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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

sagt, von dem finsteren Kriegsmeister Wallenstein erbauten Schlosse zu Gitschin. Von dort ward er, sobald sein Zustand es irgend erlaubte, mit anderen Schicksalsgenossen hierher nach Dresden transportirt. Es ist mir, als wenn ich Sie am 6. Juli im Hospitale sah, ich weiß es aber nicht ganz genau, denn ich war an dem Tage kaum meiner Sinne mächtig. Die entsetzliche Nachricht hatte mich zuerst bis in’s Mark erschüttert. Es gelang mir, meinen Bruder aus dem Hospitale in unsere Wohnung zu bringen, damit er unter mütterlicher und schwesterlicher Pflege, wenn es sonst möglich ist, gesunden oder – wenn es anders im Buche des Schicksals geschrieben steht – in unseren Armen sein theures Leben aushauchen möge.“

Hier schwieg Elise und ich versuchte nun, soweit dies unter den Umständen zulässig und rathsam war, ihr Trost zu spenden und sie zu bestimmen, die Hoffnung auf ein Geheiltwerden ihres Bruders noch nicht aufzugeben.

Sie hörte mir eine Weile schweigend und nur hin und wieder mit dem Kopfe schüttelnd zu; dann aber unterbrach sie mich, indem ein eigenthümliches, melancholisches Lächeln über ihr Antlitz dahinzog, mit den Worten: „Mein bester Herr Doctor, versuchen Sie jetzt, in diesem Augenblick, nicht, mich weiter zu trösten. Ich selbst gebe, so lange nur noch die geringste Möglichkeit einer Heilung übrig bleibt, die Hoffnung auf eine Wiederherstellung meines einzig geliebten Bruders nicht auf. Im Uebrigen aber muß mir auch wohl, wie allen Schmerzbedrückten, der wahre Trost aus mir selber kommen. Nur Eins möchte ich Ihnen doch noch anvertrauen und von Ihnen hören, ob Sie, nachdem Sie mein Bekenntniß vernommen haben werden, mich verdammen oder entschuldigen.“

Sie schwieg einen Augenblick, dann fuhr sie fort: „Wundern Sie sich nicht über das, was ich Ihnen jetzt sagen werde, und auch nicht darüber, daß ich es Ihnen überhaupt sage. Doch hören Sie. Bis gestern habe ich geglaubt, daß ich die Liebe meines Bruders nur mit meiner guten Mutter zu theilen hätte. Gestern Abend aber, es war wohl gegen elf Uhr und das furchtbare Gewitter, welches über die Stadt dahinzog, hatte so ziemlich ausgetobt, da rief Ulrich mich an seine Seite und sagte mit seiner lieben, aber ach, nun so schwachen Stimme: ‚Meine gute, meine herzige Schwester, wenn es geschehen sollte – und ich bin darauf‘ gefaßt, daß es geschieht – daß ich Euch für immer verlassen muß, dann, – ich bitte Dich recht herzlich darum, dann nimm das kleine Medaillon, welches man bei mir finden wird, an Dich; es enthält eine Locke von – (hier nannte er den Namen einer mir wohlbekannten Dame), und sage ihr, daß ich es bis zu meinem letzten Athemzuge treu auf meinem Herzen getragen. Sei und bleibe ihre Freundin im wahren Sinne des Wortes und trage das kleine Vermächtniß zu ihrem und meinem Angedenken.‘ Als ich ihm unter Thränen versprochen hatte, seinen Willen zu erfüllen, wandte er sein Haupt und schlief wieder sanft und ruhig ein.

Nun, lieber Doctor, was sagen Sie, wenn ich Ihnen gestehe, daß mich seit gestern Abend elf Uhr ein wirklich eifersüchtiges Gefühl – ich kann es nicht anders nennen – gegen meine Bekannte, die – –, welche in diesem Augenblick von Dresden abwesend und bei Verwandten auf dem Lande ist, peinigt? Verdiene ich nicht den schärfsten Tadel als Freundin und als Schwester, daß ich, während mein Bruder bis auf den Tod krank darniederliegt, solch eifersüchtigen Gefühlen in meinem Herzen Raum gebe? Sagen Sie, bin ich für meinen eigensüchtigen Egoismus zu verdammen, oder können Sie mich noch entschuldigen?“

Ich trat ihr näher, der ihren Bruder so heiß und innig liebenden Schwester, ergriff ihre Hand und sagte: „Liebes Fräulein, beruhigen Sie sich; lieben Sie Ihren Bruder mit aller Kraft Ihrer Seele, denn er verdient es, aber ehren Sie auch, wenn der traurige Fall, daß Sie seinen Wunsch erfüllen sollen, eintritt, seinen gegen Sie ausgesprochenen Willen.“

Elise schien noch weiter zu mir sprechen zu wollen, als wir die Schritte der zurückkehrenden Mutter in dem Vorsaale vernahmen. Ich aber leitete das Gespräch, weil ich glaubte, ihr damit einen Dienst zu erweisen, auf die jetzt so naheliegende Frage über die zukünftige Gestaltung Deutschlands, ob der gegenwärtige grausame und blutige Krieg die Freiheit und Einheit unseres Gesammtvaterlandes anbahnen würde oder nicht etc.

