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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

kühnen Vorsätze standen mit einem Mal wie in riesengroßen Lettern vor ihr; sie erhob sich und wollte, ohne zu antworten, mit einer Verbeugung an ihm vorüberschreiten; ohne es zu wollen, sah sie dabei flüchtig zu ihm auf. Er stand, die Hand noch auf die Banklehne stützend, ernst und hoch aufgerichtet da; er machte nicht die geringste Bewegung, das junge Mädchen zurückzuhalten; allein in seiner ganzen Haltung lag plötzlich eine solche Hoheit, so viel Männerstolz, daß sie unwillkürlich ihre Schritte hemmte und den Blick senkte vor seinen sprühenden Augen, die weit eher strafend, als entrüstet auf sie niedersahen, während er mit beherrschter Stimme sagte:

„Ich habe nicht an unsere allgemeinen Umgangsformen appellirt, die, echt deutsch, pflichtschuldigst fremde Grimassen nachäffen, ich sage, nicht an sie habe ich appellirt, wohl aber an die Höflichkeit des Herzens, als ich abermals wagte, Sie anzureden. … Ich würde mich bescheiden und einen neuen Irrthum in meinem Leben beklagen, wüßte ich nicht zu viel von Ihnen… Aber ich weiß, daß Sie dem Alten, der allwöchentlich sein Almosen bei der Hofräthin Falk holt, mit liebenswürdigem Lächeln seine kindischen Fragen beantworten und in unerschöpflicher Geduld sein Klagen anhören und ihn zu trösten suchen; ich weiß, daß Sie die seltene Gabe haben, in verbindlicher und schmeichelhafter Weise zuzuhören, wenn die alten Freunde Ihrer Tante sprechen, und stets schlagfertig und mit Geist zu antworten wissen, sobald Sie in das Gespräch gezogen werden; ich weiß ferner, daß Sie Ihre Umgebung voll sprudelnden Muthwillens necken, und daß Sie lachen, so lieblich und herzerquickend lachen können, wie ein Kind, das noch keinen Raum hat für Haß und dergleichen unselige Dinge. Ich weiß … doch wozu noch fernere Beweise! Es genügt, zu wissen, daß Sie dies Alles vor mir zu verleugnen suchen. … Noch halte ich den glücklichen Wahn fest, ja, ich bin selbst bewußt genug, zu denken, daß diese Unfreundlichkeit nur in dem leidigen Dorn’schen Familienzwist wurzelt. … Ich sah Sie auf den Berg gehen und bin Ihnen gefolgt, um Sie daran zu erinnern, daß ich noch eine Frage gut habe; lassen Sie mich dieselbe in eine Bitte umwandeln: Uebernehmen Sie die Vermittlung zwischen der Hofräthin Falk und mir und bewirken Sie eine mir sehr wünschenswerthe Aussöhnung.“

Er hatte in sehr ernstem, nachdrücklichem Ton gesprochen, und es kam ihr vor, als sei sie heute zum ersten Mal in ihrem Leben mit allem Recht und in sehr beschämender Weise gescholten worden… Aber wer war es, der sich unterstand, sie zur Rechenschaft zu ziehen für ihr Benehmen? Seine Beweisführung erschreckte und verdroß sie zugleich; wie kam er dazu, alles das zu wissen? Hatte er sich unterfangen, Erkundigungen über sie einzuziehen? … Und nun fußte er gar auch noch auf diesem unehrenhaften Spionirsystem und appellirte im Hinblick auf seine Aushorchereien an ihre menschenfreundlichen Gesinnungen! … Wieder trat Tante Bärbchens Warnung vor ihre Seele und die Gestalt der geheimnißvollen Unbekannten schwebte mahnend an ihr vorüber… Sie warf den Kopf zurück mit jener allerliebsten Bewegung, die Trotz und Opposition in jeder Linie ausdrückte; dabei vermied sie jedoch wohlweislich, in das Gesicht des „unberufenen Moralpredigers“ zu sehen, und somit entging ihr das entzückte Lächeln, das einen Moment seine Lippen umspielte. Um ihm zu beweisen, daß sie seinem „großmüthigen“ Auftrag sehr wenig Gewicht beilege, schlug sie geflissentlich einen leichten Ton an, und es erfüllte sie mit großer Genugthuung, daß ihr sogar, diesen durchdringenden Augen gegenüber, eine Beimischung von Ironie vortrefflich gelang, indem sie entgegnete:

„Zu dieser Mission gehört ein muthiges Herz. Bei Ihren eben entwickelten merkwürdigen Kenntnissen aber sollten Sie vor Allem wissen, daß ich ganz und gar nicht tapfer bin, und z. B. ein entsetzliches Grauen vor allen Fehlbitten habe… Es ist sehr unhöflich von mir, Ihre Appellation an die Höflichkeit meines Herzens zurückzuweisen, ich sehe das ein; aber ich weiß auch, daß ich vor Tante Bärbchen nicht einmal Ihren Namen, geschweige denn die Bitte um Vergeben und Vergessen aussprechen darf.“

„Wer spricht auch von Vergeben und Bitten! … Wie das herb und verletzend klingt!“ unterbrach er sie rauh und auflodernd. Mit derselben Anstrengung jedoch, wie neulich beim ersten Begegnen, suchte er seiner Aufregung Herr zu werden; nach einem einmaligen raschen Auf- und Abschreiten blieb er mit verschränkten Armen vor dem jungen Mädchen stehen.

