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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

verläßt … ich habe sein Wort gefordert, er zögert, es zu geben … bewegt ihn dazu, so Ihr es vermögt!“

„Ihr habt Euch zuerst für ihn verbürgt, ohne sein Wort zu haben,“ erwiderte sie, „und jetzt zweifelt Ihr doch an ihm? Nun denn, so nehmt mein Wort statt des seinen, ich will für ihn Bürge sein bei Euch … ich, die Euch Alles dankt, der Ihr mit dem Leben dieses Mannes Alles gerettet habt und wieder gegeben… Wollt Ihr mir glauben?“

Roritzer sah sie fest an und reichte ihr die Hand. „In Euern Augen ist Wahrheit, edle Jungfrau,“ sagte er, „Euch glaub’ ich! Geht, Herr Lyskirchner, diese Bürgschaft nehm’ ich an!“


2.

Der erste Strahl des andern Morgens, der über Dächern und Zinnen der Stadt emporblitzte, fiel in das Gemach des Dommeisters und traf dessen Bewohner schon in voller Geschäftigkeit. Es war ein hohes, freundliches Zimmer, worin er hauste, ein Giebel mit breitem Fenster, vor welchem drüben, jenseits der Stadt, die grünen, anmuthigen Donauhügel die Ebene umrahmend den Bergen des bairischen Waldes zustrebten; mit altersdunklem Holzgetäfel verschalt, sonst aber schmucklos und schier ohne Geräth. Auf einem schwarzbraunen Schranke standen allerlei zierlich geformte Becher und Krüge; an einer Kante des Schnitzwerks hing der Stoßdegen mit Bandelier unter dem darübergestülpten Pelzhute; im Hintergrunde stand auf stattlichen, gewundenen Säulenfüßen ein einfaches Lager, an den Wänden aufgehangen und in den Ecken verstellt waren Bilder, Figuren und allerlei Modelle, in Lehm geformt … Alles wohl bestäubt und durcheinander, und doch war etwas über dem Ganzen, was der Zerstreuung Sinn gab und das Gewirr wie Ordnung aussehen machte.

Roritzer saß an dem einfachen, mit Rollen und Blättern aller Gestalten überdeckten Tische, den Reißstift in der Hand. Die Ereignisse des Abends hatten ihm Kopf und Herz überfüllt; über den hochgehenden Wogen der Gedanken und Gefühle hatte der Schlummer lange vergeblich sich herabzusenken gesucht; als er endlich doch seinen unwiderstehlichen Zauber geübt, genügte der erste Dämmerstreifen im Osten, ihn wieder zu verscheuchen; die aufsteigende Leidenschaft verschmäht die beruhigende Trösterhand, nach welcher die sinkende sich oft so heiß und so vergeblich sehnt.

Der Meister zeichnete auf einem großen Blatte, das sich ansah, wie der Entwurf eines schönen, reich sich ausbauenden Flügelaltars, dessen Abtheilungen statt durch Säulen durch drei Frauengestalten geschieden waren, die sich erst in den einfachsten Umrissen kennzeichneten. Er war ganz in seine Arbeit vertieft, schien aber nichts weniger als zufrieden mit den Linien und Zügen, die unter seiner Hand entstanden, immer wieder verlöschte er dieselben, um sie durch neue, noch feinere und sinnreichere zu ersetzen und nach kurzem Schwanken auch diese dem gleichen Geschick zu überliefern.

Darüber gewahrte er nicht, daß die Thüre aufging und Meister Loy auf der Schwelle stehend sichtbar wurde; er wandte sich erst, als der Alte zu sprechen begann.

„Ei, ei, Wölflein, mein Junge,“ rief er verwundert, „Du bist schon aus den Federn und schon über der Arbeit? War’s doch schier Mitternacht, als wir vom Greiffen aufbrachen und ich den verschnitzelten Poeten, den Doctor Stabius, in seine Herberge geleitete … hat das Menschenkind einen einzigen Humpen getrunken und war nicht mehr Herr über sein Fußwerk, als ein Büblein, so eben anfängt, das Laufen zu lernen; muß seiner Lebtage nichts geschlürft haben, als Froschwein, sonst hätte das Tröpflein ihn nicht so benebeln können. Und das will ein Poet sein! Da lob’ ich mir Deine Natur und die meine! Du hast zwar auch gestern mehr in’s Glas hinein- als herausphantasirt … aber da sitzest Du schon in früher Morgenstunde überm Werk und so ist es recht, mein Junge! Was ist es, was Du zeichnest? Laß einmal sehen …“

„Es ist noch nicht reif zum Beschauen,“ entgegnete Roritzer, indem er die Zeichnung mit einem andern Blatte bedeckte und sich dem Bildschnitzer zuwendete. „Es ist der Schutzengel-Altar, an dem ich arbeite; die beiden Seitenfiguren, den Glauben und die Hoffnung, hab’ ich lange fertig; die dritte, die im Giebel darüber stehen soll, die Liebe will mir immer nicht aus dem Blatt entgegentreten, wie ich sie innen vor mir stehen sehe … da hab’ ich heute wieder ein paar Morgenstunden daran verstümpert …“

