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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

auch daran Mangel litten; dabei mußten sie in Hitze, Kälte und Regen im Freien aushalten, und wenn es auch einmal heißen Kaffee und Branntwein gab, so fehlte es den armen Burschen meist an Geld, um das Labsal kaufen zu können. Uebrigens zeigten die Fuhrleute merkwürdiger Weise eine besondere Zuneigung für die blauen österreichischen Feldmützen; mehrmals habe ich selbst gesehen, wie mit der Kopfbedeckung eines stillen Mannes getauscht ward.

Meine Absicht ging dahin, bei dem Marketender, meinem neuen Freund und Lagerbruder, über Nacht zu bleiben, um wo möglich dem erwarteten Bombardement von Königsgrätz beizuwohnen; als ich indeß in die Amputationsanstalten von Sadowa kam, überzeugte ich mich, daß ich als Begleiter der Verwundeten von Nutzen sein könnte, und stellte mich einem der Stabsärzte zur Verfügung. Derselbe gab mir eine Colonne von ungefähr hundertundfünfzig schwer und leicht Verwundeten mit der Weisung, sie in den Lazarethen von Millowitz und Horzitz unterzubringen, leichter Verwundete einzutauschen und diese so weit als möglich fortzuschaffen. Den zwei begleitenden Husaren wurde mein neuer Posten bekannt gemacht, ich setzte mich auf den ersten Wagen und fuhr ab.

Rechts und links fuhren ununterbrochen Colonnen, wir in der Mitte der Straße. In der Gegend von Klenitz kam mir das Hauptquartier des Königs von Preußen entgegen. Er fuhr in einem eleganten mit vier Rappen bespannten Wagen langsam vorbei und der ganze Zug dauerte wohl eine Viertelstunde, da das Ausweichen natürlich nur langsam von statten ging. Bei der so großen Anzahl der begleitenden Officiere in fast allen europäischen Uniformen, nebst den Adjutanten, den Feldjägern, der Leibwache etc. war es mir nicht möglich, die hervorragenden Personen der gegenwärtigen Situation zu erkennen. Auch der Kronprinz kam zu Wagen vorbei. Ein Adjutant befahl, ich solle aus dem Wege fahren; ich remonstrirte jedoch, daß dies meinen Kranken zu viel Schmerzen verursachen würde, und so wich der Prinz ebenso wie der König langsam aus.

Die Fahrt bis nach dem dreiviertel Meilen entfernten Millowitz wurde mir zu einer sehr peinlichen. Beim geringsten Hinderniß im Wege oder bei schärferem Tempo der Pferde schrie und stöhnte der größte Theil der Verwundeten; die Italiener beteten laut ein Ave Maria nach dem andern. Einmal wurde ich an einen Wagen gerufen; da war einem Italiener das unterhalb des Leibes zerschmetterte Bein über den Wagen heruntergeglitten. Keiner der anderen Verwundeten hatte die Kraft es heraufzulegen; ich schlang die Kette des Frachtwagens darum und gab so dem Beine Festigkeit. Endlich erreichten wir das Dorf Millowitz. Drei bis vier Gebäude waren hier als Lazarethe eingerichtet, doch bestand die ganze Einrichtung darin, daß Zimmer, Hausflur und Böden ausgeräumt und die Dielen nothdürftig mit Stroh belegt waren. Schwer und leicht Verwundete lagen dicht gedrängt darauf, so daß kaum Platz für die neu zutretenden vorhanden war. Ich verlangte nach dem Vorstande, nach einem Arzt oder Krankenwärter – Niemand war da; die Leichtverwundeten versorgten die andern mit Wasser, Brod war nicht aufzutreiben. Da erfuhr ich schließlich, daß einige preußische Officiere in einem Häuschen gegenüber lägen; hier gab es wenigstens einige Feldbetten, sonst aber war auch an Allem Mangel. Ich sprach den Hauptmann v. Kr. und den Major R. von der Artillerie; Letzterer war amputirt und lag nun hier ohne jede Hülfe und Erquickung, Ersterer litt heftig an einem Schuß durch das Bein. Er sagte mir, es sei hier nur ein Assistenzarzt, welcher selbst leidend zurückgeblieben sei, als sich das Dorf plötzlich nach der Schlacht mit mehreren Hundert Verwundeten gefüllt habe. Wohl habe sich der Arzt derselben Tag und Nacht redlich angenommen, müsse sich aber jetzt etwas Ruhe gönnen. Wie gern hätte ich diese beiden Officiere mit in bessere Pflege genommen! Aber auf gewöhnlichen Fracht- und Leiterwagen waren sie nicht transportabel und ich konnte ihnen nur dadurch dienen, daß ich ihnen möglichst schnell ärztliche Hülfe und Lazarethbedürfnisse erbat.

