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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

bittet er uns, bis zu deren Entfernung im Kreuzgang des Klosterhofes zu verweilen, der den Friedhof des Hauses umschließt. Prachtvolle weiße Marmorsäulen und Statuen umgeben und stützen dies im edelsten Stil erbaute Viereck, in dessen Mitte die heimgegangenen Brüder ruhen, ohne Abzeichen, ohne Grabhügel. Ein wahrer Gottesfrieden liegt auf diesem Ort; die Rosen an den blendend weißen Balustraden scheinen dunkler zu glühen, als irgendwo, die Nachtigallen süßere Weisen zu schlagen, als im Gewühle der profanen Welt. Während der ferne monotone Gesang der Mönche dumpf und traurig zu uns herübertönt, führt uns der Begleiter durch die mit verschwenderischem Reichthum ausgestattete Kirche auf die drei Balcone des Hauses; von jedem derselben öffnet sich dem entzückten Blicke ein anderes Bild der bezauberndsten Aussichten, für welche keine Schilderung ausreicht. Man kann sich nichts Reizvolleres denken, als das hier vor uns entrollte Panorama der wunderbar am tiefblauen Meere liegenden Riesenstadt, umschlossen von den violetten Bergen, die von den Thälern bis zu den Höhen besäet sind mit Hunderten von Städten und Ortschaften; das spiegelglatte Wasser durchfurchen fort und fort zahllose Fahrzeuge, von der stolzen Kriegsfregatte, dem rauchenden Dampfer bis zur winzigen Nußschale, der auf Fang liegenden Fischerbarke. Der Vesuv, der seine ewigen Dampfwolken pustend gegen den Himmel sendet, überragt von dem stolzen Monte St. Angelo, die Inseln Ischia, Procida, Nisida, Capri, die Städte Sorrent, Portici, Torre del Greco, Resina etc., und über Alles dieses die prachtvolle Kuppel des italienischen Himmels, es ist ein Anblick, den derjenige, der ihn einmal erschaut, nie, nie vergessen wird!

„Sie sind Deutsche?“ frug uns unser würdiger Cicerone, nachdem er uns mit stolzer Freude auf die Schönheit des Platzes aufmerksam gemacht hatte.

„Ja wohl, frommer Bruder,“ antwortete der der italienischen Sprache vollkommen mächtige Freund Riese, „wir sind Preußen.“

„Wird es Krieg geben?“ sprach er mit leiser, scheuer Stimme neugierig weiter; „wer wird anfangen?“

„Wer kann das wissen; wir glauben an den Krieg, der fast unvermeidlich scheint.“

In dem Augenblick streifte ein gieriger Blick des Mönches ein Zeitungsblatt, welches aus der Brusttasche meines Freundes hervorsah; fast unmerklich deutete der Finger des Mönches wie fragend darauf hin.

Riese reichte ihm das Journal hin und frug, ob er es behalten wolle. Mit blitzenden Augen und unverhohlener Freude griff der von der Menschheit Geschiedene nach dem Blatt und verbarg es, leise Dankesworte flüsternd, mit Blitzesschnelle unter den Falten seines Kleides. Die Scene machte auf mich genau den Eindruck, wie die, wenn man in Zucht- und Arbeitshäusern die gierigen Wünsche der Insassen um eine Cigarre oder eine Prise Schnupftabak befriedigt. Für immer getrennt von allen Außendingen, sehnt sich der Arme doch mit heißem Drange nach Nachrichten aus der Welt; er liest in tiefster Heimlichkeit in verborgener Zelle begierig die Berichte „über den Streit der Völker und den Krieg der Könige“, der ihr friedlich Obdach nie berühren wird.

In Resina nahmen wir Nachtquartier. Zeitig des andern Morgens brachen wir auf. Bis an den Aschenkegel des Vesuvs geht es zu Pferde weiter mitten durch den Krater des ausgebrannten Vulcans Somma. Der Ritt dauert ungefähr drei Stunden und ist eine wahrhafte Kunst- oder vielmehr Naturreiterei, denn man muß den klugen Thieren vollständig ihren Willen lassen, da sie an diese halsbrecherisch scheinende Reise gewöhnt und dazu abgerichtet sind. Denkt man, wie es nur möglich sein wird, über einen riesigen Lavablock hinauf, oder über ein stufenartiges, aber bewegliches, abschüssiges Steingerölle hinabzukommen, so hat das geschickte Vieh schon einen Fuß vorsichtig prüfend auf-, den zweiten nachgesetzt, und das unübersteiglich scheinende Hinderniß ist überwunden. Da diese Hindernisse den ganzen Weg entlang ununterbrochen auftauchen, so gewöhnt man sich daran und ergiebt sich in sein Schicksal. Nur ermüdet dieses fortwährende Strammhalten der Beine, das uns im Sattel behaupten soll, so furchtbar, daß man beim Absteigen, wo erst die schwerste Arbeit beginnt, sich kaum auf den Füßen halten kann.