Wir unterhielten uns noch eine kurze Zeit lang, dann aber erhob ich mich und verabschiedete mich von den beiden Damen mit den besten Wünschen für das Wiederaufkommen des so sehr geliebten Sohnes und Bruders.

Möchten meine Wünsche in Erfüllung gehen, denn Mutter, Tochter und Sohn – sie alle Drei sind brave und gute Menschen und verdienen alles Glück auf dieser Erde.[1]

R. Doehn.




Fünf preußische Feldherren.


Wenn im preußischen Heere nicht „jeder Soldat den Marschallsstab im Tornister trägt“, wie der erste Napoleon dies von seinen Armeen rühmte, so ist auch die Schule eine andere, welche in unserer Zeit, und namentlich in Deutschland, Feldherren zu erziehen hatte. Für den Bändiger der französischen Revolution und den Kaiser eines Soldatenreichs war der Krieg zum Lebensberuf, zum – Geschäft geworden. Die Armeen zogen von einem Feldzug in den andern, der Friede war eine Ausnahme im damaligen Staatsleben, und eben darum konnte der Krieg die französische Feldherrnschule sein.

Preußen, das fünfzig Jahre lang keine Kriege führte, mußte sich die Schule für soldatische und feldherrliche Tüchtigkeit selbst schaffen, und dies that es vollkommen angemessen der nationalen Eigenthümlichkeit, den geschichtlichen Erinnerungen und der hohen Culturstufe seines Volks. Es erstrebte nämlich eine möglichst kriegswissenschaftliche Ausbildung des Officiercorps, eine möglichst vollendete Dressur der Mannschaft mit der Pflege eines echt soldatischen Geistes, und fügte alle Dem eine gewissenhafte Beachtung jeder neuen Erfindung und Verbesserung der Waffe hinzu. Aber noch Eines zeichnet die preußische Armee vor allen übrigen europäischen Truppen aus und verdient eine besondere Hervorhebung: das ist der Bürgergeist, der bei der Zusammensetzung des preußischen Heeres aus allen Elementen der männlichen Staatsbevölkerung unzertrennlich mit ihm verbunden ist und der sich durchweg als liberal documentirt hat und jeden Standesvorzug von vornherein ausschließt. Der Einfluß der Bildung und Intelligenz, die in diesem Heere wie in keinem andern vertreten ist, auf die gesammte Masse unter den Fahnen wird Jedem fühlbar, der mit dem einzelnen Mann eine Unterhaltung eingeht; sichtbar ist er aber geworden in der Art der Kämpfe und Siege, die von jedem Einzelnen, neben der Zuversicht auf die Tüchtigkeit seiner Führung und dem Vertrauen auf die Vortrefflichkeit seiner Waffe, das Selbstgefühl des Mannes forderte, welcher weiß, wofür er kämpft, und die Fähigkeit, in den Geist der Führung einzugehen.

Von den Feldherren, welche die preußischen Armeen bis jetzt geführt, hat den Jüngsten derselben das Waffenglück in wahrhaft auffallender Weise bevorzugt. Bekanntlich war es der Kronprinz, dem in der Schlacht bei Königgrätz die Rolle Blücher’s bei Waterloo zufiel. An der Spitze der zweiten Armee gab er der bis dahin schwankenden Schlacht die Entscheidung. Der Glanz dieses Siegs wird dem Mann einst auf den Thron folgen, und dies verleiht ihm eine besondere Bedeutung für die Zukunft. Der Kronprinz, Friedrich Wilhelm, am 18. October 1831 geboren, ist eine hohe Gestalt, blond, von intelligenten und sanften Zügen und edler Einfachheit der Manieren. Zu seiner militärischen Ausbildung hat er kriegerische Erfahrungen im letzten Dänenkriege zu sammeln Gelegenheit gehabt.

Chef des Generalstabs des gesammten preußischen Heeres ist der Generallieutenant Freiherr von Moltke. Von dänischer Familie, trat er vor mehr als vierzig Jahren in preußische Dienste, ward früh dem Generalstab zugetheilt und wohnte 1839 gemeinsam mit dem Freiherrn von Vincke-Olbendorf dem Krieg zwischen der Türkei und Aegypten (unter Mehemed Ali) und namentlich der Schlacht bei Nisib bei. Ihm wird das Verdienst des großartigen Operationsplans zugeschrieben, dessen energische Durchführung den Kriegszug in Böhmen zu einem großen Siegeszug

  1. Soeben, als der Druck der Nummer beginnen soll, erhalten wir vom Verfasser der obigen Skizze wenige Zeilen: „Ulrich ist todt. Er starb ruhig, die Hände seiner Mutter und Schwester haltend und küssend.“
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_475.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2016)