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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Stämme so erbittert, daß die Neger gegen alle Fremden feindlich gesinnt sind. Eine Reise zu den Nilquellen gleicht daher einem Marsch durch ein Feindesland. In Gondokoro sah Baker Dinge, welche den Haß der Neger nur zu sehr rechtfertigen. Diese ehemalige Station der Glaubensboten ist jetzt ein Sammelpunkt der Sclavenjäger. Die umwohnenden Bari-Neger haben durch diese Nachbarschaft unendlich zu leiden gehabt und rächen sich mit vergifteten Pfeilen an ihren grausamen Feinden. Es wäre ein Leichtes, sie noch heute durch Humanität zu gewinnen, denn sie treiben gern Handel, aber man zieht es vor, sie durch Schrecken zu unterwerfen. So oft die Sclavenhändler einen Bari fangen, binden sie ihm Hände und Füße und tragen ihn auf eine Klippe oberhalb der Ruinen des alten Missionshauses, die etwa dreißig Fuß über das Wasser hervorragt. Unten wirbelt der weiße Nil in einer tiefen Bucht und dahinein stürzt man die armen Schwarzen, damit sie den Krokodilen zum Fraß dienen. Strick und Kugel sind ihnen nicht so schrecklich, wie diese Todesart, und eben darum wendet man sie an.

„Gondokoro ist eine vollständige Hölle,“ sagt Baker. „Die ägyptischen Behörden ignoriren das gänzlich, obgleich Jedermann weiß, daß hier eine Colonie von Kehlabschneidern ist. Wie leicht könnte man von Khartum einige Officiere mit einem paar hundert Mann schicken und dem ganzen Sclavenhandel ein Ende machen. Die Händler aber bestechen die Behörden, und so bleibt Gondokoro ein Asyl für die größten Niederträchtigkeiten. Die Lager wimmeln von Sclaven und die Baris sagten mir später, daß im Innern große Depots von Sclaven seien. Mein Erscheinen in Gondokoro wurde als ein unverschämtes Eindringen in das Heiligthum des Menschenraubes betrachtet. Ich fand etwa sechshundert Leute von Sclavenhändlern, die sich die Zeit mit Trinken, Zank und Mißhandlungen der Schwarzen vertrieben. Die Meisten waren fortwährend betrunken und kannten in diesem Zustande kein größeres Vergnügen, als ihre Flinten in allen möglichen Richtungen abzufeuern. Vom Morgen bis zur Nacht krachten immerfort Schüsse und pfiffen Kugeln, die mir oft dicht beim Kopfe vorbeigingen oder den Staub zu meinen Füßen aufwirbelten. Ich hatte immer zu befürchten, daß mich eine Kugel zufällig träfe und den Sclavenhändlern die Wohlthat erweise, sie von einem ‚Spion‘ zu befreien. Eines Tages saß ein Knabe auf dem Decke eines Schiffes, als ihn plötzlich eine Kugel in den Kopf traf und augenblicklich tödtete. Niemand hatte es gethan.“

Baker wurde in dieser Hölle fast zwei Monate aufgehalten. Alle seine sorgfältigen Vorbereitungen schienen unnütz werden zu sollen. Die Sclavenhändler verführten seine Leute zur Meuterei. Nach wenigen Tagen schon zeigten sich unzweideutige Zeichen einer allgemeinen Unzufriedenheit. Eines Abends traten die Rädelsführer vor Baker, klagten, daß sie zu wenig Fleisch erhielten, und forderten von ihm die Erlaubniß, einen Raubzug gegen einen der nächsten Stämme ausführen zu dürfen. Das war der Anfang einer Reihe von Auftritten, bei denen sein Leben mehrmals in die größte Gefahr kam. Selbst vor einem Morde schreckten die Sclavenhändler nicht zurück, wenn sie ihr Ziel, eine Forschungsreise in ihre Gebiete der Menschenjagd zu verhindern, nicht anders erreichen konnten. Einmal rettete ihn seine muthige Frau, die alle Mühen und Gefahren der Reise mit ihm getheilt hat, mehrere andere Complote vereitelte er selbst mit kalter Besonnenheit. Seine Begeisterung für sein großes Ziel hielt ihn unter wahrhaft verzweifelten Umständen aufrecht. Er entkam endlich aus der Hölle von Gondokoro und entdeckte das zweite der großen Wasserbecken, von denen der Nil gespeist wird. So machte auch er die Erfahrung, daß der Sclavenhandel die schlimmste der Schranken aufrichtet, die der Nilreisende zu durchbrechen hat.




Eine sympathetische Cur.
Von einem preußischen Beamten.


Am letzten Tage des vorigen Jahres erhielt ich gleichzeitig zwei Haftbefehle. Der eine war für den Todtengräber des Orts, der andere für ein Fräulein v. K. ausgestellt. Beide standen miteinander in Verbindung. Ich konnte darüber keinen Augenblick in Zweifel sein, denn dem erstgedachten Befehle war die Weisung beigefügt, den Todtengräber H. so zu placiren, daß ihm jede Communication mit Fräulein v. K. unmöglich gemacht werde. Wie aber mochte diese Gemeinschaft entstanden sein?

