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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Ja, es war ein entsetzliches Blutbad jene kleine, aber mörderische Schlacht bei Langensalza, in welcher die hannoversche Armee mit staunenswerther Opferwilligkeit und todesmuthiger Erbitterung, wenn auch erfolglos, gegen die Bravour der Preußen kämpfte.

Einzelne Vorspiele leiteten das blutige Drama ein, und wir erzählen diese zum Theil selbst scherzhaften Einzelheiten, wie wir sie theils selbst erlebt, theils aus dem Munde wahrheitsgetreuer Augenzeugen vernommen haben. – Mehrere gothaische Dörfer wurden hier von den Hannoveranern, dort von den Preußen verbarricadirt. In Remstädt hatte man die Kirche zu einem Castell gemacht. Die Häuser waren mit Schießscharten durchbrochen, die Straßen mit Kanonen gespickt. In Warza, dem nachmaligen Nachtquartier des Generals von Flies, hatte vorher eine Escadron preußischer Dragoner gelegen, welche der Rittmeister v. Wydenbruck führte. Damals waren die Uebergänge über die thüringische Eisenbahn nur schwach besetzt und es wäre den Hannoveranern ein Leichtes gewesen, zwischen Gotha und Eisenach nach dem Thüringer Walde und Baiern durchzubrechen. Um nun die Hannoveraner über die Stärke der preußischen Truppenmacht zu täuschen, nahm Herr von Wydenbruck zu einer originellen Kriegslist seine Zuflucht. Er schickte einzelne Patrouillen in die umliegenden Ortschaften und ließ überall starke preußische Einquartierung ansagen. Auf diese Weise hatte er sechsunddreißigtausend Mann untergebracht, obschon nicht so viele Hunderte in der Nähe waren. Die Schultheißen wurden sogar angewiesen, die Anzahl der zu erwartenden Mannschaften an die Thür zu schreiben. Da nun dieselben Dörfer auch von hannoverschen Patrouillen durchschwärmt wurden, so hörten und sahen diese mit Erstaunen, welche Macht ihnen gegenüberstehe. Schleunigst rapportirten sie diese Kunde in’s Hauptquartier. Und – die Hannoveraner zogen sich vor den Zahlen des Herrn von Wydenbruck nach Langensalza zurück.

Einer dieser Wydenbruck’schen Landwehrdragoner war auf eine feindliche Vedette gestoßen. Als er davon Meldung machte, ward er gefragt, ob er mit derselben handgemein geworden. Er verneinte es. „Und warum nicht?“ „Weil mir,“ entgegnete er treuherzig, „der Hannoveraner zurief: ‚Bruder, schieß nicht! Komm’, wir wollen einmal trinken!‘“ Darauf hätten sie sich die Hände gereicht und mit einander getrunken. Die Soldaten lachten. Der Rittmeister aber rief erzürnt: „Freiwillige vor!“ Sofort meldeten sich ein Wachtmeister, ein Unterofficier und vier Gemeine, die mit den besten Pferden versehen waren und dem Wäldchen zugeschickt wurden, an dem jener Vorposten gestanden. Nach anderthalb Stunden kehrte der Wachtmeister allein zurück. „Und die Andern?“ „Alle gefangen und Einer gestürzt.“ „Warum sind Sie zu weit vorgegangen?“ „Weil ich die Leute nicht halten konnte. Sie wollten die Scharte ihres trinklustigen Cameraden auswetzen.“ – Dieser aber sagte mit unerschütterlicher Seelenruhe: „Na, das hat man davon, wenn man zu hitzig ist.“ –

In Neukirchen, einem Dorfe bei Eisenach, hatten sich hannoversche Husaren, von den ungeheuern Strapazen der letzten Tage und Nächte übermannt, in einen Bauernhof zurückgezogen, um ein Stündchen zu rasten. Sie waren in einen tiefen Schlaf verfallen. Währenddessen näherte sich eine preußische Patrouille. Als sie vor dem Dorfe erfuhr, daß alle Häuser von Hannoveranern besetzt seien, schlich sich der Anführer, seine Cameraden zurücklassend, in jenen Bauernhof, zunächst der Straße, zog zwei hannoversche Pferde, gesattelt und gezäumt, aus dem Stalle und sprengte mit ihnen davon. Kurz darauf ward Alarm geblasen. Die Hannoveraner erwachten. Wie sie sich aber auch die Augen rieben, ihre Pferde waren fort. Dagegen mußte ein preußischer Corporal, der, um auch eine Heldenthat zu verrichten, oder um die Prämie zu verdienen, womit das Einbringen eines feindlichen Pferdes gelohnt wird, drei kostbare Thiere, die er einem hannoverschen Officier, welcher in Tonna am Fieber darniederlag, trotz aller Proteste entführte, auf Befehl des preußischen Commandos zurückbringen und besah statt der Prämie einen Wischer, den ihm Alle gönnten. –