Gern hätte ich überhaupt alle meine Verwundeten weiter transportirt, doch war es leider nicht möglich, da die beiden Husaren mit dem größten Theil der Wagen Befehl zum Fouragiren hatten und, nur um die leeren Wagen zu benutzen, zum Verwundetentransport beordert waren. So brachten wir denn mit Hülfe des jetzt erscheinenden leidenden Arztes die Kranken unter Obdach; die traurige Fracht eines Wagens konnte ich indeß nicht unterbringen und ein requirirtes Gespann, welches vorüberfuhr, hatte eine Bescheinigung zur Rückkehr in die Heimath. Ebensowenig war ich im Stande den böhmischen Knecht zu veranlassen, meinen Wagen fortzuschaffen, und bat daher einen vorübereilenden Officier um Unterstützung, welche auch in so praktischer Art zur Ausführung kam, daß der Mensch mit größter Behendigkeit einspannte und bis zur Ablieferung in Horzitz gefügig blieb.

Mit dem Rest von sechs bis acht Wagen fuhr ich weiter und erreichte Horzitz bei heftigem Regen spät am Abend, hier meine Verwundeten in verschiedenen Lazarethe vertheilend. Nur einem österreichischen Officier mußte sein Quartier in einem Hintergebäude angewiesen werden, da er leider unterwegs ruhig entschlummert war, ohne daß seine beiden Begleiter etwas gemerkt hatten – so krank waren auch diese.

Bei einbrechender Nacht setzten wir mit zwei Wagen unsern Weitertransport fort, rasteten in Gitschin, wo wir Nachts ein Uhr ankamen, einige Stunden im Lazareth und hielten früh neun Uhr vor dem Bahnhofe zu Turnau. Hier hatten sich mehrere Hundert Preußen und Oesterreicher aller Grade und Regimenter angesammelt; der Bahnhof wurde reparirt, um Verwundete unterbringen zu können, doch fehlte es auch hier noch an jeglicher Nahrung und Erfrischung. Erst gegen Mittag erhielt ich einige Commißbrode zur Vertheilung; später kam ein Marketender mit Bier und mancher Verwundete konnte nun gelabt werden. Um zwei Uhr stand ein Zug mit acht Güterwagen fertig, es wurde Stroh eingestreut und an hundert der Schwerstverwundeten eingeladen. Auch hier war kein Arzt oder Krankenwärter zu erübrigen; ich begleitete also den Transport weiter, um die nöthigsten Hülfeleistungen zu thun. Vor der Abfahrt erhielt jeder Wagen von einem Johanniterritter eine Flasche Rothwein. Wie wurde hier dies edle Labsal geschätzt und sorgfältig vertheilt! Der schwer verwundete österreichische Kammerherr theilte das kleine Glas mit dem neben ihm auf knappem Stroh liegenden preußischen Jäger; ein Hauptmann, der bei Magenta und Solferino gekämpft, theilte mit dem sechszehnjährigen Tertianer aus Olmütz, der erst seit vierzehn Tagen als Avantageur bei einem italienischen Regimente eingetreten war! Jeder National- und Rangunterschied pflegt in solchen Fällen aufzuhören; Jeder unterstützt den Andern nach Kräften, wie er es vermag und versteht. Wie wunderherrlich erwächst die Blume der wahren Nächstenliebe aus diesen blutrauchenden Feldern, wo noch vor wenigen Stunden die entfesselten Leidenschaften mit Aufgebot und Erschöpfung aller Kräfte gegen einander gewüthet haben!

In Zittau, Herrnhut, Löbau, überall wurden uns ärztliche Hülfe und Erquickungen jeder Art im vollsten Maße zu Theil. Um Mitternacht waren wir in Görlitz. Auch hier war unser Transport erst der erste oder zweite, welcher von Königsgrätz aus ankam; darum ließen die Einrichtungen auf dem Bahnhofe noch gar viel zu wünschen übrig. Kein Arzt war aufzutreiben und es waren nur zwei Tragbahren für Verwundete zu finden! Meine Blessirten waren mir allmählich förmlich an’s Herz gewachsen; es wurde mir ordentlich schwer, mich hier, wo sie meiner nicht mehr bedurften, von ihnen zu trennen, und mancher herzliche Händedruck und dankbare Blick belohnten mich überreichlich für das Wenige, was ich hatte thun können. –

Ihr Alle aber, die Ihr in diesem großen Kämpfe geblutet habt, möchtet Ihr nicht zu schwer zu leiden haben; möchtet Ihr Alle dereinst geheilt in die Arme der Eurigen zurückkehren! Gebe das Geschick, daß Ihr alsdann auf ein großes, einiges Deutschland unter kräftiger einheitlicher Führung blicken und mit Stolz von Euch sagen könnt: „Wir haben es mit unserem Blute erkauft!“ Der unvergängliche Lorbeer dieses Ruhmes schmücke Euch dereinst noch das Greisenhaupt!



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