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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Ja, ganz recht, dort liegt er, den Degen noch fest in die linke Faust gepreßt und die Brust dem Feinde zugewendet. Verdammt die tückische Kugel, die seinem Heldenleben ein Ende gemacht hat! Einen braveren Officier als unsern Hauptmann besitzt die ganze preußische Armee nicht mehr.“

„Der müßte lügen wie ein Schelm, wer es anders sagen wollte,“ stimmte einer der andern beiden Jäger ein. „Aber seht doch! Da, keine zehn Schritt entfernt, lehnt an der Mauer der Capelle auch der österreichische Hauptmann oder Major, welcher uns bei dem Sturm des Berges so viel zu schaffen gemacht hat.“

„Er ist ebenfalls schon kalt und steif,“ bemerkte der dritte Jäger, von einer Untersuchung des Leichnams emporblickend. „Aber was bedeutet denn das? Statt des Degens hält dieser Todte hier einen Bleistift in der Hand. Und seht doch hier an der Wand! Mit zitternder Hand hat der Sterbende seinen letzten Willen an dieselbe geschrieben.“

„Lies doch, lies: ‚Major Heide. Hier will ich ruhen.‘“

„Cameraden,“ hatte sich der erste Jäger an die andern beiden gewendet, „weiß Gott, auch dieser österreichische Officier war ein tapferer Mann. Sein letzter Wunsch soll ihm erfüllt werden. Wißt Ihr, die Beiden, unser Hauptmann und er, sollen gleich hier auf dieser Stelle unmittelbar an der Mauer der Capelle in Einem Grabe ruhen. Seid Ihr einverstanden? Nun, dann faßt an, die Gruft auszuwerfen. An Werkzeug dazu kann es uns hier ja nicht fehlen. – So! Jetzt legt die Todten hinein und schaufelt die Erde über sie. Noch ein Kreuz von Tannenzweigen zu ihren Häuptern und ein stummes Gebet. Mögen sie ruhen in Frieden! Und nun fort zu unserm Bataillon. Hört Ihr, das Gefecht entbrennt von Neuem? Wer weiß, ob nicht nach wenigen Stunden schon uns irgendwer den gleichen Dienst, wie wir diesen hier, leisten wird.“ – Noch heute sieht man die vom österreichischen Hauptmann gekritzelten Worte an der Capellenwand.

P.




Sclavenhandel am Weißen Nil.


Baker, der Entdecker der Nilquellen. – Khartum der Mittelpunkt und der weiße Nil als Vorrathskammer des Sclavenhandels. – Türkische Wirthschaft daselbst. – „Elfenbeinhandel“. – Die Sclavenschiffe und ihre Abenteurerbande. – Bündniß der Negerhäuptlinge mit den Sclavenjägern. – Ueberfall der Negerdörfer. – Hasenjagd auf die Schwarzen. – Das Sclavenjoch. – Sclavenauction. – Die fingirten Rechnungen des „Geschäfts“. – Sclaventransport. – Die arabischen Sclavenmäkler. – Sclaven als Beamtenbesoldung. – Musa Pascha. – Die Hölle von Gondokoro.


Die Emancipation der nordamerikanischen Schwarzen hat der Sclaverei der westlichen Halbkugel das Genick gebrochen. Dem mächtigen Impulse, den die Republik des Nordens gegeben hat, vermögen die beiden einzigen Staaten der neuen Welt, wo noch Sclaverei besteht, nicht lange mehr zu widerstehen. In der alten Welt hat aber die Sclaverei, der Sclavenhandel, ja selbst die Sclavenjagd einen neuen Aufschwung genommen, und der Sitz des schimpflichen Uebels ist eben das Gebiet der Nilquellen, auf das wir, der endlichen Lösung des interessantesten geographischen Räthsels harrend, seit Jahren mit Spannung blicken. Im Süden ist es eine christliche, im Norden eine mohammedanische Macht, die den Sclavenhandel in der Stille duldet und selbst ermuntert. Ueber die Mitschuld der Portugiesen an dem mörderischen Verkehr hat Livingstone sich ausgesprochen, über die Mitschuld der Aegypter äußert sich der Engländer Baker, der kühne Entdecker des Lute Nzige (Albert Nyanza) in der jüngst erschienenen Beschreibung seiner Reise zum Quellgebiet des Nils.

Die Hauptstadt des ägyptischen Sudans, Khartum, ist zugleich der Mittelpunkt des Sclavenhandels. Wenn sich irgendwo das arabische Sprüchwort bewahrheitet: „In den Fußstapfen des Türken wächst kein Gras“, so ist es hier. Der Zustand Khartum’s mit seinen elenden Hütten und seinen schmutzigen Straßen ist ein Wahrzeichen des Ruins, den die ägyptische Herrschaft über den Sudan gebracht hat. Die sechstausend Mann Truppen, die in der Stadt liegen, würden unter einer erträglich guten Regierung mehr als hinreichen, Ordnung und Sicherheit zu erhalten. Unter ägyptischer Fahne sind diese Türken, Arnauten und Schwarzen aus Kordofan, vom blauen und weißen Nil der Fluch des Landes. Schlecht bezahlt und schlecht geschult, erpressen und plündern sie nach Herzenslust, ohne daß ihnen jemals Einhalt geschieht.

