Seite:Die Gartenlaube (1866) 508.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Das wird immer besser!“ rief Loy erstaunt. „Du nimmst wohl gar Partei für die Lärmer und Schreier? … Na, wenn ich dem Gesindel über die Köpfe dürfte, … Herrgott, sie sollten spüren, wie ich sie mir zusammenschnitzen wollte!“

„Schweig, alter Prahler!“ lachte der Dommeister. „Du würdest ihnen auch nichts thun, ich kenne Dich, Dein Gemüth ist weich, nur Deine Zunge schneidet! … Der Rath könnte ja Frieden machen mit einem Wort! Warum thut er es nicht? Warum weigert er sich die Stadtrechnung vorzulegen, wie sie fordern? Ich bin gewiß, es ist nichts Unrechtes darinnen zu verbergen .… warum nährt er durch Weigern und Zögern den Argwohn und die Nachrede? Geradheit, Offenheit ist immer das Beste!“

„Es ist nur gut, daß Dich keiner von den Spießgesellen hört,“ entgegnete Loy; „sie sähen Dich als einen von den Ihrigen an und machten Dich wohl gar zu ihrem Anführer und Hauptmann!“

„Du bist ein grauer Thor!“ rief Roritzer lachend. „Du weißt, daß mein Sinn und mein Weg weit ab führen von dem öffentlichen Treiben in Rath und Gemeinde … ich lasse dafür Andere sorgen, die besser berufen sind; mein Leben gehört meiner Kunst! Aber soll ich mir darum Aug und Ohr verstopfen, daß ich nicht höre und sehe, was um mich vorgeht … soll ich mich abschließen und verhärten, daß ich kein Herz mehr habe für meine Vaterstadt, wenn es ihr schlimm geht, für das Volk, wenn man ihm Unrecht thut?“

„Ein Herz für’s Volk?“ fuhr Loy kopfschüttelnd fort. „Vom Herzen spür’ ich nichts, wenn ich an’s Volk denke, aber im Magen liegt es mir, als ob ich ein Gericht Kieselsteine verschluckt hätte! Es geht mir wie Dir, Wölflein, meine Kunst geht mir vor Allem und was mir vorkommt, das schau’ ich mir Alles so an, als ob ich’s nachmachen sollt’ mit Schnitzmesser und Stemmeisen … drum ist mir die blinde rohe Menge zuwider, die nicht Form und Maß hat, nicht Ziel und Grenze … lauter verhunzte Köpfe, verschnitzelte Zerrbilder, die man auf einem Kreuzwegbilde kaum als Kriegsknechte brauchen könnte oder als Schergen. … Aber wir wollen gehen und uns all’ die Weisheit in den Greiffen versparen…“

„Nur noch einen Augenblick zögre,“ entgegnete Roritzer, „weil es doch nicht geheuer in der Stadt, will ich hinüber in die Werkhütten und nachsehen, daß Alles wohl verwahrt sei…“

„Das sind ja höchst bedenkliche Vorgänge und Ereignisse!“ begann Stabius, als Roritzer sich entfernt hatte; „verarget mir nicht, mein lieber Meister Loy … so mir noch immer nicht recht klar werden will, was denn eigentlich die wahre Ursache, der erste Grund ist zu solch’ arger Zerwürfniß?“

„Das wär’ eine lange Geschichte, Herr Doctor,“ antwortete Loy, „davon manch’ ein Liedlein zu singen … ich will’s aber kurz machen! Regensburg, Ihr wißt es wohl, ist zu allen Zeiten eine mächtige und ehrwürdige Stadt gewesen, eine freie Stadt, eine von den vieren, die Niemand unterworfen sind als dem Reich, und so ward sie geachtet von Königen und Kaisern; manch’ prachtvoller Hof ward hier gehalten, mancher Tag und manch’ Geding; das Gewerbe florirte und auf der Donau ging der Handel in alle Welt und im deutschen Hause zu Venedig war kein Gewölb’ angesehener, als das von Regensburg … aber wir haben’s versäumt, uns zu rühren und zu strecken, so lang es noch Zeit war; darüber ist das Stadtgebiet klein geblieben und machtlos, und Baiern hält uns von allen Seiten eingeschlossen, wie ein eiserner Reifen. Drum hat sich Alles an uns gewagt; die Nürnberger haben andre Straßen gebaut, die Fracht an sich gezogen und den Saumzug; das Gewerk in der Stadt ist heruntergekommen, denn wenn der Eine dem Andern den Rock flickt, damit ihm dieser hinwider den Stiefel versohlt, so haben sie alle Beide nichts … darüber wurden Rath und Gemeine wunderbarlicher Weise einig und beschlossen, auf ihre alte Freiheit zu verzichten und sich Albrecht, dem Herzog von Baiern, als ihrem rechten Landesherrn zu unterwerfen…“

