielt sich auf das Freundlichste mit ihren Umgebungen, nur schien sie eine gewisse Unruhe zu empfinden, die uns sehr betrübte und die wir mit allen Kräften zu beseitigen strebten.

‚Ihr macht mir’s so bequem, meine lieben Kinder, Ihr glaubt gar nicht, wie glücklich mich Eure liebevolle Sorgfalt macht!‘ sagte sie. Am fünften Morgen führte ich sie mehrmals im Zimmer auf und ab und sie blickte mit friedlicher Heiterkeit durch’s Fenster auf die fröhlich unten spielenden Kindergruppen. Ich werde das sinnende, liebe Antlitz nie vergessen können; so viel Herzensgüte und Verstand sind wohl selten auf einem menschlichen Gesicht ausgeprägt!

Bald darauf begann sie von ihrem Tode zu sprechen und sagte, sie wäre gern noch ein bischen länger am Leben geblieben, um ihr kürzlich begonnenes Werk vollenden zu können. ‚Aber,‘ meinte sie später, ‚ich bin doch so unendlich müde, daß ich zufrieden wäre, wenn Gott mich jetzt riefe.‘ Sie versank wieder in Nachdenken und sprach von Zeit zu Zeit abgerissene Sätze, welche mir ihren Gedankengang verriethen, wie z. B.: ‚Es liegt etwas Großes in der Stimme der Natur. Ich habe einen Begriff von der göttlichen Vollkommenheit, es ist Alles so wunderbar schön!‘

Dann verlangte sie zu Bett, die Schwäche und Schmerzen nahmen bedeutend zu, aber bei alledem blickte sie uns fortwährend freundlich an, nannte uns mit den zärtlichsten Namen und drückte uns die Hände. Um acht Uhr Abends kamen ihre Schwester und deren Mann; sie erkannte sie noch und sagte, auf uns zeigend: ‚Ihr glaubt gar nicht, wie gut und sorgsam hier Alle um mich sind!‘ Es war ein unbeschreiblich feierlicher Augenblick für uns, denn wir fühlten, daß der Tod immer näher kam. Eine Stunde später kannte sie uns nicht mehr, ihr Geist irrte in rastlosem Phantasiren von einem Gegenstand zum andern und nur einzelne abgebrochene Worte wurden uns verständlich.

Dann begann das letzte Ringen zwischen Tod und Leben. Um elf Uhr nahm sie noch etwas Arznei, aber bald vermochte sie nicht mehr, dieselbe hinunterzuschlucken. Gewiß litt sie noch zeitweise, doch das Ende war leicht. Zwei röchelnde Seufzer waren die letzten Laute von Tante Bremer’s theuren Lippen, dann hörte sie auf zu athmen. Der Mond, welcher bis dahin hinter dunklen Wolken verborgen gewesen, kam jetzt zum Vorschein und goß sein Licht auf den Leichnam einer der besten Frauen, welche die Erde getragen, aber in unsern Herzen war es Nacht, tiefe Nacht! Jetzt ist es wieder licht geworden in uns, sonst müßten wir kein Verständniß für die Lehren ihres schönen Lebens besitzen.

Anfangs hatten die Schmerzen des Todes ihren Eindruck auf dem lieben Gesicht hinterlassen, aber dann im Sarge sah es wieder ganz friedvoll aus; sie lag in ihrem eigenen Zimmer, welches Therese und ich mit Blumen und Tannenreisig schmückten. Es lag noch kein Schnee und wir wanden unzählige Kränze von grünen Blättern und weißen Immortellen, die wir auf den schwarzen Sarg legten, an dessen Fußende eine Platte angebracht war mit den eingravirten Worten: ‚Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen!‘“


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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_551.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)