Die Verwaltung ist die orientalische in ihrer schlimmsten Form. In weiter Ferne von aller Civilisation und durch die nubische Wüste von dem ägyptischen Hauptlande getrennt, bietet der Sudan der Entwicklung des türkischen Beamtencharakters den günstigsten Boden. Jeder Beamte drückt die Bewohner und der Generalstatthalter am meisten. Er füllt seine Taschen, indem er dem Fortschritt jedes erdenkbare Hinderniß in den Weg legt und jede Handelsbewegung erschwert, damit man ihn durch Geld gewinne. Vom ersten bis zum letzten Beamten sind Unehrlichkeit und Täuschung die Regel und jeder raubt im Verhältniß zu dem Range, den er einnimmt. Die Last aller Erpressungen fällt natürlich auf die Eingeborenen, denen man übermäßige Steuern aufbürdet, welche man noch dazu von Soldaten eintreiben läßt. Vor diesen brutalen Steuereinnehmern fliehen die Landleute aus ihren Dörfern, ihre Heerden vor sich hertreibend, und überlassen die Ernte im Felde den Soldaten. Nirgends im Sudan sieht man etwas Anderes als Armuth und Elend.

Auch der anständige Handel des großen Gebiets hat wenig zu bedeuten. Der wichtigste Artikel ist Gummi arabicum, das man von verschiedenen Mimosen-Arten gewinnt. Außerdem werden Sennesblätter, Felle und Elfenbein ausgeführt. Der Transport kann nur mittelst Kamelen bewirkt werden, da die Nilkatarakten zwischen Assuan und Khartum die Schifffahrt so gut wie unmöglich machen, und eine Waarenbeförderung durch Kamele ist eine kostspielige. Der Handel ist denn auch unbedeutend. Den Gesammtwerth des Elfenbeins, das der Sudan jährlich nach Aegypten schickt, schlägt Baker auf vierzigtausend Pfund Sterling an. Unter allen diesen Umständen ist der Sudan eigentlich ein werthloser Besitz, der weder politisch wichtig ist, noch Einnahmen gewährt. Trotz aller Steuererhöhungen und Erpressungen sind die Ausgaben der ägyptischen Regierung sogar größer als ihre Einkünfte, und man müßte sich daher wundern, weshalb man in Kairo auf eine solche Provinz Gewicht legte, wenn es nicht einen Grund gäbe, der zur Eroberung des Sudans getrieben hat und die Behauptung desselben erklärt. Der Sudan liefert Sclaven.

Der Sclavenhandel wird auf dem weißen Nil betrieben und nimmt die Rolle eines Elfenbeingeschäfts an. Ohne diesen Handel würde Khartum, eine Höhle alles Schmutzes, aller Laster und aller Verbrechen, kaum existiren können. An diesem ehrlosen Handel auf dem weißen Nil betheiligen sich Syrer, Kopten, Türken, Tscherkessen und einige wenige Europäer. In Folge der Armuth des Landes und des äußerst geringen Verkehrs ist der Menschenhandel das einzige Geschäft, das den üblichen Zinsfuß zu ertragen im Stande ist. Denn der Capitalist fordert je nach der Sicherheit, die ihm gewährt wird, sechsunddreißig bis achtzig Procent, wodurch anständige Unternehmungen unmöglich gemacht werden. Eine glückliche Fahrt auf dem weißen Nil deckt aber alle Kosten und gewährt noch einen Ueberschuß.

Zwei Classen, Capitalisten und arme Abenteurer, gehen bei dem Sclavenhandel Hand in Hand. Der Abenteurer borgt von dem Capitalisten Geld zu hundert Procent und verpflichtet sich zur Wiederbezahlung in Elfenbein, das ihm nur zum halben Werth angerechnet wird. Ist er im Besitz des erforderlichen Geldes, so miethet er einige Schiffe und wirbt eine Bande von einhundert bis dreihundert Mann, Araber und flüchtige Verbrecher aus den fernsten Ländern, die im Dunkel von Khartum Schutz gegen alle Verfolgungen der Justiz gefunden haben. Jeder dieser Kerle erhält seinen Lohn für fünf Monate vorausbezahlt. Dieser Blutlohn beträgt fünfundvierzig Piaster oder drei Thaler monatlich und steigt für jeden Monat über die bedungene Zeit hinaus auf achtzig Piaster. Die Zahlung erfolgt theils in baarem Gelde, theils in baumwollenen Kleidungsstoffen, die zu übermäßigen Preisen abgerechnet werden. Jeder Angeworbene erhält einen Streifen Papier, aus dem der Schreiber der Expedition vermerkt, was der Mann an Geld und Waaren empfangen hat, und dieses Papier dient bei der schließlichen Abrechnung als Grundlage.

Im December segelt die Bande ab, fährt den weißen Nil bis zu dem gewählten Landungspunkte hinauf und marschirt landeinwärts,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_494.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)