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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

verborgener Stachel hinter den Lippen sitzt! … Sie finden es vielleicht unbegreiflich,“ hob er nach einem momentanen Schweigen wieder an, „daß ich nach Ihrer letzten Erklärung noch ein Wort verliere, aber die drei Fragen sind viel zu theuer erkauft, um ihre Erledigung so ohne Weiteres aufzugeben… Ich will billig sein, die erste haben Sie mir bereits beantwortet, aber als Numero zwei möchte ich gern wissen, ob Sie mit der Hofräthin Falk, also auch mit den Dorn’s, verwandt sind?“

„Nein.“

„Nun, warum tragen Sie mir da den unseligen Familienhaß entgegen, als seien Sie der allernächste Abkömmling des alten Erich Dorn?“

Sie sah erstaunt auf. Dieser Barbar begriff nicht einmal, daß er sich vor wenig Augenblicken einer unverzeihlichen Rohheit schuldig gemacht hatte, infolge deren ihn jedes Frauengemüth verurtheilen müsse… Las er auf ihrer Stirn diesen Gedanken, der freilich noch einen besonderen Ausdruck erhielt durch einen indignirten, über den Schutt hinstreifenden Blick des jungen Mädchens? Genug, er streckte ihr die Hand entgegen, als wolle er die Antwort abwehren, die bereits auf ihren Lippen schwebte.

„Nein, nein, sagen Sie nichts!“ rief er hastig und bemüht, seinen Worten abermals einen Anstrich von Humor zu geben, „ich war mit dieser Frage unvorsichtig wie ein Kind, das sich auf einbrechendes Eis wagt! … Sie wollten mir eben antworten, es bedürfe der alten, verschimmelten Traditionen ganz und gar nicht, um in mir ein haarsträubendes Beispiel männlicher Willkür und Brutalität zu sehen; hier liege der Beweis vor Ihren kleinen Füßen u. s. w. u. s. w. … Ich führe eine Art Einsiedlerleben und habe mich bisher auch nie darum gekümmert, was jenseits dieses Zaunes lebt und webt und vorgeht, ich weiß also nicht einmal, in welchen Beziehungen Sie zu dem Haus da drüben stehen.“

Lilli lachte innerlich über die Schlauheit, mit der er sich in Betreff ihrer Person zu orientiren suchte.

„Gehört das in das Bereich Ihrer Fragen?“ fragte sie ohne aufzublicken.

„Nein, um’s Himmelswillen nicht! Ich muß haushälterisch sein … aber Sie würden mir einen großen Theil meiner Vertheidigungsrede ersparen, wenn Sie mir wenigstens sagen wollten, seit wie lange Sie hier sind.“

„Seit gestern.“

„Ah, dann muß ich Sie freilich bitten, mir noch einige Augenblicke Gehör zu schenken! … Ich bin, nach langen Irrfahrten durch die Welt, schließlich zu der Ueberzeugung gekommen, daß ich das beste Theil meines Lebens – d. h. den Moment, wo die Seele mit der ganzen übrigen Welt in vollkommener Harmonie steht, mithin ihren Frieden hat – in den ersten sechs Jahren meines Daseins zu suchen habe. Infolge vielfacher Enttäuschungen verfiel ich endlich dem leidigen Aberglauben und vermuthete im Lande meiner Geburt einen Hort, einen Zauber, der mich sofort in das Glück des ursprünglichen Friedens zurückversetzen müsse. Sie werden begreifen, daß ich mich ohne Weiteres auf den Weg nach Thüringen machte.“

Er hatte in leichtem Scherz gesprochen, aber Lilli’s feinem Ohr entging die Bitterkeit nicht, die leise hindurchklang.

„Das begreife ich vollkommen,“ entgegnete sie, „aber es ist mir ein Räthsel, wie Sie Ihren innern Frieden darin finden können, Andern das Dasein zu verbittern.“

„Das wäre auch für mich selbst eine ebenso unlösbare Aufgabe, wie der Gedanke, daß diese Andern die Annehmlichkeit ihres Daseins auf so viel Hinfälligkeit stützen mögen.“

Er überblickte bei diesen Worten spöttisch die allerdings sehr altersschwachen Wände des Gartenhauses.

„Sie sehen,“ fuhr er in dem früheren humoristischen Tone fort, „ich kam in der friedlichsten Absicht hierher. Ich hatte sogar rein vergessen, daß die alte Frau da drüben, von allen Kindern aus der Stadt schon damals ‚Tante Bärbchen‘ genannt, für mich nur kalte, strenge Blicke hatte, was mich, als kleinen, heißblütigen Jungen, oft so ingrimmig machte, daß ich Steine in ihre Zwetschenbäume warf… Sie hat den Familienhaß treulich festgehalten, ihr Blick ist nicht wärmer geworden. Trotzdem lag es durchaus nicht in meinem Willen,“ sagte er ernster, „ihr feindselig gegenüberzutreten, ich entschloß mich ja sogar, ihre Besitzung zu kaufen, um dies klägliche Zerrbild eines Pavillons aus meinen neuen Anlagen ungehindert entfernen zu können; nicht allein, daß mein Schönheitssinn durch dasselbe stark beleidigt wird, sondern hauptsächlich, weil ein besonderer Umstand es mir zur Pflicht macht, diese Ausschau auf meinen Grund und Boden nicht zu dulden.“

