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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Arm, hier noch ein Fuß heraus, aber Niemand kennt die Namen derer, die hier modern. Hätte nicht der Himmel nach dem heißen Schlachttag anhaltende Regengüsse und rauhe Stürme gesendet, die ganze Umgegend würde von den ausströmenden Miasmen verpestet worden sein.

Tage lang irren Väter und Mütter, irren Wittwen und Waisen auf dem zerstampften Todtenfelde umher und suchen das Grab ihrer Söhne, ihrer Gatten, ihrer Väter. Doch fast alle Fragen werden mit einem stummen Kopfschütteln beantwortet. Einem liebenden Herzen aber mag es gelungen sein, die Ruhestätte zu finden, die das theure Leben birgt. Denn auf einem niedrigen Hügel außerhalb der Kirchhofsmauer zu Merxleben liegt ein welker Kranz mit einem Zettel, darauf mit zitternder Hand geschrieben: „Es ist bestimmt in Gottes Rath, daß man vom Liebsten, was man hat, muß scheiden.“ Ist es nicht eine beredtere, rührendere Grabschrift, als der prunkendste Leichenstein? Das umfänglichste Grab, welches die hannover’schen Pioniere aufwarfen, ist auf dem Friedhofe zu Merxleben. Wir wissen es nicht, wie Viele darin ruhen. Unvergeßlich aber wird uns der Abend bleiben, an welchem die Gefallenen hier gebettet wurden.

Der Mond schien so hell und die Militärmusik blies einen so feierlichen Choral und der Geistliche hielt eine so ergreifende Rede, aber in der nahen Kirche, die zu einem Lazareth umgewandelt, jammerten die Verwundeten und rings umher schluchzte das Volk, und auf dem Schlachtfeld, das so friedlich zu Füßen lag, schlich das Raubgesindel umher, das, wie Bienenschwärme, aus allen benachbarten Orten herbeigeströmt war und die Leichen, ja die Verwundeten auf dem Schlachtfelde plünderte. Die hochgewachsenen Raps- und Getreidefelder begünstigten ihre finsteren Thaten, erschwerten aber auch das Auffinden der Leichen und die Rettung der Blessirten. Noch am sechsten Tage nach der Schlacht ward ein Verwundeter in einem Kornfeld gefunden. Er hatte seine Wunden mit feuchtem Gras verbunden und sein Leben mit halbreifen Roggenähren gefristet, während der strömende Regen seine lechzende Zunge erquickte. Man trug ihn behutsam in’s Lazareth. Nachdem man ihm aber einige Tropfen Branntwein eingeflößt hatte, verschied er. Ein Anderer (Hannoveraner) hatte anderthalb Tage in der Unstrut gelegen, doch so, daß der Oberkörper auf dem flachen Ufer ruhte, als man ihn bewußtlos auffand. Schon hatten sich gefräßige Maden in seiner Kopfwunde eingenistet. Da er jedoch noch schwache Lebenszeichen von sich gab, wurde er stundenlang frottirt, bis er zum Bewußtsein erwachte. Und siehe, die norddeutsche Kernnatur erholte sich in wunderbarer Weise. Nach wenigen Tagen rauchte der Genesende seine Cigarre. Wie er aber in die Unstrut gekommen und wie lange er darin gelegen, das wußte er nicht. –

Aus dem Garten des Heynemann’schen Kaffeehauses in Langensalza, das voller Verwundeter liegt, drang plötzlich ein wilder Schrei. Wir eilten dahin. Ein markerschütternder Anblick! Halb emporgerichtet sitzt auf einem Bette, das man in die offene Kegelbahn gestellt hat, der Dragonercorporal Hartmann aus Nordheim. Sein Schädel ist gespalten, so daß die Gehirnmasse ausfließt. Er aber stiert mit den Blicken des Wahnsinns umher, bald lachend, daß es durch die Seele schneidet, bald thierische Töne ausstoßend, bald sentimentale Lieder singend. Und daneben – kniet seine Braut, mit der er sieben Jahre verlobt ist, und hält seine eiskalte Hand und ruft mit herzzerreißender Zärtlichkeit seinen Namen. Da flüstert er: „Anna!“ Aber es ist nur ein Moment des Bewußtseins. Sofort überschattet ihn wieder der Irrsinn. Ein Geistlicher, der zur Seite steht, will die Braut trösten, und ermahnt sie zum Gebete. „Beten?“ zürnt sie, „hab’ ich’s nicht Tag und Nacht gethan, seitdem er fortging? Aber hat denn mein Beten geholfen?“ Der Arme starb. Die Braut nahm seine Leiche mit sich in die Heimath. Tief ergriffen kehrten wir in’s Haus zurück. Aber auch dort erwartete uns eine nicht minder ergreifende Scene.

