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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

des Bataillons? Die Linie ist nicht mehr halb so lang, aber dicht geschlossen und im Avanciren. Brave Soldaten, diese Oesterreicher namentlich die deutschen Regimenter. „Aufgepaßt, Leute,“ ruft wieder der Hauptmann – „einhundertundfünfzig Schritt, – Standvisir – Bauchhöhe – legt an – Feuer! – Geladen – Bauchhöhe – legt an – Feuer! – Geladen! Heraus jetzt mit dem Bajonnet,[1] flink, ihr Jäger, heraus aus dem Saume und nach dem rechten Flügel fest geschlossen. Bataillon, vorwärts Marsch! Zur Attake Gewehr rechts! Fällt’s Gewehr! Marsch, Marsch! Hurrah!“ Und der Rest der Jäger-Compagnie stürzt sich auf den Rest des stürmenden Bataillons.

Den Kampf mit dem Bajonnet mag ich Ihnen nicht schildern, er ist entsetzlich. Aber in dem Augenblick empfindet man das Entsetzliche nicht, man sprüht eben selber Vernichtung. Der Feind, zu drei Viertel vernichtet und völlig erschüttert, hält den Anprall nicht aus; nach kurzem Kampfe weicht er. Hurrah, Hurrah! ihm nach unsere Jäger. Leider sind die feindlichen Fahnen unerklärlich verschwunden, verschwunden auch die Batterie, die uns so viel zu schaffen gemacht. Auf allen Punkten beginnt der Rückzug des Feindes und wir, die wir die Ehre der Avantgarde gehabt hatten, verfolgten ihn zunächst. Dabei kamen wir wiederum mit demselben Bataillon Siebenunddreißiger zusammen. Wirklich, es giebt bei uns gar keine ausnahmsweise Bravour, denn die höchste Bravour ist bei unsern Leuten ausnahmslose Regel. Wir denken Wunder was geleistet zu haben, da erfahren wir, daß dies eine Bataillon ein Dorf zwei Stunden lang gegen eine ganze Brigade, d. h. gegen sechs tapfere Bataillone, gehalten habe, und bescheiden senkten wir unsere Augen. Dagegen war unser Thun Nichts. Aber kein Neid, eine warme Brüderlichkeit durchzog unsere Herzen, und Füsilier und Jäger umarmten sich, als ob zwei treue Freunde nach langer Trennung sich wiederfänden. In der That wiegen solche Stunden Jahrzehnte auf und bleiben unvergeßlich.

Wir bezogen ein Bivouak gegen Skalitz hin und kamen für diese Nacht zum Gros, um ungestörte Ruhe zu genießen. Mein Herr, eine solche Nacht auf der harten Erde, den blauen Himmel über sich, bedeckt mit dem Palletot, inmitten lieber Cameraden, das Bewußtsein treuer Pflichterfüllung im Herzen, eine solche Nacht, sage ich Ihnen, wiegt alle Gefahren, alle Strapazen auf. Die harte Erde verwandelt sich in weiche Daunen, süßer Schlaf stärkt den erschöpften Körper und der freundliche Traumgott führt uns zu den theuren Unsrigen, die für uns beten und arbeiten.

An diesem Briefe, mein Herr, habe ich zehn Tage geschrieben, meist auf einer Trommel, da ich meist mit Infanterie zusammenlag, zuweilen auf dreibeinigen Tischen. Ob Sie es werden lesen können, weiß ich nicht. Noch weniger weiß ich, ob Ihnen die Sache interessant erscheint. Wenn seitdem auch Großes geschehen, so wird mir das Bild an dem Saume des Waldes stets unvergeßlich sein, und Nachod war das erste bedeutende Gefecht, hier lernte der Feind uns und unsere Waffen kennen, seitdem sind wir „verflixte Preußen“, und ich kann wohl sagen, Nachod bereitete Königgrätz vor.




Ausplaudereien aus der Apotheke.
4. Das Quecksilber und seine Salben als Volksheilmittel.


Mit achtundsechszig Briefen bin ich von den Herren Apothekern in Folge der ersten drei „Ausplaudereien“ beehrt, erfreut und zum Theil insultirt worden. Sonderbarer Weise hat aber die große Mehrzahl aller dieser Herren meine Ausführungen als persönliche, gegen sie und „ihren Stand“ gerichtete, natürlich höchst ungerechte Angriffe aufgefaßt. Ja, man ist soweit gegangen, mich zu beschuldigen, daß ich im Solde eines Geheimmittelkrämers stehe, ohne zu bedenken, daß ich doch seit einer Reihe von Jahren bereits unermüdlich und in zahlreichen Schriften gegen den Geheimmittelschwindel angekämpft und namentlich in meinem Buche „Naturwissenschaftliche Blicke in’s tägliche Leben“ Aufklärungen über die Geheimmittel in die Familien zu bringen gesucht, also mindestens indirect für den Vortheil der Apotheker gewirkt habe. Fast ohne Ausnahme legen die Apotheker darauf Gewicht, daß sie bei der immer mehr zunehmenden Bedrängniß und Misere ihres Gewerbes gar nicht anders können, als den Verkauf jener Gegenstände auszuüben oder ihm doch den Willen zu lassen; damit sehen sie meine Darlegungen natürlich als Schädigung ihrer Interessen an. Hiergegen protestire ich ganz entschieden: denn, sobald die Leute nicht mehr Werthloses und Ueberflüssiges kaufen, holen sie dafür wirksame Heilmittel und in jedem Falle müssen sie dennoch zu dem Apotheker ihre Zuflucht nehmen. Verluste entstehen den Apothekern also nimmermehr – wohl aber den Armen wesentliche Ersparungen bei wirklicher Abhülfe ihrer Leiden.