Anfangs geht es zwischen Kastanienpflanzungen und Weinbergen dahin, bis nach und nach die Vegetation aufhört und das Chaos, das Reich der Verwüstung beginnt. Man kommt in die Schlacken- und Lavafelder des gewaltigen Ausbruches vom Jahr 1858. So weit das Auge reicht, ungeheure, unabsehbare Mengen von schwarzbraunem, geschmolzenem Metall, Stein und Schwefel. Diese Verwüstung ist zweitausend Fuß hoch und fast drei deutsche Meilen breit. Thurmhoch theilen sich die erstarrten Massen, riesige Höhlen, ungeheure, absonderliche Gestalten bildend. Keine Blüthe, kein Grashalm, kein lebendes Wesen erfreut den Blick auf diesem kolossalen Bilde der Vernichtung.

Ernst Förster und nach ihm der erst in diesem Jahre neu herausgegebene Lossow behaupten in ihren Reisehandbüchern, daß man den Weg, allerdings mit ungeheuren Kosten, hinauffahren könne, während derselbe, durch den Ausbruch 1858 vollständig verschüttet, kaum zu Pferde oder zu Esel, oder für einen ungewöhnlich geübten Kletterer zu überschreiten ist. Auch den Lacrimä-Christi-Wein oben beim Eremit erwähnen Beide, obgleich alle Weinanlagen durch den Vulcan zerstört wurden. Seit vielen Jahren existirt der echte Lacrimä-Christi nur auf dem Vesuv beim Eremiten, der den nächstbesten Landwein unter diesem Titel verkauft, und in den Schilderungen italienischer Reisen.

Ein und eine halbe Stunde geht es durch dieses trostlose Chaos und die absonderlichen Bildungen des erstarrten Elementes fesseln das Auge. Hier ein Block, der aussieht wie ein ungeheurer Haufen Stricke von unmöglichen Dimensionen, dort versteinerte Riesen, dort aus Kohlenschlacken gehauene Thiergruppen; manchmal wird die Täuschung so groß, daß man meint, Künstlerhände müßten der Natur nachgeholfen haben. Die Führer behaupteten, die Schlacken wären inwendig, vom Jahre 1858 her, noch heiß, und holten, als ich das ungläubig belächelte, einige Lavastücke aus einer Höhle heraus, die kaum in den Händen zu erhalten waren. Bessere Physiker, als ich einer bin, mögen diese mir räthselhafte Erscheinung erklären.

Immer steiler, immer hindernißreicher wird der Weg; da tauchen, wie eine Oase, auf einem verschont gebliebenen Hügel das Haus des Einsiedlers, der übrigens ein prellerischer Hallunke ist,[1] und das palastartige Gebäude des königlichen Observatoriums und der Sternwarte empor. Sollen wir es besehen? Nein, vorwärts, vorwärts, wir haben noch einen weiten mühevollen Weg, der noch lange durch die ausgebrannten Werkstätten des Vulcans an den letzten Aschenkegel führt. „Da hinauf, auf diesen fast senkrecht aufsteigenden Berg sollen wir?“ rufen wir unwillkürlich aus. „Das ist ja unmöglich.“

„Das Wort ‚unmöglich‘ ist aus meinem Lexikon ausgestrichen,“ sagt, gleich Napoleon, unser Führer, Pasquale Spinoza; „es giebt nichts Unmögliches, ich mache diesen Weg jeden Tag einmal.“

Einer meiner Begleiter, Bildhauer Schwenitz, der rüstigste und ausdauerndste Fußgänger, den ich je kennen gelernt, entschloß sich kurz, hinanzusteigen, ich und mein anderer Reisegefährte, der Maler Wedding, ließen uns ziehen. Zwei voransteigende, kräftige Lastträger reichen uns feste Riemen, in die wir greifen, und so geht es über Millionen von Schlacken, von Steingerölle und Lavatrümmer steil aufwärts. Ein schweres, schweres Stück Arbeit!

„Wir wollen etwas ausruhen.“

„Hier nicht, die Steine halten nicht fest; wir würden hinabstürzen,“ befiehlt der Führer.

„Hier! Betrachten Sie dies himmlische Panorama.“

Wir haben keinen Sinn mehr dafür! Schwefeldampf schlägt uns entgegen. Es ist der erste Gruß des Kraters, der sich in voller Arbeit befindet. Wie in Fieberhast eilen wir vorwärts. Jede schlimme Stunde hat nur sechzig Minuten! Zur Höhe! Zur Höhe! Ausgeharrt! Wir haben nur noch fünf Minuten – nur noch zwei – wir sind da, wir sind oben! Alle Müdigkeit ist vergessen, wir wollen an den Rand des Kraters eilen, der vorsichtige Führer ruft uns „Halt!“ zu. Wir sind zu erhitzt, unter zusammengetragenen Lavablöcken finden wir vorerst Schutz vor dem Winde, hier können wir uns stärken, ein Glas Wein genießen, welchen die Führer mitgebracht, eine Orange, ein wenig ausruhen. Ich brachte mit meinen Gefährten das erste Glas auf das Wohl unserer fernen Familien. Alle Drei hatten wir nasse Augen; nie hat einem von uns ein Glas Wein, langsam in langen Zügen geschlürft, so geschmeckt. Der Augenblick war herrlich, unbezahlbar, unvergeßlich!

  1. Auf dem Rückwege forderte uns dieser Biedermann für zwei Flaschen trüben, leichten Weines, den er uns als Lacrimä-Christi anbot, zwanzig Franken ab, gab aber jene bereitwillig für vier Franken, als er sah, das es nicht anders ging.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_550.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)