„Und vor mir, vor Deinem alten Lehrer, verdeckst Du, was Du zeichnest und entwirfst?“ entgegnete Loy, indem er sich auf dem Bette behaglich niederließ. „Das ist ja etwas Nagelneues; sonst bin ich ja immer der Erste gewesen, der was zu sehen bekam, und wenn Du Zweifel hattest, war ich’s, den Du um Rath gefragt, und heut ist Dein Schutzengel-Altar ‚noch nicht reif zum Beschauen‘ für den alten Loy?“

„Du kommst ja heute aus der Verwunderung gar nicht wieder heraus!“ rief der Dommeister, zu ihm tretend. „Laß mir doch auch ein Theil übrig, der mir ehrlich gebührt, da Du schon um diese Zeit die zweihundert Stufen zu meinem Giebel überwunden hast! Sag’ mir lieber, was Dich schon so früh zu mir führt.“

„Hast Recht, Wölflein,“ erwiderte der Bildschnitzer, „ist mir auch sauer genug geworden, und was mich zu Dir führte, ist wohl jetzt die Hauptsache. Kannst es errathen, unschwer, eh’ ich’s ausspreche; was ich Dir gestern im Greiffen gesagt, muß ich Dir noch einmal wiederholen, im letzten Augenblick, eh’ es zu spät ist! Geh’ heute nicht auf’s Rathhaus, gutes Wölflein, sag’ Dich von der Handwerker-Sippschaft los, an einem Vorwand dazu kann es einem Kopf wie Du nicht fehlen …“

„Haben sie nicht mein Wort?“

„Leider Gottes, ja; Du mußt eben machen, daß sie es Dir zurückgeben! Fahr’ ihnen durch den Sinn, brich die Gelegenheit vom Zaun und fang’ Händel an mit ihnen, daß sie Dir aufsagen: ihre Forderungen und Sprüche, so sie Dir gestern noch geschrieben zugestellt, geben gewiß einen vernünftigen Anlaß dazu …“

„Die Forderungen sind mitunter wohl thöricht gestellt, aber es ist ein gerechter Kern in allen; soll ich eine gerechte Sache aufgeben?“

„Aber so sag’ mir Du selbst, was Du thun willst, was denn geschehen soll!“ ries der Bildschnitzer, indem er aufspringend die Hände zusammenschlug und ängstlich hin und wider rannte. „Du kannst doch unmöglich der Fürsprech und Rädelsführer von dem Aufrührervolk sein … thu’s nicht, Wölflein, ich bitt’, ich beschwöre Dich darum! Ich hab’ mir’s die Nacht über, wie ich allein war, erst so recht überdacht … es geht nicht! Wie’s nun kommen mag, ob die Tumultirer obenauf kommen oder ob sie unterliegen, immerhin wird es Dein Unglück sein! Mir geht’s im Geiste vor, wenn ich Dir auch nicht bestimmt sagen kann, was ich fürchte…“

„Ich sehe die Gefahr wie Du, mein alter Freund,“ erwiderte Roritzer ernst, indem er die Hand des Alten ergriff und schüttelte, „aber ich fürchte sie nicht! Ich habe mich in diese Unternehmung nicht muthwillig gestürzt; in der Vertheidigung meines guten Rechts, im Schutz der mir anvertrauten Domhütte bin ich dazu gedrängt worden, wider Will’ und Verhoffen; drum will und muß ich’s durchführen und kann Dir den Kummer nicht ersparen! Ich sag’ es mit schwerem Herzen, aber es ist nicht anders: zum ersten Male gehen unsere Wege auseinander… Bleibe auf dem Deinigen, bleibe Du unserer heiligen Meisterin, der edlen Kunst, getreu; mich laß den meinen gehen und sei gewiß, wenn nicht Berge zwischen uns gelegt werden, komme ich wieder zurück und hole Dich ein!“

„Auseinander?“ sagte der Bildschnitzer, und seine ehrlichen Augen füllten sich mit Thränen. „Ich sollte Dich verlassen? Wölflein, das ist nicht Dein Ernst … und wenn ich den Weg, den Du gehst, zehn Mal für den unrechten hielt, und wenn ich wüßte, daß er g’radaus in die Hölle führte – Junge, der Weg, den Du gehst, ist auch der meinige! Die Zunftgenossen, die Wachtbrüder, die Scharrhansen sind mir zuwider … zuwider wie im Weine das Wasser, aber wenn Du ihr Anführer bist, dann sind sie meine Genossen, dann will ich auch ein Volksmann werden. … O, Du sollst sehen, ob ich verstehe, mit den Kunden umzuspringen …“

„Loy …“ rief der Dommeister bewegt, „altes, wackeres Herz, Du treuer Vater und redlicher Freund, das wolltest Du? Nun denn, so will ich hinwieder Dir’s nie vergessen, was Du auch sonst von mir verlangen magst, ich will Dir zu Willen ein!“

„Mach’ kein Aufhebens von der Sache, mein Junge,“ rief Loy lachend entgegen, „und sieh Dich vor, daß ich Dich nicht beim Worte nehme! Hab’ allerdings noch ein ander Gesuch und Anliegen an Dich … und wenn ich mir so Deine Stube überblicke,

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