Ferner klammern sich fast sämmtliche Erwiderungen der Apotheker mit wahrhaft krampfhaftem Triumph und Ingrimm an die „Unrichtigkeiten“ in meinen Artikeln; mindestens, so behaupten sie jederzeit den eclatantesten Angaben gegenüber, sei in ihren Apotheken dergleichen unerhört. Auch hat man mich kategorisch „zum Beweisen“ meiner Aufstellungen aufgefordert. Ich muß hiermit gern zugeben, daß theils in Provinzialismen, theils in einseitiger Auffassung einiges Unrichtige und nicht allgemein Gültige sich darin befindet; allein Niemand wird die Behauptung wagen wollen, daß diese Aufklärungen im Ganzen nicht durchaus richtig seien. Im Uebrigen habe ich in ihnen ja mehrfach an das Publicum appellirt: man möge sich von den Thatsachen, ob dieser oder jener alte Unrath in den Apotheken noch verkauft werde oder nicht, durch Versuche doch selbst überzeugen! Freilich erwidert man, daß jeder dieser Stoffe doch „noch irgend eine Wirkung“ habe, doch noch für irgend einen Zweck zu brauchen sei, und ein Apotheker hatte eine bogenlange Erörterung eingeschickt, in der er die heilkräftigen Wirkungen von Schachtelhalm, Bärlappkraut, Wolfslunge, Mumie etc. auf das Gewissenhafteste erläuterte. Selbstverständlich liegt ja aber einer der Hauptzwecke der „Ausplaudereien“ gerade darin, das Publicum von den Ausgaben für solche werthlose oder mindestens überflüssige Stoffe zurückzuhalten.

Auch alle übrigen „Erwiderungen“ und „Erklärungen“ der Apotheker haben ohne Ausnahme am Ziele vorbeigeschossen. Entweder ergehen sie sich in Lamentationen über die derzeitige Misere des Geschäfts und das Unrecht, welches ihnen angethan wird, oder sie geben theils recht wissenschaftliche Ehrenrettungen der von mir geschmähten und gebrandmarkten, ihnen allerdings theuren alten Arzneistoffe, oder schließlich sie ergießen sich in bitterbösen Aergerausbrüchen über den „Literaten, der nichts davon versteht“, ohne zu bedenken, daß es doch wohl ein Fachmann geschrieben haben müsse. Wenn unter den zahlreichen „Erwiderungen“ eine einzige Abhandlung gewesen wäre, welche die in den drei ersten „Ausplaudereien“ aufgestellten Thatsachen Punkt für Punkt wirklich thatsächlich hätte widerlegen oder auch nur commentiren können, so würde dieselbe wahrlich sofort in der Gartenlaube abgedruckt sein.

Wenn aber andere, jedenfalls recht tüchtige und menschenfreundliche Apotheker einwenden, daß meine Ausführungen doch nichts nützen könnten, mindestens also überflüssig seien, so muß ich allerdings zugeben, daß „mit der Dummheit, die sich nicht belehren lassen will, selbst die Götter vergebens kämpfen“, und daß ebenso derartige Aufklärungen und Wahrheiten in die ihrer vorzugsweise bedürftige große Menge freilich kaum oder doch nur sehr spärlich dringen. Doch Niemand wird es bestreiten können, daß auch in den Kreisen der „Gebildeten“ nur zu viele und beklagenswerthe derartige Düsterkeiten noch herrschen. Und wenn nun von den Hunderttausenden der Gartenlaubenleser nur der hundertste Theil meine Aufklärungen gelesen, von ihnen aber wiederum nur ein Zehntel sie beherzigt und in die große Masse zu tragen gesucht,

  1. Die Jägerbüchsen tragen im Schaft an der Stelle des früheren Ladestocks, den wir bekanntlich nicht brauchen, eine starke, dreikantige Klinge, die, herausgezogen, in eine starke Feder springt und dann ein festes, scharfes Bajonnet bildet. – Noch eins. Wenn ich Ihnen die Commandos so genau mittheile, so sehen Sie darin keinen überflüssigen Schlachteneffect, sondern eben nur den Beweis, wie viel auf ein richtiges Commando ankommt. Der preußische Infanterieofficier hat sich fortwährend auf Distanzen einzuüben und die Commandos beim Schießen danach einzurichten. Seine richtige Bemessung trägt viel zur verheerenden Wirkung des Zündnadelgewehrs bei.
    D. V.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_471.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2016)