„Man ruft Sie Lilli,“ sagte er gepreßt, „selbst die harte, schwerfällige Stimme der Hofräthin Falk klingt mir sympathischer, wenn sie diese zwei weichen, süßen Klänge ausspricht… Wer das Wesen sieht, dem dieser Ruf gilt, der möchte an ein Blumendasein denken, das geschaffen ist zur Freude und erquickenden Augenweide der Menschen… Sie lieben offenbar dergleichen poetische Illusionen nicht, denn Sie bieten geflissentlich Alles auf, mir dieselben zu rauben … oder sollten Sie wissen, daß gerade in dieser Opposition, in dem Contrast zwischen einem kindlich zarten Aeußeren und einer stets verneinenden, trotzigen Seele Gefahren für Andere liegen, und – doch nein, nein,“ unterbrach er sich selbst in einem eigenthümlich reuevollen Ton, als habe er ihr einen schweren Verdacht abzubitten. Lilli hatte jedoch seine letzten Worte gar nicht verstanden; so scharf und durchdringend auch ihr Denken war, hier, wo die Erfahrung hauptsächlich das Verständniß herbeiführen mußte, genügte es nicht; ihre Gesinnungen waren zu rein und unschuldig, und deshalb ahnte sie nicht einmal, daß er sich in seiner Gereiztheit hatte hinreißen lassen, sie der Koketterie zu beschuldigen. Er hatte sich abgewendet und schwieg einen Moment.

„Also förmlich verfehmt und verpönt ist mein unglücklicher Name da drunten?“ frug er endlich mit bitterer Ironie, während seine Hand nach dem Haus der Hofräthin deutete. „Die alte Frau sollte doch bedenken, daß wir von einem Stamme sind, daß sie einst den Namen getragen hat, den ich führe.“

„Sie vergessen, daß auch dieses Band nicht mehr existirt – Sie sind von Adel.“

Bei diesem Einwurf des jungen Mädchens, der ziemlich herb klang, wandte er überrascht den Kopf und sah sie durchdringend an, aber gleich darauf erschien jenes sarkastische, überlegene Lächeln in seinem Gesicht, das stets ein Gemisch von Verdruß und Beschämung in ihr hervorrief.

„Die Hofräthin Falk hat mir allerdings noch sehr wenig Veranlassung gegeben, eine ganz besonders hohe Meinung von ihr zu gewinnen,“ entgegnete er, „allein zu ihrer Ehre will ich trotzdem gern glauben, daß sie die Ansprüche an den Adel der eigenen Gesinnungen nicht niedriger stellt, als ich, einen anderen Adel besitze auch ich nicht. Es giebt zwar Leute, die sich beharrlich einbilden, mich zu schimpfen, wenn sie nicht das harmlose Wörtchen ‚von‘ zwischen meinen Tauf- und Familiennamen schieben, aber mir selbst ist es nie eingefallen, Gebrauch von demselben zu machen und somit eine augenblickliche Schwäche meines Vaters immer wieder an die große Glocke zu schlagen.“

Er hielt inne und sah noch immer lächelnd auf Lilli herab, die, gründlich geschlagen durch diese Erklärung, ihre Augen betroffen am Boden haften ließ.

„Dies Band wäre also nicht zerrissen,“ fuhr er fort, „und ich halte es um so fester in meiner Hand, als es mich möglicherweise zu einem Ziel hinleitet, das ich um jeden Preis zu erreichen wünsche… Wir harmoniren zwar – so sehr Sie auch der Gedanke an die Möglichkeit einer Harmonie zwischen uns kränken mag – wunderbar im Betreff der Fehlbitten, allein, was den Muth betrifft –“

„So sind Sie jedenfalls tapfer genug, die Erfüllung Ihrer Wünsche zu erzwingen, Sie waren ja Soldat.“

„Ei, Sie wissen ja mehr von mir, als ich zu hoffen wagte. Uebrigens,“ fuhr er düster fort, „woran erinnern Sie mich, und noch dazu in diesem Ton des Hohns! Es giebt nichts Niederschlagenderes für den menschlichen Geist, als wenn er für eine schöne, hohe Idee gekämpft hat und schließlich den mit Blut erkauften Sieg in einem Netz selbstsüchtiger Berechnungen verkümmern und versanden sehen muß… Indeß, bleiben wir bei der Sache! Sie haben ganz recht, wenn Sie mich für beharrlich und im Nothfall energisch eingreifend halten, sobald es die Erreichung eines Zieles gilt, allein hier wäre jeglicher Zwang ein Todtschlag des Preises, denn er ist sehr idealer Natur. Wenn ich es also unternehme, das Haus der Hofräthin Falk ohne ihre Erlaubniß zu betreten, und trotz der zurückweisenden Haltung meiner Widersacherin persönlich einen Ausgleichungsversuch wagen will, so muß ich doch vor allen Dingen wissen, wie Sie über diesen Schritt denken würden.“

Lilli fühlte ihr Herz zittern schon bei dem bloßen Gedanken an die Möglichkeit dieses Schrittes. Sie kannte Tante Bärbchen genug, um zu wissen, daß sie nie die Hand zur Versöhnung bieten würde. Möglicherweise verzieh sie ihrem sogenannten Todfeind

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