Seite:Die Gartenlaube (1866) 538.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Richtbeil; das rührt sich allemal und zeigt sich an, wenn’s wieder Arbeit bekommt… Heut’ Nacht ist es von der Wand heruntergefallen. Ihr werdet sehen, Herr Dollinger, das Beil kriegt zu thun, und Gott sei dem gnädig, den es trifft!“

Der Rottmeister konnte nichts erwidern, denn über die Treppe herauf kamen einige Männer und schritten eilfertig und mit leichtem Kopfnicken an den ehrerbietig Grüßenden vorüber. „Wer sind die Herren?“ fragte Dollinger. „Ich sehe wohl, daß sie zum Rath gehören, aber ich hab’ nicht viel mit den steifen Halskrausen zu thun und kenne die Wenigsten von den gestrengen Herren.“

„Das will ich Euch wohl sagen,“ entgegnete der Vogt, den Männern nachblickend. „Der lange Mann in dem Velbelumwurf mit dem rothen Spitzbart und dem feindseligen Geschau, das ist Herr Aunkhover; der untersetzte Herr mit dem freundlichen, runden Gesicht heißt Kitzthaler, ein Kaufherr, der ganz Regensburg kaufen könnte; der mit dem Federbarett aber, dem langen Haar und dem schwarzen Judenbart, das ist Herr Doctor Hans Baier, der Stadtarzt …“

Während des Gesprächs hatten Beide das Vorgemach des Sitzungssaales erreicht und traten in eine Fensternische, um bereit zu sein, sobald sie gerufen würden; im Saale selbst war die Versammlung immer ansehnlicher und zahlreicher geworden. Kein Name von all’ den Geschlechtern und Häusern fehlte, die seit Jahrhunderten in der Stadt Regiment sich getheilt und zu halten gewußt; da war Hans der Trainer, Erhard der Grafenreut, ein Donauer, ein Gleissenthal, Karg, Auer und Nothscherf. Ihrer Würde bewußt und im Gefühl der ernsten Stunde, standen sie in leisem Gespräch beisammen oder schritten hin und wider, die lange, grüne, verhangene Sitzungstafel entlang, an welcher die Sessel mit den hohen, geraden Lehnen bereitgestellt waren. Am andern Ende stand eine Reihe von niedrigeren und unscheinbareren Stühlen; sie waren für die Zünftler und Handwerker bestimmt, welchen heute zum ersten Male ein Sitz in diesen Räumen gewährt werden mußte.

Auf der Tafel vor dem obersten Platze stand eine Sanduhr.

Der Stadtarzt war an den Tisch getreten, hatte das Stundenglas gestürzt und sah nun gedankenvoll dem unhörbar und unaufhaltsam abrieselnden Sande zu.

„So ganz vertieft, Herr Doctor?“ sagte Aunkhover, indem er hinzutrat und die Spitze seines Bartes zwischen den Fingern drehte. „Ihr wollet wohl besondere Wissenschaft herauslesen aus dem Ablaufen der reisenden Uhr?“

„Dünkt Euch das unmöglich?“ entgegnete der Doctor, ohne sich umzuwenden. „Ich meines Theils lese zweierlei Weisheit ganz deutlich in dem rinnenden Sande …“

„Die wäre?“

„Erstlich, daß es nur ein winzig Löchlein ist, durch das der Sand abläuft, und daß er doch abläuft, bis auch kein Körnlein zurückgeblieben ist, und zweitens, daß, wenn das letzte Körnlein abgelaufen ist, man die Uhr umkehrt und sie die Reise von Neuem beginnen läßt …“

„Und die Weisheit, so daraus folget?“ fragte Aunkhover mit lauerndem Blick.

„Findet Ihr sie nicht?“ rief der Doctor. „Die reisende Uhr predigt, wer in der Fülle sitzt, soll sich nicht überheben, sondern eingedenk sein, wie unsichtbar unter ihm ein klein Löchlein sich befindet, durch das sein Sand verrinnt, unmerklich, aber auch unerbittlich, und daß, was unten ist, darum nicht zu verzagen braucht, denn wenn seine Zeit da ist, wird umgestürzt und es kommt wieder obenauf!“

„Ihr spielt auf den Rath und die Gemein’ an,“ rief Aunkhover, „der Rath, die Geschlechter sind für Euch der ablaufende Sand; man weiß ja, daß Ihr in’s Geheim zu den Zünftlern haltet!“

Der Arzt wandte sich rasch und mit forschendem Blick nach ihm. „So Ihr Jemand kennet, der das zu wissen behaupten will,“ sagte er finster, „so saget ihm, er solle sich vor Hans Baier wahren; ich bin nicht gewillt, Andere zu Auslegern meiner Gedanken zu machen! Ich bin nur ein Arzt und sage: wo Fieber ist, da soll man beruhigen, abkühlen, nicht schüren und erhitzen!“

„Ich bin kein Arzt,“ rief Aunkhover, „aber ich weiß eine bessere Cur und eine kürzere. … Zapft ein wenig ab von dem heißen, übermüthigen Blut, und die Fieberträume verschwinden.“

Grollend wandte er sich ab und ließ den Stadtarzt stehen, der wieder zu seiner vorigen Beschäftigung zurückkehrte.

