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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Eingeweihte behaupten, die Gesellschaft heiße eigentlich „der heilige Teich“ und die Mitglieder sollen allerlei befremdliche Namen von mythischer Bedeutung führen, wie Ibis, Ichneumon oder Scarabäus; Emanuel Geibel selbst heißt das Ur-Krokodil. Bei den Versammlungen der Freunde steht eine Pyramide auf dem Tisch, welche zur Aufbewahrung von Schriften dient; nicht minder das kleine Steinbild eines Krokodils auf einem mit Bilderschrift-Zeichen bedeckten niedrigen Sockel. Die Gesellschaft besitzt aber auch ein wirkliches ausgestopftes Krokodil, das Geibel einmal als Weihgeschenk von größerer Reise mitgebracht haben soll, welches indeß seines Umfangs wegen unhandlich zu haben ist und daher nur bei ganz feierlichen Anlässen zum Vorschein kommt.

Unser Maler stellt den Augenblick dar, wie dies Krokodil zum ersten Male in die Gesellschaft gebracht und feierlich von ihr empfangen wird. Seitdem ist es noch bei mancher festlichen Gelegenheit erschienen, wir versetzen uns in Gedanken aber in eine der gewöhnlichen Versammlungen, die früher nur ein paar Abendstunden währten und erst in neuerer Zeit zu längerer Dauer erstreckt worden sind. In einer schmalen Stube an einem noch schmäleren, langen Tische sitzt eine Reihe verschiedener Gestalten, schwach beleuchtet, denn das Gas brennt schlecht und läßt die Züge aller der braungelockten, silberhaarigen und kahlen Häupter nicht recht erkennen. Der vermischte Duft verschiedener Glimmstengel wölkt sich empor und durch den Rauch tönt die Stimme des Vorlesenden, welchen eben die Reihe traf, ein dichterisches Erzeugniß zur Besprechung vorzutragen; wie eine magische Begleitung klappern aus dem anstoßenden Zimmer die Billardbälle darein. Eben hat er geendet und neigt sich auf seine Handschrift herab, als ob er darin blätterte, und einen Augenblick waltet tiefes Schweigen, wie wenn die Geschworenen in den Saal treten, einen wichtigen Wahrspruch zu verkünden. Jetzt erhebt Geibel die sonore Stimme und macht eine Einwendung gegen den Grundgedanken des Gedichts, welcher ihm nicht besonders neu und innerlich wahr erscheint. Das spinnt sich in das Gebiet der Psychologie hinüber, und weder der dichterische Philosoph Carrière, noch der philosophische Dichter Melchior Meyr lassen sich die Gelegenheit entgehen, die Berechtigung des zum Liede gewordenen Gefühls zu untersuchen; das Gespräch will sich in’s Breite verlieren und zu rechter Zeit wendet Paul Heyse den jugendlichen Apollokopf nach dem geängstigten Poeten. Er fragt nicht nach dem Beweise der Berechtigung, er sucht diese nur im Gedichte selbst, in der Art, wie der Gedanke zur Form geworden, und findet hierin den Fehler des Gedichts. „Es ist nicht herausgekommen, wie es empfangen und empfunden ward,“ sagt er mit feinem Lächeln; der witzige Hans Hopfen fällt ihm in’s Wort und meint, es sei eben gar nichts herausgekommen, das sei lediglich gereimte Prosa. Mit noch gröberem Geschütze rückt der Schweizer Leuthold in’s Gefecht; er untersucht die Echtheit der Reime, die grammatische Richtigkeit der Wendungen mit unerbittlicher Sonde und bedauert, daß der „wackere Freund“ diesmal mit einem so gänzlich verfehlten Producte sich blamirt. Herman Lingg neigt das sinnende Haupt in nachdenklichem Schweigen vorwärts, und sein Nachbar und Landsmann Herman Schmid, in Allem dem richtigen Maße nachstrebend, flüstert ihm ein Wort zu, wie allzu scharf schartig mache und man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten solle. Der Vorleser wählt den einzig möglichen Weg: er retirirt; er will das Gesagte auf sich wirken lassen und das darnach umgearbeitete Unglücksgedicht später wiederbringen.

Ein Anderer harrt schon auf das Zeichen zu lesen; ein Gast, ein junger Mann, den ein zu wohlwollender Gönner eingeführt, damit er seine Sporen verdiene. Er liest; Schweigen ist die Antwort auf das kurze Liebesgedicht von der Art, wie sie nach dem Dutzend gemacht werden. Der Leser stutzt, es überläuft ihn kalt, aber er nimmt sich zusammen und liest noch eins, und siehe da, wie bei Klopstock, „die Stille ward stiller“. Jetzt wird dem Unglücklichen siedend heiß, das dritte Liebesgedicht geht vom Stapel, aber nicht mit besserem Erfolg. Dem Vorleser bricht der Angstschweiß aus, er liest noch einmal und siehe da, ein erträgliches Bild nimmt den Alp von allen Gemüthern, denn es macht doch möglich, ohne ästhetische Felonie ein „Recht hübsch“ oder „Erinnert an Heine“ hinzuwerfen. Der Vorleser, der das für Lob nimmt, ist überglücklich, und im entscheidenden Augenblick dröhnt der Glockenschlag der achten Stunde vom Thurme Sanct Peter’s; die Krokodile müssen fort, denn das Local gehört von dieser Stunde an einer Gesellschaft friedlicher Bürgerschützen, deren bunte Scheiben an der Wand hängen und deren ungeduldige Stimmen schon im Hausgange laut werden. Die Sitzung ist für diesmal zu Ende; man scheidet mit freundlichem Gruß und freut sich des Wiedersehens am nächsten Donnerstag, an welchem auch Bodenstedt zu erscheinen versprochen habe und Wilhelm Hertz eines der altfranzösischen Lays von Marie de France vortragen werde, die er so meisterlich zu übertragen versteht.