„Ich habe davon gehört; der Kaiser wollt’ es nicht zugeben…“

„Das war das Ende vom Liede! Herzog Albrecht hatte um den Bissen, nach dem ihm schon lang der Mund gewässert, mit beiden Händen zugegriffen, hatte gleich angefangen, mannhaft zu regieren, wie er denn allgemein bekannt ist als ein weiser Mann und ein gestrenger Regent, und hatte sich hoch und theuer vermessen, wie er nicht wieder lassen wollt’ von seiner treuen Stadt Regensburg und wollt’ sie beschützen gegen Kaiser und Reich … aber wie Noth an den Mann ging, wie uns der Reichsbann traf und ihm mit dem Reichskrieg gedroht ward, da ließ er sich herum bringen von seinem Schwager Maximilian, der damals noch deutscher König war, von seiner Frau Kunigunde, die er ohne Wissen und Willen des kaiserlichen Vaters heimgeführt und die ihm immer anlag mit Bitten und Schmeicheln, sich mit ihm auszusöhnen; er gab uns auf, wir mußten wieder unter’s Reich zurückkehren und den kaiserlichen Völkern die Thore öffnen. Seitdem ist Regensburg wieder eine freie Stadt, aber damit es dem stätigen Rößlein nicht wieder einfällt, seine Freiheit zu mißbrauchen, hat man ihm einen Kappzaum übergeworfen, ein scharfes Gebiß angelegt: der Kaiser hat der Stadt einen Hauptmann gesetzt, der darüber wachen und das Regiment führen und dafür einen Sold haben soll von vierhundert Goldgulden. Darüber ist nun arges Mißvergnügen, Zorn und Erbitterung überall; dem Rath wäre der Hauptmann wohl recht, weil er heimlich darauf rechnet, er werd’ ihm helfen, die unruhige und störrische Gemeine zu zwingen, aber vom Sold will er nichts hören, weil die verarmte Stadt solche Last nicht erschwingen könne … die Gemeine hinwider, die glaubt, auf den Sold käm’ es nicht an, aber es sei gegen der Stadt alte verbriefte Rechte, einen Hauptmann über sich zu haben; auch sei’s eine Schmach, wenn Regensburg bekennen müsse, daß es nicht im Stande sei, einen solchen Bettel zu bezahlen … Die Stadt sei nicht so arm, und wäre sie’s, so sei’s der Rath, der sie dazu gemacht; dann müsse er auch für den Riß stehen und Rechnung legen und den Stadtsäckel zu besserer Verwaltung in die Hand der Gemeinde liefern … Aber da ist der Dommeister von seinem Rundgange zurück! Nun, Wölflein, ist Alles in Ordnung?“

„Alles ist wohl bewahrt, mindestens von innen,“ erwiderte Roritzer, „aber draußen ist’s noch immer unruhig. Hörst Du, es ist, als ob der Lärmen wieder losginge und stärker als zuvor!“

Der Alte sprang behende an das große zweiflügelige Eingangsthor der Bauhütte und öffnete, um hinaus zu sehen. „Ich will in meinem Leben keinen Schnitzer mehr anrühren, wenn Du nicht Recht hast!“ rief er, „und ich glaube gar, das wilde Gejaid kommt hierher! Eine ganze Rotte wälzt sich in das Gäßlein herein … sie haben Fackeln, ich sehe Lanzen blitzen und die Häuser sehen aus in dem Feuerschein, als ob sie in Flammen stünden… Wie sie johlen, die Kerle! Wie sie brüllen! … Was seh’ ich? Es huscht etwas vor ihnen her … sie hetzen Jemand, der sich vor ihnen flüchtet…“

„Laß sehen!“ rief der Dommeister, indem er Loy vom Eingang drängte und den Thorflügel weit aufriß.

„Was fällt Dir ein,“ eiferte der Bildschnitzer, „daß Du die Thür öffnest? Lege lieber den Riegelbalken vor, sonst …“

Er vollendete nicht, denn athemlos, fast taumelnd vor Erschöpfung kam ein Mann herangestürzt, eine hohe Gestalt in dunklem Gewand mit einem schmalen Silberkranze um das trotzig geschnittene Haupt, am Rücken hing ihm der Fetzen eines Mantels hinab, in der Hand hielt er einen zerbrochenen Raufdegen. „Schützt mich, Leute,“ keuchte er, indem er über die Schwelle taumelte und in der nächsten Ecke auf einen Steinblock zusammenbrach. „Die Meuter verfolgen mich … ich werde Euch reichlich belohnen … ich bin Lyskirchner, der Stadtkammerer…“

„Ihr seid hier nicht unbekannt, Herr,“ erwiderte Roritzer mit Würde, „aber wärt Ihr auch der ärmste und gemeinste Mann, Ihr seid in der Dombau-Hütte; das ist eine Freistatt, die Keiner zu betreten wagt …“

„Sie kommen schon,“ rief Loy unterbrechend, „schließ’ das Thor, Junge: wirst Dich doch nicht bloß stellen vor dem wüthigen Heer!“

„Laß mich,“ erwiderte der Meister, „das Thor würde ernsthafter Gewalt doch nicht widerstehen, ich will’s auf andre Art versuchen!“ Damit trat er in die offne Thür, den leeren Raum mit seiner hohen Gestalt deckend, und erwartete die herantobende Volksmenge.

„Ihr könnt von Glück sagen, Herr Lyskirchner,“ rief Loy, „es stand auf Spitz und Knopf’, daß sie Euch erwischten … aber das Wölflein wird ihnen die Zähne weisen und ich will ihm helfen, so gut ich kann … Macht auch Euern Degen flügg’, Herr Doctor,“ fuhr er, gegen Stabius gewendet, fort, indem er die eigene Klinge in der Scheide lüftete und sich zum Gefechte bereit machte.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_508.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)