„Dieser besondere Umstand ist uns durchaus kein Geheimniß, verehrtester Herr Blaubart!“ dachte Lilli und ließ zum ersten Mal ihre großen, dunklen Augen voll und fest auf seinem Gesicht ruhen… Hatte sie den dämonischen Zauber jenes Märchenhelden vergessen, der immer und immer wieder die Mädchenseelen hinüberzog in sein Bereich? … Wer mochte auch daran denken! Diese Gefahr lag so fern! Waren auch jene männlich schönen Züge dort unergründlich für ihren unerfahrenen Blick, so schwebte doch in der That, als untrügliches Warnungszeichen, ein tiefer, blauer Hauch um das Kinn und den unteren Theil der Wangen. … Ah, sein Gewissen war doch wohl noch nicht gänzlich verhärtet; denn ihr forschendes Aufblicken hatte eine eigenthümliche Wirkung! Er verstummte plötzlich mitten in seiner Rede; es war, als ob sich sein Auge erweitere und aufflamme … war es die Verwirrung des Schuldbewußtseins? Sie wußte es nicht; aber es lag in diesem Ausdruck Etwas, das beklemmend auf sie zurückwirkte.

„Ah, die Lösung, die Lösung!“ rief er mit gänzlich veränderter Stimme, es klang fast, als erwache er aus einem Traume und spräche mit sich selbst.

„Ja, die Lösung des Räthsels war gar nicht so schwer, das hat selbst die alte Dorte herausgebracht,“ dachte Lilli, schlug aber doch, trotz dieser inneren kühnen Bemerkung, die Augen nieder. Er ging einmal draußen auf und ab und nahm dann seine vorige Stellung wieder ein.

„Ich bin ein schlechter Advocat,“ sagte er lächelnd und bemüht, den leichten Ton wieder aufzunehmen. „Mitten in meiner wohlgesetzten Rede reißt mir der Faden … aber ich machte plötzlich eine wunderbare Entdeckung. Es lag Etwas wie eine dunkle Weissagung in meiner Seele, und ich fand, daß sich dies Etwas mit der Schnelligkeit des Blitzes an einem einzigen Strahl erfüllt habe.“

Er strich mit der Hand über die Stirn, als wolle er seine Gedanken sammeln; Lilli aber schickte sich an, den Pavillon zu verlassen. Es kam eine unerklärliche Bangigkeit über sie, er war doch zu sonderbar. Auch fiel ihr ein, daß es eigentlich ganz gegen Sitte und Anstand sei, einem ihr gänzlich fremden Herrn, und noch dazu einem ausgesprochenen Widersacher der Tante, ein längeres Gespräch zu gestatten. Sie hatte den Reiz seines originellen Wesens auf sich einwirken lassen, das war thöricht gewesen und mußte nun so schnell wie möglich wieder gut gemacht werden.

„Nun, darf ich meine Vertheidigung nicht zu Ende führen?“ fragte er bittend, als sie sich der Thür näherte.

„Den Schluß kann ich Ihnen selbst sagen,“ entgegnete sie, das Gesicht halb nach ihm zurückwendend. „Sie haben die Hofräthin Falk gerichtlich verklagt; das Recht ist Ihnen zugesprochen worden, und da Ihr leidenschaftlicher Wunsch nicht sofort in Erfüllung gegangen ist, so sind Sie zornig geworden, haben dies Loch in die Wand schlagen lassen und erwarten nun ohne Zweifel eine unvergleichliche Wirkung dieses Gewaltstreichs.“

„Leidenschaftlich, zornig, Gewaltstreich!“ wiederholte er mit persiflirendem Pathos, aber ein tiefer Verdruß ließ sich in Stimme und Gesichtsausdruck nicht verkennen. „Noch einige wenige Striche, und das Portrait eines Wütherichs ist fertig! … Ich kann Ihnen übrigens versichern, daß ich trotz all dieser aufgebürdeten Laster ein Freund der Wahrheit bin, und will deshalb nicht verhehlen, zornig geworden zu sein. Die alte Frau hat mich bitter gereizt. Es sind bereits mehrere Tage über die ihr festgestellte Frist verflossen; aber vielleicht hätte ich doch noch nicht zur Selbsthülfe gegriffen, wären nicht gestern durch nächtliche Erscheinungen an diesem Fenster Aufregung und Schrecken auf meinem Gebiet hervorgerufen worden.“

Also ihr unverantwortlicher Leichtsinn war in der That schuld an der heutigen Katastrophe! Diese Gewißheit wirkte sehr deprimirend auf das junge Mädchen. Der Fehler ließ sich nicht wieder ausgleichen, aber sie konnte ihn wenigstens sühnen dadurch, daß sie frei bekannte, wer die Schuldige gewesen. Sie öffnete eben die Lippen zu einer Entgegnung, als die tiefe, aber weithin schallende Stimme der Hofräthin vom Hause her ihren Namen rief… Wie kam es nur, daß ihr plötzlich der Gedanke überaus peinlich war,

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