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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

dahingestreckt sind, vor unseren Augen. In einer Turnhalle! In den Winkeln stehen noch Barren und Recke, im Hintergrunde ragen Säulen des Klettergerüstes auf, – die Werkzeuge, dazu bestimmt, der männlichen Körperkraft ihre höchste Ausbildung zu geben, und jetzt Jünglinge und junge Männer mit zerrissenen Gliedern, auf hundert Betten in ruhiger starrer Reihe! Der Anblick ist tief erschütternd, wenn wir uns auch zehnmal einreden, daß wir meist nur leichter Verwundete vor uns sehen, die wenigstens sicherlich mit dem Leben davon kommen.

Mit dem Leben freilich, aber in welchen Gestalten! Wie viel Tausend Verkrüppelte kehren aus diesem Krieg in ihre Heimath zurück! Die lebhafteste Phantasie kann die vielerlei Verwundungsarten nicht ersinnen, die dieser eine Saal in sich schließt. So viel Gliedmaßen der Mensch eben besitzt, so viele sind verletzt und verstümmelt in allen möglichen Graden des Mehr oder Weniger. Ein Landwehrmann zeigte mir seine beiden durchschossenen Hände. „Beide Hände! Ich hätte ein Bein drum gegeben, wenn ich meine gesunden Hände behalten hätte.“ Und doch ist der Mann vor Tausenden glücklich, wie schon ein Blick auf die Hunderte lehrt, die hier herum liegen und sitzen, hinken und kauern.

Trotz des großen Zusammenlagerns der Verwundeten im Saal und auf den Galerien herrscht auch hier, neben der selbstverständlichen Ordnung, angemessene Ruhe. – Nur ein Labsal hat der Verwundete auf dem oft langwierigen Krankenlager, und das ist das Rauchen. Was jene Oesterreicher in Liebau sagten, kann man hier alltäglich hören: „Jetzt, wann wir nöt mehr rauchen könnten, hernach da wärsch bald vorbei.“ Die Glücklichen, welche Tags über bereits das Bett verlassen dürfen, zieht es in’s Freie hinaus, auf die Freitreppe der Turnhalle und die breite Straße vor derselben; Andere gehen in der Stadt umher, die Oesterreicher, als Gefangene, unter Aufsicht.

Auch vor der Turnhalle bilden sich die verschiedensten „internationalen“ Gruppen und hier um so leichter als im Waisenhaus, weil dort der Zutritt überhaupt nur den Verwandten der Verwundeten gestattet ist. Die neu eingerückten preußischen Truppen suchen Bekannte und Freunde, und finden sich solche, so ist’s ein rührend schönes Wiedersehen. „Und was macht Der? Wo ist Jener?“ – Da laufen Trost- und Hoffnungs- und Trauerbotschaften so hart durcheinander, wie die Kriegswürfel mit dem Leben spielten. Man muß sich immer wieder daran erinnern, daß wir in einem furchtbaren Krieg leben, um dies Alles nicht für Zeitungsneuigkeiten aus weiter Ferne oder gar für einen Traum zu halten.

Warum soll man es verschweigen, wenn auch ein liebliches Bild zwischen den ernsten auftaucht? Am Gitter saß ein österreichischer Jäger, blutjung und bildschön, den Mantel um den verbundenen Arm hüllend. Mit ihm machte ein ebenso hübsches Mädchen sich gar sorglich zu schaffen, so daß man’s nur gern ansah. Zwei Paar so schöne Augen, – wer kann dafür, wenn etwa die geheimnißvollen unsichtbaren Fäden, die durch die Augen bis in’s Herz gehen, sich unlösbar verwickeln?

Einen recht erfreuenden Anblick gewähren endlich die Abfahrten vom Lazareth in Bürgerhäuser, d. h. aus dem Himmel des Lazareths in den höheren Himmel der Familienpflege. Daß dies viel geschieht, thut Einem im Herzen der braven Leipziger wohl. „Ihr glaubt nicht, wie mein Preuße sich gestreckt hat,“ erzählte ein Bürger, „ich weckte ihn zum Frühstück und zum besten Gläschen Wein, er aber blieb ruhig im Halbschlummer liegen und sagte nur: ‚Ach, wie wohl, wie wohl!‘“ Nach wochenlangem Lagern auf schlechter Streu oder der bloßen Erde und wochenlangem Liegen auf der Lazareth-Matratze – endlich ein Bett: wahrlich, Millionen wissen es nicht, welche Seligkeit für den Genesenden in dem Uebergang von der Strohmatratze zum lieben sanften, häuslichen, stillen Bette liegt!

Trotz dieser und vieler andern einzelnen schönen Beispiele von patriotischem Sinn und wahrer Herzensbildung müssen wir dennoch leider beklagen, daß die Opferfähigkeit der Deutschen in diesem Krieg sich noch keineswegs glänzend gezeigt hat. Kommt auch das Unglück von Tausenden in nie erhörter Größe und Plötzlichkeit über uns, so zählen wir dafür nach Millionen und es dürften nicht die unaufhörlichen Jammerschreie aus Böhmen und Schlesien so nothwendig sein, wie dies der Fall ist. Es steht das Schicksal Deutschlands für seine ganze Zukunft auf dem Spiel – um keinen Athemzug geringer, als beim Bürgerkrieg Nordamerikas! – und was haben die Bürger jenes Landes geopfert, freiwillig dargebracht an Blut und Gut – und was hat bis heute Deutschland aufgebracht? Und welche Lock- und Reizmittel, welche Aufrufe und Bitten sind dazu nöthig erfunden worden, um nur das bis jetzt so Wenige möglich zu machen! Hat man in Nordamerika auch musikalische Abendunterhaltungen zum Gabensammeln, hat man zum Charpiezupfen Gartenmusik bedurft?

