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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Laufe Spitzgeschosse schießt, gestattet nicht nur ein sehr schnelles Feuern, sondern läßt sich auch in jeder Lage bequem laden, abgesehen davon, daß es durch seine große Trefffähigkeit auf weite Entfernungen und Wirkungsfähigkeit alle andern Gewehre übertrifft.

Beim Schießen können außer Schußverletzungen auch noch Verbrennungen höheren oder niederen Grades durch das Pulver vorkommen. Diese Verbrennungen sehen meistens schlechter aus, als sie in Wirklichkeit sind. Sie hinterlassen, wenn sie nicht von großen Quantitäten Pulvers herrühren oder wenn nicht gleichzeitig die Kleider Feuer fingen, bleibende Spuren, indem die in die Haut eingesprengten und niemals vollständig (durch mühsames Herausheben der einzelnen Körner mit einer Nadel) zu entfernenden Pulverkörner der Haut ein tättowirtes Ansehen geben.[1]

Bei Schußverletzungen durch Schrot (Vogeldunst), die man am häufigsten auf der Jagd zu beobachten Gelegenheit hat und die um so zahlreicher sind, je näher man dem Schusse stand (weil die Schrotkörner einer Ladung bei ihrem Austritte aus der Mündung des Gewehrs einen Kegel bilden, dessen Basis mit der Entfernung wächst), sucht man zuvörderst die Schrotkörner dadurch aufzufinden, daß man mit den Fingerspitzen sanft über die verwundete oder schmerzende Hautoberfläche hinstreicht, wobei sich nicht zu tief eingedrungene Körner als kleine harte Erhabenheiten fühlen lassen. Diese werden durch Ausschneiden entfernt, die tiefsitzenden dagegen ihrem Schicksale überlassen. Uebrigens heilen diese Schußverletzungen wie die andern.

Prell- oder Streifschüsse sind nur Quetschungen der Weichtheile, welche durch matte (auch auf dem Boden hinrollende sogen. todte Kanonenkugeln) oder durch sehr schief auffallende Geschosse veranlaßt werden. Die Wirkung dieser Schüsse kann blos auf die Haut beschränkt bleiben, sie kann aber auch alle unter der getroffenen Hautstelle liegenden Theile bis zum Knochen betreffen, welcher letztere zerbrochen und zersplittert werden kann. Bisweilen zeigt sich bei oberflächlicher Besichtigung eines Prellschusses gar nichts und erst bei genauer Untersuchung findet man die Haut an der getroffenen Stelle ein wenig blässer, welk, niedergedrückt, pergamentartig, trotzdem daß eine ganz bedeutende Verletzung in der Tiefe vorhanden sein kann. Häufiger findet sich jedoch die Haut an der getroffenen Stelle roth, blau oder violett und diese Färbung tritt entweder sofort oder bald nach dem Schusse ein; die Umgebung ist geschwollen, bald hart und prall, bald weich, teigig und knisternd. Meist tritt an der verletzten Stelle Eiterung ein und in der Regel heilen diese Wunden langsamer, als die gewöhnlichen Schußverletzungen. – Die sogen. „Luftstreifschüsse“, von denen sogar jetzt noch gefabelt wird, sind Prell- oder Streifschüsse durch grobe Geschosse, die bisweilen nur die Kleider vom Leibe reißen.

Die gewöhnlichen Schußwunden (durch Flinten) stellen sich in sehr großer Mannigfaltigkeit dar, z. B. als rinnenförmige Halbcanäle, als röhrenartige Canäle (von der verschiedensten Länge, Weite und Richtung) mit blos einer Oeffnung, wo dann das Geschoß, oft mit Partikeln von Kleidungsstücken, gewöhnlich am Boden des Blindcanals sitzt; als Canäle mit mehreren Oeffnungen, mit einer Eintritts- und einer oder (in Folge der Theilung des Geschosses) mehreren Austrittsöffnungen. Bisweilen hält es schwer die Eintrittsöffnung genau zu ergründen; gewöhnlich ist sie mehr oder weniger rund und der Größe des Geschosses entsprechend, während die Austrittsöffnung in der Regel eine stark ovale, längliche oder gar spaltartige Form hat. Auch zeigt sich der Rand der Eintrittsöffnung, durch die man ein Stück in das Innere des Schußcanals sehen kann, etwas nach innen gestülpt, mit Blut unterlaufen, bisweilen geschwärzt und wund, was beim Rande der Austrittsöffnung nicht der Fall ist. Die letztere Oeffnung heilt in der Regel viel früher als die Eintrittsöffnung und außerdem bleibt die Narbe dieser stets vertieft, während die der Austrittsöffnung etwas erhaben ist oder im Niveau der übrigen Haut liegt. Der Verlauf und die Richtung des Schußcanals ist oft gar nicht zu bestimmen und manchmal höchst merkwürdig, die wichtigsten Organe umkreisend.

Schußwunden durch grobes Geschütz (Kanonen- und Bombengeschosse, Kartätschen etc.) kommen deshalb bei Lebenden selten vor, weil die genannten Geschosse gewöhnlich den Tod bringen. Bombensplitter, die fast niemals Schußcanäle erzeugen, sind dagegen häufig in Wunden zu finden.