Doch es ist wohl an der Zeit, zu Pixis und seinem Bilde zurückzukehren und die Gruppen und Köpfe desselben zu deuten.

Die Hauptfigur des Ganzen mit der hohen Stirn ist Emanuel Geibel, ein Lieblingssänger deutscher Nation, dessen Lieder von den ersten süßduftenden Jugendblüthen an bis zu den reifen Früchten der Mannstage in Aller Hand und in Aller Mund sind und dessen Tragödie „Brunhild“ ihn den ersten Dramatikern beigesellt. Er nimmt mit Recht die Mitte ein, denn er ist der Gründer und Träger des Ganzen, er und sein neben ihm stehender Freund Paul Heyse, dessen Novellen mit ihren prickelnden Conflicten in ihrer reizenden Ausführung kleinen Alabaster-Bildwerken gleichen und der mit seinen ebenso dichterischen wie formschönen „Hermen“ und den andern versificirten Erzählungen, wie „die Braut von Cypern“, „Raphael“ etc., in jedem gebildeten Hause einen Ehrenplatz besitzt, gleichzeitig aber mit seinen Dramen, wie „Hans Lange“, „Elisabeth Charlotte“ u. a., auf der deutschen Bühne sich eingebürgert hat. Der Mann seitwärts im Vorgrunde, der behaglich in den Fauteuil gelehnt seine Pfeife schmaucht, ist Friedrich Bodenstedt, der Schöpfer des unsterblichen Mirza Schaffy, und der zweite neben ihm, eine feine, geschmeidige Gestalt, ist Moritz Carrière, der berühmte Aesthetiker und Religionsphilosoph, der als Kritiker und Lehrer eingreifende Wirksamkeit ausübt. Das sind sie, welche den Kern bilden, um den die Krystalle anschießen, die wir weiter mustern wollen.

Da ist vor Allen Hermann Lingg, den Geibel einst in die Literatur eingeführt und der seither sich neben seinem Meister ebenbürtig niedergelassen und sich durch seine wahrhaft eigenthümlichen Dichtungen voll tiefer Gedanken, glühender Farbenpracht und ergreifender Plasticität der Bilder in die ersten Reihen gestellt hat. Gelänge es ihm, das große Gedicht, die „Völkerwanderung“, so zu beenden, wie sie als Torso jetzt vorliegt, so könnte sie mit den größten Epopöen aller Zeiten wetteifern. Neben ihm (unter dem Krokodile) sitzt Melchior Meyr, der Verfasser der berühmten Dorfgeschichten aus dem Ries, mehrerer achtungswerthen Dramen und einiger philosophischer Werke wie „Gott und sein Reich“, worin er den alten metaphysischen Zwiespalt der Welt in geistvoller Weise zu lösen bestrebt ist. Auch seine Romane („Vier Deutsche“, „Ewige Liebe“) gehören dieser philosophirenden Richtung an. Ganz anders geartet ist der behäbige Herr vor dem einzigen Officier im Bilde. Das ist Herman Schmid, der Gartenlaube ein gar lieber Freund, der Dichter der Dorfgeschichten aus dem bairischen Gebirge, die ihn, wie „die Huberbäurin“, „Almenrausch und Edelweiß“, „das Schwalberl“, „das Wichtel“ etc., in kurzer Frist zu einem der beliebtesten und gefeiertesten Autoren gemacht haben. Auch in seinen geschichtlichen Romanen, „der Kanzler von Tyrol“, „Mein Eden“, „Im Morgenroth“, geht er unverkennbar darauf aus, ein Volksschriftsteller in der edelsten Bedeutung des Wortes zu sein und das Volk mit seiner eigenen Begeisterung für Freiheit und Recht zu erfüllen. Seine bisherigen dramatischen Leistungen haben trotz einiger Erfolge, wie „Columbus“, ein durchschlagendes Talent in dieser Richtung nicht bewiesen.

Hinter dem Tische mit der Pyramide sitzt Julius Große, der bekannte Epiker, der in seinen versificirten Erzählungen „das Mädchen von Capri“, „Gundel von Königssee“, in seinen Dramen, zumal in seinem jüngst erschienenen „der letzte Grieche“, Kraft des Gedankens und Fülle der Empfindung mit vollster Formbeherrschung verbindet und auch in der Novelle Tüchtiges geschaffen hat. Der Träger des Krokodils ist der Schwabe Wilhelm Hertz, der Dichter von „Lancelot und Ginevra“ und „Hugdietrich’s Brautfahrt“, sowie einer Sammlung von Gedichten, sämmtlich von reizender Frische und gesunder Ursprünglichkeit, von echt Uhland’schem Geiste durchweht. Der zweite Träger des Krokodils ist Hans Hopfen, der derzeitige Secretär der Schillerstiftung, jetzt in Wien, Verfasser des Romans „Peregretta“, ein Lyriker


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