In der Hitze des Gefechts kämpften, sogar Freunde gegen Freunde, von der Aehnlichkeit der beiderseitigen Uniformen getäuscht. In einem Einzelgefecht zwischen preußischen Landwehr-Husaren und hannover’schen Dragonern sprengten zwei Reiter schnurstracks dem preußischen Zugführer zu. Der vordere, ein Preuße von der Ersatz-Husaren-Escadron, schien von dem hinteren, den man für einen rothuniformirten Hannoveraner hielt, verfolgt zu werden. Flugs zückte der Zugführer seinen Säbel und spaltete dem vermeintlichen Feinde die Stirn. Mit dem gellenden Rufe: „Herr Rittmeister, das hab’ ich nicht verdient!“ stürzte der Unglückliche von seinem Schimmel, der, wie sein Reiter, von Blut überströmt war. „Mein Gott, Richter, bist Du es?“ riefen die nahen Cameraden dem Gefallenen zu, der von den Feinden hart zerfetzt und zurückgedrängt worden war. Die blutenden Wunden hatten seine blaue Uniform geröthet und sein Gesicht unkenntlich gemacht. Er konnte nicht mehr antworten und hörte es nicht, als der Rittmeister, tief erschüttert, ihm zurief: „Für Dein Weib und Deine Kinder will ich sorgen.“ Das Gefecht drängte vorwärts. Richter ward in die Todtenliste eingetragen. Nach mehreren Tagen aber fand man ihn in einem Lazareth zu Langensalza, wohin die Hannoveraner den Schwerblessirten gerettet hatten. Wider alles Erwarten lebte er noch und ist jetzt auf dem Wege der Genesung, obgleich er die blutigen Denkzettel an die Langensalzaer Schlacht lebenslang mit sich tragen wird. –

„Ach, wenn alle Kugeln und alle Hiebe getroffen hätten,“ erklärte ein rückkehrender Preuße, „so wäre kein Einziger davongekommen; hüben und drüben,“ und dabei zeigte er sein durchstochenes Lederzeug und seine zerfetzte Montur, acht Kugeln hatten ihn gestreift und keine einzige verletzt. –

Der Trompeter Henne von der Ersatz-Husaren-Escadron stößt auf einen Wagen, der mit zwölf hannover’schen Infanteristen, alle gesund und bewaffnet, wenn auch von der Hitze des Tages erschöpft, besetzt ist. Daneben reitet ein hannover’scher Dragoner. Tollkühn herrscht mit drohendem Carabiner der Preuße den Hannoveranern zu: „Ergebt Euch!“ und geberdet sich, als ob er seine Schwadron, die aber nirgends zu hören und zu sehen ist, zu Hülfe rufe. Die Feinde stutzen. Bevor sie aber zur Besinnung kommen, hat der Trompeter den Dragoner entwaffnet und fordert die friedlichen Bürger, die gaffend in der Nähe stehen, gebieterisch auf, die Hannoveraner zu packen. Der Wagen wird angehalten. Ehe sie sich’s versehen, sind ihnen die Gewehre abgenommen und im Triumph führt der Trompeter seine dreizehn Gefangenen dem Oberst von Fabeck zu, der soeben mit den gothaischen Truppen vorüberzieht. Für diese muthige That ist ihm ein Theil der Summe zuerkannt worden, die ein sächsischer Patriot zur Anerkennung ausgezeichneter Dienste den Preußen zur Verfügung gestellt hat. –

Die Schlacht hat ausgetobt. Der Abend dämmert. Da reitet Georg, „der Streitbare“, mit dem Kronprinzen über die blutige Wahlstatt, die seine tapfern Truppen behauptet. Er sieht sie nicht, die Gräuel der Verwüstung; sein Roß wird sorgsam um die Leichen herumgeführt, die mit stieren Augen und klaffenden Wunden die Felder bedecken. Aber er hört das Aechzen und Stöhnen der Verwundeten, der Sterbenden; er hört die haarsträubenden Berichte seines Sohnes und seiner Umgebung, und seine lichtlosen Augen füllen sich mit Thränen. „Ja, Majestät,“ sagte ein bärtiger Sergeant, der beigerufen wurde, diese Berichte zu ergänzen, „die Hannoveraner haben ihre Schuldigkeit gethan, aber die Unstrut ist von unserm Blut geröthet und viele, viele brave Cameraden stehen nicht wieder auf.“ Da wendete sich der König schweigend ab und befahl, in die wiederbesetzte Stadt zu reiten.

Hier schallten ihm die Siegesfanfaren seiner Regimentmusik entgegen, die mit klingendem Spiel durch die Straßen zog, allein bei jeder weißen Fahne pausirte, um den Kranken, die hinter dieser Fahne ächzten, nicht wehe zu thun. Nun mochte sein Welfenstolz wieder erwachen, denn er gedachte, am andern Tage den Kampf zu erneuern. Der Kronprinz soll vor ihm niedergefallen sein und ihn beschworen haben, von diesem verzweifelten Vorhaben abzustehen. Auch mehrere der Stabsofficiere sollen ihre Bitten und Vorstellungen mit denen des Kronprinzen vereinigt haben; leider aber war der König nicht zu überzeugen.

Draußen aber, auf dem Schlachtfeld, wo der Tod in den Reihen der Feinde und der Freunde eine so grausige Ernte gehalten, – nein, wir wollen diese Jammerscenen mit einem dichten Schleier bedecken. O, der Krieg, auch der siegreichste, ist eine schreiende Satire auf unsere vielgerühmte Civilisation, ist ein entsetzliches Ungeheuer, das, wenn einmal entfesselt, mit vampyrartiger Gier das Mark der Volkswohlfahrt aussaugt!

Schon wühlen geschäftige Hände flache Gruben aus, in welche Freunde und Feinde, kaum erkaltet und vielleicht noch athmend, truppweise nebeneinander gebettet werden. Dort ragt noch ein

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