Der Todtengräber H. war ein Mensch, der im Orte von Jedermann gemieden wurde, nicht allein weil er Todtengräber, sondern auch weil er ein Trunkenbold war und durch Faulheit und liederliches Wesen heruntergekommen und verarmt sein sollte. Fräulein v. K. dagegen genoß allseitig die höchste Achtung. Man hielt sie für eine freundliche, liebenswürdige, mildthätige und auch für eine fromme Dame. Ich hatte vielfach gehört, daß sie die Wohnungen der Armen, Schwachen und Kranken aufsuchen und hier durch Wort und That Trost und Hülfe bringen sollte. Man sagte ihr auch nach, daß sie keine Predigt versäume, daß sie Mitglied des Missions- und anderer frommen Vereine sei, und daß sie sogar in ihrem Hause mit gleichgesinnten Freunden und Freundinnen regelmäßige Betstunden halte. Hinzufügen muß ich noch, daß Fräulein v. K. nicht mehr jung ist, daß sie einige vierzig Jahre alt sein mag und einen eigenen Hausstand hielt, da sie weder im Orte noch sonst wo Verwandte haben sollte.

Die Verschiedenheit in der Lebensstellung dieser beiden Personen war zu groß, um die Ursachen, welche die Genossenschaft erzeugt haben mußten, mit Leichtigkeit aufzufinden. Die Persönlichkeiten der beiden Gefangenen waren mir zwar bekannt, ich war jedoch noch mit keiner in nähere Berührung gekommen. Mein Amt fesselte mich an das Haus. Und wenn ich ja eine freie Stunde erübrigen konnte, so benutzte ich diese, um mich im Kreise meiner Familie und mit dieser in einem Spaziergange durch Feld und Wald zu erholen. Namentlich war ich den Kreisen fern geblieben, in welchen sich Fräulein von K. bewegte. Ich hatte niemals ein Bedürfniß gefühlt, die Kirche außerhalb des Gefangenen-Hauses zu besuchen, oder an anderen religiösen Erbauungsstunden Theil zu nehmen; mir genügte der Gottesdienst in der Gemeinschaft der Gefangenen. Nach dem Verkehr mit sogenannten frommen Leuten hatte ich noch keine Sehnsucht gehabt, vielleicht deshalb nicht, weil ich in einer Reihe von Jahren schon mehrfach Gelegenheit gehabt hatte, den inneren Werth derselben kennen zu lernen. Die Erfahrungen, die in meiner Stellung gesammelt werden können und die ich gesammelt habe, führen zum Mißtrauen und zur Vorsicht. Im Gefängnisse hat der Schein und die Heuchelei ein Ende, wenigstens bietet das Frommthun dort keinen Deckmantel mehr für eigennützige Bestrebungen. Ich war genöthigt gewesen, Leute einzuschließen, die keine Predigt versäumt, die Augen stets nach oben gerichtet, und nur mit dem Gebetbüchlein in der Tasche Besuche gemacht, sich aber trotzdem nicht gescheut hatten, Unrecht zu thun, nicht nur die Gebote Gottes, sondern auch die Gesetze der Menschen zu übertreten und, des eigenen Vortheils wegen oder um eine vermeintliche Kränkung zu rächen, ihren Nächsten zu benachtheiligen und ihm wehe zu thun. Der allgemeine Ruf konnte mich daher niemals bestechen, ich suchte mich jederzeit selbst zu überzeugen, ob mein Gefangener zu der Classe der Heuchler und Scheinheiligen gehörte, oder nicht. In diesem Falle aber konnte ich eine gewisse Neugierde nicht unterdrücken. Zwischen beiden Gefangenen bestand eine Kluft, die nur ganz besondere und ganz außerordentliche Beweggründe ausgefüllt haben konnten.

Der Todtengräber H. erschien zuerst, und zwar in einem Zustande, der ihn mehr als halb besinnungslos machte. Seine Verhaftung war in einem öffentlichen Locale, in welchem er den größten Theil des Tages zu verkehren pflegte, erfolgt. Er zeigte sich auffallend gesprächig, aber confus und unverständlich. Das Raisonnement beschäftigte sich abwechselnd mit Einzelnheiten aus seinen früheren glücklichen Verhältnissen und dann wieder mit Vorwürfen, die er seiner verstorbenen Frau und einem „vornehmen Manne“ machte. Den Namen dieses Mannes nannte er nicht. Das Ganze waren indeß nur Bruchstücke, abgerissene Sätze ohne Verbindung und ohne Zusammenhang. Ich hörte lange Zeit mit großer Geduld zu, weil ich hoffte, irgendwelche Aufschlüsse zu erhalten, ich vermochte jedoch zu keinem Verständnisse zu kommen. Der Mann war jedenfalls geistig krank, vielleicht ohne eigene Verschuldung.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 496. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_496.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)