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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Mich traf’s bei Gitschin. Ein Granatenstück zerriß mir den linken Arm und warf mich nieder. Meine Betäubung dauerte nicht lange; ich fühlte, daß die unteren Gliedmaßen noch heil waren, raffte mich auf und hatte das Glück, in der Nähe Wasser zu sehen. Dort setzte ich mich hin und kühlte die Wunde. Aus Taschentuch und einem Fußlappen, den ich in den Helm gesteckt hatte, suchte ich eine Art Verbandstück zu machen, aber es gelang mir nicht, ich mußte mich damit begnügen, mit dem nassen Klumpen der Verblutung zu wehren. Ich blieb nicht lange allein, noch drei meiner Cameraden schleppten sich herbei und steckten die halben Köpfe in’s Wasser, um den grimmigen Durst zu löschen, während das Blut unter der Montur vordrang, ein vierter kroch auf beiden Händen und mit einem Beine heran, das andere nachschleppend. Zwei von den Trinkenden mußten den dritten emporreißen, der ohnmächtig geworden und mit dem Kopf gar untergesunken war. Derweil schrie der Vierte jämmerlich, die Cameraden sollten ihm helfen, sein Bein in’s Wasser zu stecken. Auch das geschah. Aber wie schrie’s gar rings um uns her, als die noch schwerer Hingestreckten von Wasser hörten! Und wahrlich, wir halfen, so viel wir konnten. Einer der leichter Getroffenen band mir meinen

Gruppe verschiedener verwundeter Soldaten aus den internationalen Lazarethen in Leipzig.
Nach der Natur aufgenommen.
1. Oesterreicher. Franz Guraj (Groß Kapoc) 10. Husaren-Reg. Unterofficier. – 2. Preuße. Ziethen Husaren-Reg. III. Gefreiter. – 3. Preuße. (Berlin) Garde-Schütze. – 4. Preuße. Brandenb. Uhlanen-Reg. Nr. 11. – 5. Preuße. Reinsdorf. (Magdeburg) 25. Inf.-Reg. – 6. Preuße. v. Schwedler. 17. Inf.-Reg. – 7. und 8. Oesterreicher. Regiment König von Hannover. (7. Hornist.) – 9. Oesterreicher. Gust. Gumpl (Palanka) Franz Ferd.-Reg. 32, 5. Comp. Corporal. – 10. Preuße. 1. Garde-Reg. – 11. Sachse. III. Reiter-Reg. 1. Schwadron. – 12. Oesterreicher. Wenzel Kaisch. 13. Jäger-Bataillon
Nr. 2. 3. 4. 6. Granatverwundungen. – Nr. 5. 12. Schußverwundungen – Nr. 1. 7. 11. Hiebverwundungen. – Nr. 9. 10. Bajonnetverwundungen. – Nr. 8. Streifschuß.

nassen Klumpen am Arme fest, und nun füllten wir zu dritt die Feldflaschen und Helme mit dem Wasser, das nun freilich arg genug aussah, und theilten den Jammernden mit, soweit wir konnten. Endlich war unsere Kraft am Ende, und doch schrie’s und jammerte es und zuckten die menschlichen Gliedmaßen, hoben sich flehende Hände, so weit wir sehen konnten. Dazu hinkte und kroch es nun von allen Seiten heran; ich wurde von dem Wasserloch weggedrängt, Jeder wollte nur die Zunge kühlen, trotzdem längst mehr Blut als Wasser darin war. Da machten wir zu dritt uns auf, den Verbandplatz zu suchen, wären aber nicht weit gekommen, wenn wir nicht nach wenigen Schritten das große Glück gehabt hätten, den Schlachtfeldengeln in die Hände zu laufen.“

„Ja, wie Engel erschienen sie Einem,“ nahm ein Anderer das Wort, „besonders wenn man, wie ich, den halben Tag und eine ganze Nacht im nassen Getreide vergeblich auf sie gewartet hat; sie können nichts dazu, daß der Himmel miserabel aussah, in den sie uns brachten, denn ich lag dann mit meinem Schuß durch die rechte Hüfte noch fünf volle Stunden auf dem blanken Boden in einer Scheune und mußte sogar den Säbel ziehen, um das böhmische Gesindel von mir abzuwehren, das die Auskleiderdienste bei mir verrichten wollte. Man mußte ja froh sein, nur irgendwo untergesteckt zu werden, und da konnten unsere Wachen nicht überall zur Hand sein.“

„Und ich war froh,“ erzählte ein Dritter, „wieder in’s Freie, wenn auch auf nasses Stroh, zu kommen. In der Schulstube, wo ich neben dem Ofen lag, sah es wie in einer Metzgerei aus, so lagen die amputirten menschlichen Gliedmaßen umher, dazu das gräßliche Schmerzgebrüll und Todesächzen, und endlich fand sich bald ein Pestgestank ein, der mich erstickt hätte, wenn ich nicht einem noch schwerer Verwundeten hätte Platz machen müssen.“

„Und der Hunger!“ rief Einer, „und gar der Durst!“ fielen Alle ein. „Das war doch das Schrecklichste, das einen nicht blos auf dem Schlachtfelde und in den Verbandhöhlen, sondern ganz besonders in den geschlossenen Eisenbahnwägen während der heißen Tage fast um den Verstand brachte. Ich werde keinen Güterwagen mehr ansehen können, ohne an den Marterkasten zu denken,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 461. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_461.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)