Man wird es einst nicht glauben, daß in patriotischer Opferfähigkeit Deutschland so tief stand, als es seine höchste Höhe ersteigen sollte!“

Fr. Hfm.




Blätter und Blüthen.


Ein preußischer Landwehrmann. „In und bei Leipzig wird ein Reserve-Armeecorps von dreißigtausend Mann aufgestellt. Auch bei uns ist Einquartierung angesagt. Liebe Frau, wie sollen wir das erschwingen! Da mag Gott helfen!“ So sprach ein armer Handwerker, der mit seiner zahlreichen Familie ein Stübchen des vierten Stocks eines Hauses in der Hainstraße bewohnt, zu seiner Gattin. Die sorgliche Hausfrau räumt ihr einziges Dachkämmerchen aus und macht es mit einem Bett, Tisch und Stuhl zu einem leidlich wohnlichen Aufenthalt.

Die Einquartierung kommt: ein preußischer Landwehrmann. Der Bürger führt ihn in das Kämmerchen und bittet ihn fürlieb zu nehmen. „Es ist freilich nur eine Dachkammer und die Aussicht wieder auf’s Dach, aber wir haben’s selbst nicht besser. Machen Sie sich’s bequem und kommen Sie nachher gefälligst herüber zum Mittagessen.“ Zur großen Beruhigung des besorgten Bürgers fand der bärtige Soldat Alles ja ganz gut und hübsch, und mit erleichtertem Gemüth kehrt der bedrängte Mann zur ängstlich harrenden Gattin zurück.

Der Mittag ist da und der Landwehrmann begiebt sich in das Wohnstübchen seines Wirths. Da sitzt um den Tisch ein Häuflein Kinder und auf dem Tisch steht eine mächtige Kanne voll Kaffee und ein frisches großes Brod liegt daneben. Für den Soldaten trägt aber die Frau eine lange, gebratene Rauchwurst und ein Tellerchen voll Salat auf und bittet ihn, nun das Brod anzuschneiden. Es bringt Ja Frieden und Glück in’s Haus, wenn ein Gast das Brod anschneidet.

Und der Landwehrmann that’s. Er schnitt Stück um Stück vom Laib ab, dann je für ein Stück Brod ein Stückchen Wurst und theilte so von Kind zu Kind am Tisch herum mit und auch den beiden Eltern. Je freundlicher die Gesichtchen der Kinder, um so bedenklicher wurde das Antlitz der Mutter; in bekannter Hausfrauenweise betrübt und verletzt äußerte sie: „Ich sehe wohl, daß es Ihnen nicht gut genug ist, aber ich kann Ihnen mit dem besten Willen nichts Besseres geben.“

„Werthe Frau, so ist’s nicht gemeint. Mir schmeckt das Einfachste vortrefflich, wenn ich fröhliche Gesichter um mich sehe. Sie werden sich gleich davon überzeugen.“ Und nun aß er den ihm gebliebenen Rest der Wurst und den Salat mit großem Behagen und theilnehmender Unterhaltung, während die übrige Tischgesellschaft ihrem Kaffeetopf noch einmal so munter zusprach, und empfahl sich dann.

Wir werden nicht falsch berichten, wenn wir behaupten, daß Mann und Frau sich Glück zu einer so bescheidenen und gemüthlichen Einquartierung wünschten. Aber es kam noch anders. Gegen Abend keuchte ein Packträger mit einem schweren Korb die Treppe herauf, pochte an des Handwerkers Thür an, setzte, nachdem Frage und Antwort ihn überzeugt, daß er an die richtige Adresse gekommen, seine Last nieder und begann auf den Tisch auszukramen: Schinken und Schweinskeulen, lange Würste, Butter, Käse, Brod und was sonst so manches Auge am Schaufenster des „Victualien-Händlers“ anzieht.

„Aber um’s Himmelswillen, was sollen wir denn mit den theuern Sachen? Wir haben sie wirklich und durchaus nicht bestellt. Wo sollten wir jetzt so viel Geld auftreiben, um eine solche Ausgabe zu bestreiten? Sie haben sich ganz gewiß geirrt.“

„Nein, es ist Alles in der Ordnung,“ behauptete der Packträger. „Name, Stand, Wohnung, Alles trifft, und der preußische Soldat, der mir diese Waaren zur Besorgung übergeben hat, läßt Ihnen sagen, er werde gleich selbst kommen.“

„Da hast Du nun die Bescheidenheit und Gemüthlichkeit! Der zeigt uns, was er beansprucht, ohne viel Umstände. Das sind Vorräthe für eine Herrschaftsküche! Gott weiß, wie wir Das erschwingen sollen!“ Während die Hausfrau noch in solchen Klagen sich ergeht, tritt der Landwehrmann zur Thür herein, und schon sein herzlicher Gruß verscheucht die aufgethürmten Sorgenwolken.

„Ihr lieben Leute,“ sprach er, „nehmt’s nicht übel, daß ich etwas Vorrath beigeschafft habe. Ich sah heute Mittag, daß Ihr selbst Mangel leidet und habt mir doch das Beste gebracht, was Ihr aufzubringen vermochtet. So laßt es Euch denn gefallen, daß wir’s einmal umgekehrt machen. Hier ist Vorrath für mich und für Euch, und ich bitte Euch, auch wenn ich einmal nicht zu Tisch komme, doch herzhaft davon zu essen. So lange ich bei Euch im Quartier liege, sollt Ihr nicht über Mangel zu

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