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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 33.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Dommeister von Regensburg.
Geschichtliche Erzählung von Herman Schmid.


Ein schöner Aprilabend dunkelte über dem engen Straßenknäuel von Regensburg: nur die Spitzen und Stufengiebel der hohen Häuser waren noch vom röthlichen Nachglanz des Sonnenuntergangs erhellt; über dem Platze aber, wo der Dom gebaut wurde, wölbte sich ein weiter, blauer Lichtraum, in welchen das noch unvollendete Gebäude mit Phialen, Zacken und Thürmchen, mit Mauern, Krahnen und Gerüst dunkel und erhaben emporstieg wie ein künstlich aufgeschichtetes Gebirge.

Am Fuße des gewaltigen Baues, in einer aus starkem Gebälke gefügten Hütte, stand ein Mann an’s offene Fenster gelehnt und sah unverwandten Blicks in den Abendhimmel empor, an dem schon einzelne Sterne aufblitzten; es war nicht zu erkennen, ob er nur die einströmende Abendfrische und Frühlingsluft genießen und sich mit seinen Gedanken im Blauen verlieren wollte, oder ob sein Auge prüfend und forschend an den Umrissen des Gebäudes hing. Jedenfalls war er so tief in Sinnen versunken, daß er die Zimmerer und Steinmetzen nicht gewahrte, welche Feierabend gemacht hatten und nacheinander die Bauhütte verließen. Sie zogen im Vorübergehen ehrerbietig die Mützen und sagten nach Brauch ihren Werkspruch, wie sie nun redlich Schicht gemacht hatten und den Bau in Gottes Schutz verließen; der Mann grüßte nicht hinwider und vergaß sogar, mit dem üblichen Schlußreim zu entgegnen, wie nun statt ihrer Sanct Johannes kommen und getreue Hüttenwacht halten werde. Es war eine kräftige, wohlgebildete Gestalt im ersten Mannesalter, in einen dunkeln Koller gekleidet, über den ein weiter Aermelrock mit Verbrämung von Marderpelz geworfen war; eine ähnlich aufgeschlagene Mütze saß keck über der männlich offenen Stirn und den kühnen, scharfblickenden Augen, langes, dunkles Haar fiel kunstlos auf Nacken und Schultern und nur an den Schläfen waren die Locken schon mit einem leichten Silberanfluge bestreut.

Unweit davon, hinter dem Werktische, stand ein Anderer, in Allem so ziemlich das gerade Widerspiel des Ersteren; ein feines Männchen von hagerer Gestalt in eine warme Pelzschaube gewickelt, wie zum Schutze gegen eine Erkältung durch die Frühlingsluft, welche abendlich frisch durch das Fenster hereinwehte. Das Gesicht war hager und bleich, aber von klugem Ausdruck; gleich den zarten Händen und dem kostbaren Sammetwamms mit dem Mäntelchen darüber, verrieth es, daß der Mann nicht in Werkstatt oder Lager als Kriegsmann oder Bürger gelebt, sondern seine Tage als Gelehrter in der Stube verbracht haben mußte. Auch er schien weder Auge noch Ohr zu haben für das, was um ihn her vorging, und war ganz in das mächtige Pergamentblatt vertieft, das auf dem Tische vor ihm ausgebreitet lag und worauf der Dom gezeichnet war, wie er einmal fertig dastehen sollte.

„Ein wunderbares Gebäude!“ rief er endlich, indem er mit dem Finger leichthin die Linien des Planes beschrieb. „Ist allerdings schwer zu entscheiden, was daran fürtrefflicher, ob die innern Hallen mit den gewaltigen Säulenbündeln und den luftigen Kreuzgewölben, oder die äußere Zier und Pracht und die Keckheit, mit der die Thürme sich über die Kirche wie bis in den Himmel hinein erheben! Solches zu betrachten ist ein wahrhaftig Labsal für ein kunstsinnig Gemüth und möchte unsereins wohl die Glücklichen beneiden, denen es verstattet sein wird, das vollendete Werk zu schauen und sich daran zu ergötzen!“

Der Mann am Fenster schwieg einen Augenblick und sah noch fester nach den Thürmen empor, deren stumpfe Häupter noch um manches Stockwerk von dem Punkte ferne waren, wo das Aufsetzen der ihnen bestimmten durchbrochenen Steinkronen beginnen sollte. „Ein schöner Wunsch, Herr …,“ sagte er dann, „und doch wollt’ ich mir’s genügen lassen, so Jemand es vermöcht’ und könnt’ mir nur die Gewißheit geben, daß der Dom wirklich einmal vollendet dastehen wird!“

„Zweifelt Ihr daran?“ rief nähertretend das Männchen im schwarzen Wamms. „Ist doch das Hauptgebäude bereits vollendet; Schiff und Chor, Abseiten und Giebel sind fertig und schon mit allerlei Schmuck verziert; wird doch schon Amt und Predigt darin gefeiert mit Gesang und Orgel, also daß schier nur noch die Thürme auszubauen übrig scheint.“

„Nur noch die Thürme?“ entgegnete der Mann mit leichtem Spott in Ton und Geberde. „Das bedünket Euch wohl gar ein gering und leicht fügsam Werk? So Ihr das vermeinet, seid Ihr in argem Irrthum, Herr! Daß Schiff und Chor fertig sind, daß sie schon predigen können und Messe lesen … darin steckt eben das Uebel! Sie haben, was sie unerläßlich bedürfen; wär’ es wohl das erste Mal, Herr, daß man sich damit begnügt? daß der Eifer erkaltete für die schöne Zier … daß man für entbehrlich hält, was nicht völlig unumgänglich ist?“

„Ihr seid wohl zu ängstlich!“ rief das feine Männchen und wickelte sich eifrig noch tiefer in seinen Pelz, als wollte es andeuten, wie sehr ihm das Schließen des Fensters erwünscht wäre, durch das es immer kühler hereinstrich. „Wie lange ist es doch, daß mit dem Bau begonnen ward?“

„Seht Ihr dort drüben den mächtigen Steinblock in der Ecke des alten Krenzgangs? Darauf ist zu unterst die Jahrzahl 1275 eingegraben; damals, es war gerade um dieselbe Zeit im Jahr,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 505. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_505.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)