Die Erscheinungen, welche bei Verwundungen zu Tage treten, werden, ebenso wie die Gefährlichkeit derselben, natürlich nach der Art, der Größe, dem Sitze der Wunden u. s. f. sehr verschieden sein müssen, ja sogar die Empfindungen, welche sie dem Verwundeten machen, sind die mannigfaltigsten. So kommt es gar nicht selten vor, daß der kämpfende Soldat in seiner Aufregung eine Verletzung anfangs gar nicht fühlt und erst von seinen Cameraden darauf aufmerksam gemacht wird. Eine einfache Schußverletzung empfinden die Meisten nur als einen wie mit dem Stocke ausgeführten Schlag oder Stoß; wurde ein größerer Empfindungsnerv getroffen, dann ist der Schmerz ein brennender, stechender oder zuckender, der sich blitzähnlich über den ganzen Verbreitungsbezirk des getroffenen Nerven erstreckt. Ein soeben und in stärkerer Weise Verwundeter sieht gewöhnlich leichenfahl und blaß aus (auch wenn er nicht viel Blut verlor), seine Stirn ist mit Schweiß bedeckt, seine Augen sind weit geöffnet und starr, sein Blick in die Ferne gerichtet, der Puls klein und aussetzend, die Haut kalt und zusammengezogen (Gänsehaut). Aus diesem ohnmachtähnlichen Zustande erholt sich der Eine früher, der Andere später, je nachdem ihm Hülfe geschafft wird.

Die Blutung aus der Wunde fällt zunächst auf; sie ist natürlich nach Art, Weite und Menge der verletzten Blutgefäße und nach der Art der Verwundung äußerst verschieden. Ein sehr großer Theil der auf dem Schlachtfelde als todt liegen Bleibenden ist an Verblutung gestorben. Aber auch kürzere oder längere Zeit nach der Verwundung können noch Blutungen und zwar tödtlicher Art zu Stande kommen. Dagegen schlägt die Natur nicht selten Mittel und Wege ein, um Blutungen bei Verletzungen zu verhüten und zu heilen. So werden Pulsadern von Kugeln zur Seite geschoben und nicht verletzt; eine Blutgefäßwunde kann sich verlegen, das zerstörte Gefäß kann sich in sich zurück- und zusammenziehen oder zusammenfallen; es kann sich in demselben ein Pfropf (ein Gerinnsel aus Blutfaserstoff) bilden und das Gefäßrohr verstopfen; es kann das ausgeflossene Blut, indem es fest wird (gerinnt), eine Art Deckel über der Oeffnung der Ader, aus welcher das Blut strömt, bilden und diese Oeffnung verschließen. Die Heilung von Blutungen durch die Natur kann in Etwas unterstützt werden: – abgesehen natürlich von chirurgischer Hülfe (durch Compression und Unterbindung des blutenden Gefäßes) bei Blutungen aus größeren und zugänglichen Adern, – durch Anwendung der Kälte (Ueberschläge von kaltem Wasser, Schnee, Eis), durch große Ruhe und horizontale Lage des ganzen Körpers, besonders aber des blutenden Theiles, durch kühles Verhalten hinsichtlich des Zimmers, des Bettes und der Kleidung, durch milde, reizlose Kost. Die innere Anwendung der Arnica in homöopathischer Form steht mit dem Blutversprechen auf gleicher Stufe; Beides spricht dem Menschenverstande Hohn.

Was geschieht nun von Seiten der Natur an einer Wunde? Die ersten vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden bleibt ihr Aussehen unverändert und so wie zur Zeit unmittelbar nach der Verletzung. Erst nach Verlauf dieser Zeit tritt eine (die sogenannte reactive) Entzündung ein, welcher (zwischen dem fünften und zwölften Tage) eine Eiterung und später die Vernarbung folgt, in dem Falle nämlich, daß nicht, wie bei vereinigten Hiebwundflächen, ein schnelleres Zusammenheilen derselben (per primam intentionem) stattfindet. Der (erste) fünf bis sieben Tage umfassende Zeitraum, vom Momente der Verletzung bis zum Beginne der Eiterung, welche niemals früher als achtundvierzig Stunden und nicht später als neun Tage nach der Verletzung eintritt, ist die schlechteste Zeit für den Verwundeten. Es stellt sich nämlich am zweiten Tage Schmerz in dem verletzten Theile ein, der Puls, die Körperwärme, der Durst, sowie die Erregbarkeit und Empfindlichkeit steigern sich fort und fort, kurz der Verletzte ist vom Wundfieber befallen. – Im darauf folgenden, etwa vom vierten bis vierzehnten Tage, meist bis zum neunten Tage nach der Verletzung

  1. Neuerlich ist ein Schieß- und Spreng-Pulver von Herrn Neumeyer in Taucha bei Leipzig erfunden worden, welches alle sonstigen Eigenschaften eines guten Pulvers besitzt und nicht wie dieses explodirt, also bei der Aufbewahrung und dem Transporte jede Gefahr ausschließt. Gründliche Versuche mit diesem Pulver haben ergeben: daß dasselbe bei Zutritt von Luft verbrennt, aber nicht explodirt, daß es durch Druck oder Stoß nicht zur Entzündung gebracht werden kann, daß es im verschlossenen Raume mit höherer Wirkung als das gewöhnliche Pulver explodirt, daß es weniger Rückstand und auch weniger Pulverrauch, als das gewöhnliche Pulver hinterläßt, daß es billiger als gewöhnliches Pulver ist.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 535. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_535.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)