„Indessen war in seinem Geheim-Gemach der Stadtkämmerer in nicht minder eifrig erregtem Gespräch begriffen; sein Widerpart war ein feiner Mann in mittleren Jahren, der das hochblonde Haar in langgescheitelten Locken hinter die Ohren gelegt hatte; ein kümmerliches Bärtchen von gleicher Farbe deckte nur wenig die verschmitzte Oberlippe, dagegen waren die Augenbrauen ungewöhnlich büschig und stark und machten den Blick der grauen Augen noch greller und stechender. Der hochmüthig überlegene Ausdruck des Gesichts stimmte nicht zu dem fast unscheinbaren schwarzen Wamms und Mantel; nicht minder war die ganze äußerlich einfache und fast demüthige Erscheinung im Widerspruche zu der besondern Artigkeit und Ehrerbietung, mit welcher der Stadtkämmerer dem Fremden begegnete und aufrecht neben dem Stuhle stand, in den dieser sich bequem zurückgelehnt hatte.

Derselbe hatte eine Weile in schweigendem Nachsinnen vor sich hingeblickt. „Was Ihr mir erzählt,“ sagte er dann mit einem kurzen Seitenblick, „dünkt mich immerhin besonderer Art. Was ist dieser Dommeister für ein Mensch?“

„Ein wohlbewanderter Baumeister und Steinmeißel seines Zeichens,“ erwiderte Lyskirchner, „ein angesessener, hablicher Mann aus altem Bürgergeschlecht in besten Jahren, aber unbeweibt, kurz angebunden und glaubt, daß seine Kunst der Angel sei, um den die ganze Welt sich dreht …“

„Ein Phantast also, ein Schwärmer, wie sie Alle sind,“ unterbrach der Fremde. „Das bringt die Natur mit sich, so Einer nicht mit solider Wissenschaft und Geschäft sich befaßt, sondern mit all’ den Dingen, so sich Künste benamsen und doch nur Zierwerk sind und eitel Spielerei! Hat der Mann sonst schon mit den Rebellern sich eingelassen?“

„Es hat nie davon verlautet; er ist lang’ in Frankreich gewesen und in Italien und hatte sich wohl erprobt, daß man ihn nach seines Vaters Tod zum Dommeister erkor; seitdem lebt er zurückgezogen und ich vermeine, es sei auch gestern nur der Augenblick gewesen, der ihn in den Strom hineingerissen …“

„Ein Schwärmer, ein Phantast, wie ich gesagt!“ wiederholte der Fremde. „Ich denke, dem Manne wird beizukommen sein, der wird seine schwache Stelle haben, ob er sie nun wie Siegfried im Nacken, oder wie Achilles an der Ferse trägt!“

„Jedenfalls würde ich sehr zur Vorsicht rathen, der Meister ist hochfahrend und von trutzigem Gemüth … Einer von den Gefährlichen!“

„Ach, lehrt mich meine Leute kennen!“ rief der Fremde sich erhebend, mit geringschätzigem Lächeln. „Wen die Wallung eines Augenblicks von der einen Seite auf die andere hinüberführt, den führt eine Wallung auch wieder zurück; es kommt nur darauf an, daß man versteht, die Wallung wieder hervorzubringen und stärker als vorher… Besser freilich wär’ es gewesen,“ fuhr er mit ernsterem Tone fort, „Ihr hättet meine ersten Rathschläge befolgt und kaiserlicher Majestät Kriegsvolk in die Stadt eingelassen; mit hundert Mann hätt’ ich gründlich Frieden gemacht, eh’ Ihr eine Hand umkehrt!“

„Ich habe schon mehrfach Gelegenheit gehabt,“ erwiderte der Stadtkämmerer geschmeidig, aber mit Nachdruck, „zu demonstriren, wie solches nicht zu wagen und zu rathen war. So die Empörung jetzt nur glimmt und glostet, wäre das ein Windstoß gewesen, die offene Flamme anzublasen … die Gemeine ist zu schwierig …“

„Die Gemeine?“ fragte der Fremde, indem er Lyskirchner mit prüfenden Blicken maß. „Die würde mich nicht schrecken und vermeint’ ich, mit den Handwerkern bald an’s Ende zu kommen; aber Ihr, Ihr Rathsherren, Ihr von den alten Geschlechtern seid’s, die kaiserlicher Majestät eigentlich im Wege stehen … Glaubt Ihr, mich bei sehenden Augen blind machen zu können?“ fuhr er noch strenger fort und wies die betheuernde Geberde des Stadtkämmerers gebieterisch zurück. „Es ist, wie ich gesagt! Ihr seid das eigentliche Hinderniß, daß die Stadt noch immer sich dem Gebote kaiserlicher Majestät widersetzt und den verordneten Reichshauptmann nicht annehmen will! Ihr tragt auf beiden Achseln! Ihr seid kaiserlich, so lang’ sich’s darum handelt, das widerspenstige Volk niederzuhalten, das Eurem Uebermuthe nicht mehr gehorchen will! Zu Daumschrauben wollt Ihr den Kaiser gebrauchen, darüber hinaus aber wollt Ihr selbst wieder und allein die Herren sein! Ihr spielt ein heimliches, ein doppeltes Spiel, aber sehet zu, daß Ihr Euch nicht damit verrechnet!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_538.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)