Ein preußischer Soldat beugte sich über ein Bett, worin ein Hannoveraner mit schon halbgebrochenen Augen schmerzlich röchelte. „Lieber Bruder,“ stammelte er, „hab’s wahrlich nicht gern gethan, aber siehe, Du hast es nicht anders gewollt, und wenn Du sterben mußt, thut’s mir im Herzen weh. Die böse Kugel! Kannst Du mir verzeihen?“ Und der Sterbende drückte ihm leise die Hand. Ein Blutstrom entquoll seinen Lippen. „Grüß’ meine Frau!“ lispelte er und hatte ausgelitten. Beide, bis dahin einander fremd, waren auf dem Schlachtfeld zusammengestoßen. „Camerad, ergieb Dich!“ hatte der Preuße ihm zugerufen. „Wozu uns tödten, da wir deutsche Brüder sind!“ – „Darf’s nicht, Camerad! Alles, was ich habe, sei Dein“ – und damit hielt er ihm seine Geldbörse entgegen – „aber meinem König hab’ ich Treue geschworen, und die muß ich halten.“ Und so haute er auf ihn ein. Der Preuße aber schoß ihn durch die Brust. Im Lazareth, wo sie sich wieder erkannten, waren sie die besten Freunde geworden. Allein die Tage des Hannoveraners waren gezählt. Wir hatten seinen letzten Kampf gesehen und hörten nun die bittern Selbstanklagen seines befreundeten Widersachers, der sich von der Leiche nicht trennen wollte. Endlich richtete er sich in die Höhe und sprach: „Ich bin wieder gesund. Aber wahrlich, wenn sie mich abermals in den Krieg schleppen wollen, so thu’ ich’s nicht, mag daraus werden, was da will. Mein Gewissen hat an einem Brudermord genug zu tragen.“ Und er schlug die Hände vor’s Gesicht und schluchzte.

Horch! Da dröhnte eine dumpfe Salve herüber – noch eine – und die dritte. Schon wieder hatten sie einen Todten auf den Gottesacker getragen und ihm die letzte Ehre erwiesen, gleichviel ob Feind oder Freund. Der Tod hielt in den Lazarethen, trotz der sorglichsten Pflege, eine entsetzlich reiche Ernte. Er trat häufig in der Form eines Starrkrampfes an seine Opfer heran, wenn sie schon einer sichern Genesung entgegensahen.

Die hannoversche Armee war abgezogen, nach einer siegreichen Schlacht als Besiegte. Ihre Rolle war ausgespielt. Am zweiten Morgen nach dem heißen Kampfe war ein hannoverscher Soldat auf die Kanzel der Kirche gestiegen, worin man die preußischen Gefangenen eingepfercht, und hatte gerufen: „Brüder, unsere Könige haben Frieden geschlossen; ihr seid frei!“ Als aber die Capitulationsbedingungen ruchbar wurden, ging ein lautes Murren und eine tiefe Erbitterung durch die Reihen der hannoverschen Truppen. Und da sie nun abmarschirten, ohne klingendes Spiel, ohne Wehr und Waffen, selbst ohne Mäntel und Käppis: es war die ergreifendste Scene des tragischen Kriegszugs. Einzelne Officiere wendeten sich ab, und eine zornige Schamröthe überflog ihr Gesicht; andere knirschten mit den Zähnen, andere konnten sich der Thränen nicht erwehren, und einer soll sogar im Uebermaße des Schmerzes seinem Leben, das die feindlichen Kugeln verschont hatten, mit eigener Hand ein Ende gemacht haben.




Blätter und Blüthen.


Die amerikanischen Dampf-Fähren. Wer zum ersten Male eine amerikanische Dampf-Fähre mit ihren elastischen Docks sieht, dem fällt das Ei des Columbus ein. Hier sind auf eine wunderbar einfache Weise verschiedene mechanische Schwierigkeiten überwunden, auf eine so einfache, daß Jeder denken möchte, eine solche Aufgabe hätte er auch wohl lösen können, bis er bei näherer Ueberlegung findet, daß Genie nicht geringen Grades dazu gehört hat, die Sache zum ersten Male zu unternehmen.

Die mächtigen Ströme Amerikas können entweder gar nicht, oder nur mit ungeheuren Kosten überbrückt werden; selbst an Stellen, wo dem Brückenbau keine übermäßigen natürlichen Hindernisse entgegentreten, verbietet sich derselbe durch eine höchst lebhafte Schifffahrt. Die Aufgabe war also, an Stelle der Brücken überall da, wo der Verkehr quer über den Strom lebhaft ist, das nach einer Brücke nächstbeste Beförderungsmittel herzustellen. Es galt, Dampfboote zu erdenken, welche Schnellsegler wären, mit dem geringsten Zeitverlust beladen und entladen werden und im Verhältniß zur Tonnenzahl die größtmögliche Geräumigkeit bieten könnten; Dampfboote, welche zu jeder Landung und Abfahrt nicht mehr als zwei bis drei Minuten Zeit brauchten, während alle anderen damit oft halbe Stunden verschwenden, ganz ungerechnet den Zeitverlust beim Ein- und Ausladen der Güter, welche also im Lauf einer Stunde vier bis sechs Fahrten quer über einen oft eine Viertelstunde und darüber breiten, reißenden Strom machen und welche auf jeder Fahrt tausend und mehr Personen und zehn oder mehr beladene und bespannte Wagen befördern könnten, also im Laufe eines Tages fünfzig- bis hunderttausend Personen und fünfhundert bis eintausend solche Wagen. Dabei mußten die Frachtkosten sehr gering sein, um den Verkehr auf diese Art allgemein willkommen zu machen, und es müße eine fast vollkommene Sicherheit für Leben und Eigenthum erzielt werden.

Die Aufgabe ist, wie gesagt auf wunderbar einfache Weise gelöst. Das Dampffährboot ist scharf, wie jeder Schnellsegler, gebaut, und zwar vorn und hinten scharf, denn es giebt daran kein Vorn und Hinten, sie segeln gleichgut vor- und rückwärts. Zu diesem Behufe ist an jedem Ende ein Steuer vor dem Buge angebracht, das leicht ausgehoben und in einen Wellenbrecher verwandelt werden kann, auf der Seite, welche gerade

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