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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

den kleinen Salon. Die undurchdringlichen Staubwolken, die zu gleicher Zeit aufwirbelten, nöthigten das junge Mädchen, vor die Thür zu flüchten, aber nur für einen Augenblick wich sie, die Bilder mußten ja gerettet werden, ehe der Vandale draußen sein Zerstörungswerk fortsetzte. Sie war eben im Begriff, in das Zimmer zurückzukehren, als es von fern herüberklang: „Halt, halt, es ist vorläufig genug!“

Es war dieselbe Stimme, die gestern Abend den Neger in’s Haus berufen hatte, eine volltönende, männliche Stimme, der man es anhörte, daß sie gewohnt sei, zu befehlen. Ah, das war sicher der Blaubart gewesen! Er schien das Werk seiner Rache in höchsteigener Person besichtigen zu wollen, denn ein rascher, fester Männerschritt näherte sich dem Pavillon… Sollte sie fliehen? Nein. Sie war tief empört über die Gewaltthätigkeit dieses Mannes, er sollte empfinden, daß er verachtet werde, daß Andere Ruhe genug besäßen, um seiner Brutalität und Anmaßung entgegenzutreten. Sie trat an den Tisch, der inmitten des Salons stand, stellte eine leere Kiste auf denselben und fing an, scheinbar höchst gleichmüthig, das herumliegende Spielzeug einzupacken.

„Jacques,“ sagte die Stimme jetzt dicht hinter dem Fensterladen, sie klang in diesem Augenblick sehr streng und herrisch, „ich hatte befohlen, daß man zuerst dies Fenster öffnen und sich überzeugen solle, ob nicht innerhalb der Wand sich irgend etwas befinde, das beschädigt werden könnte; weshalb ist das unterblieben?“

„Ach, gnädiger Herr,“ entgegnete der Maurer an Stelle des zur Verantwortung gezogenen Dieners, „was soll denn da drin sein? Die Alte wird doch wahrhaftig nicht ihre Kostbarkeiten in der Rumpelkammer aufheben!“

Es erfolgte keine Antwort; statt dessen erschien eine Männergestalt in der Maueröffnung und sah herein. Unwillkürlich hob Lilli die gesenkten Lider. Da standen sie sich gegenüber, Auge in Auge, der fürchterliche Blaubart und die junge Dame, die plötzlich ihre ganze, bedeutende Dosis Trotz und Willensstärke nöthig hatte, um in diesem wichtigen Augenblick nicht aus ihrer Heldenrolle zu fallen. Sie schalt sich innerlich „ein ganz erbärmliches Menschenkind“, weil sie nicht vermochte, den rebellischen Blutwellen zu gebieten, die unter jenem Blick ihr Gesicht überflutheten. Sie überredete sich, nur einen Moment flüchtig hinübergesehen zu haben, und wußte doch ganz genau, daß dort eine kräftig gebaute Gestalt von höchst eleganter Haltung stehe, daß ferner auf dieser Gestalt in der einfachen, braunen Joppe ein auffallend schöner, jugendlicher Männerkopf sitze mit Zügen, die allerdings dämonisch genug aussahen, um den ihm octroyirten, nicht sehr schmeichelhaften Beinamen zu bestätigen.

Er stand einen Augenblick wie angewurzelt vor Ueberraschung; dann aber bog er sich in das Zimmer und betrachtete die Verwüstung, die der Maurer angerichtet. Ohne das Auge wieder zu erheben, bemerkte Lilli doch, daß er leicht mit dem Fuße stampfte.

„Wie ungeschickt!“ murmelte er mit einem Blick nach den Leuten, die verblüfft dastanden. „Ich hoffe, ich bin noch rechtzeitig gekommen, um ein größeres Unglück zu verhüten?“ sagte er mit einer leichten Verbeugung zu Lilli.

Keine Antwort.

Er wandte sich ab und schleuderte die brennende Cigarre, die er zwischen den Fingern hielt, hinüber auf den Rasenplatz. Die Leute entfernten sich stillschweigend. Lilli hoffte, er werde dasselbe thun, denn sie wollte um keinen Preis zuerst das Feld räumen, das hätte wohl am Ende gar ausgesehen wie Flucht, und doch mußte sie sich innerlich eingestehen, daß sie am liebsten so schnell wie möglich auf und davongelaufen wäre.

Aber da stand er schon wieder vor der Mauerlücke. Er hatte die Arme über der Brust verschränkt und lehnte sich mit einer Ruhe und Zuversicht an einen der bloßgelegten Balken, als stehe er hier auf dem Boden freundschaftlichen Verkehrs und nicht an der Schwelle eines feindlichen Gebietes. Lilli fühlte, wie sein Auge unverwandt auf ihr ruhte, sie hätte verzweifeln mögen vor Ungeduld und Verlegenheit, aber nun galt es doppelt, mit sicherer Haltung aus dieser schwierigen Lage hervorzugehen. Sie würdigte ihn keines Blickes und legte eine große Puppe in den Kasten, deren lange, blonde Locken unter einem Kindermützchen hervorquollen.

„Ein reizendes Geschöpfchen!“ unterbrach er plötzlich das peinliche Schweigen. „Es würde mich sehr interessiren, zu wissen, ob es auch schreien kann.“

Welche Ironie lag in dieser Stimme! Er hatte die Absicht, sie zu beleidigen, er behandelte sie wie ein Kind! Tief empört warf sie ihm einen zornsprühenden Blick zu.

„Ah, gut!“ rief er, indem er lächelnd diesen Blick auffing, „Ich wollte einfach wissen, ob Sie des Deutschen mächtig sind. Es bleibt mir in diesem Augenblick kein Zweifel, und so darf ich wohl hoffen, daß Sie mir wenigstens eine Frage beantworten: Wollen Sie mir verzeihen, daß Sie durch mein Verschulden erschreckt und gestört worden sind?“

„Ich erschrecke nicht so leicht, somit bin ich wohl jeder ferneren Antwort überhoben?“

Es zuckte etwas wie ein Wetterleuchten über sein Gesicht, aber er machte nicht die geringste Bewegung, seinen Posten zu verlassen.

„Nothgedrungen muß ich mich damit zufriedengestellt erklären,“ entgegnete er endlich mit Humor. „Aber sagen Sie selbst, ob Moses, nachdem er den ersten süßen Laut der von ihm hervorgelockten Silberquelle gehört, es wohl bei diesem einmaligen Hören hat bewenden lassen? Ich bin in dem gleichen Fall, wenn ich auch eine herbe Beimischung mit in den Kauf nehmen mußte… Ich habe zwar, vielleicht die Ansprüche der allgemeinen Nächstenliebe ausgenommen, Ihnen gegenüber nicht einen Zoll breit Rechtsboden unter meinen Füßen, und dennoch unterfange ich mich, Ihnen einen Vergleich in Güte vorzuschlagen. Seien Sie wie jene freundliche Fee, die dem armen Mann drei Wünsche gewährte und gestatten Sie mir drei Fragen.“

Sie hatte die größte Selbstbeherrschung nöthig, um sich nicht von seinem Humor anstecken zu lassen. Am liebsten hätte sie ihm bei seinem originellen Vorschlag in das Gesicht gelacht, aber das durfte sie um Alles nicht dem feindseligen Nachbar gegenüber. Er mußte mit Ernst und Kälte für immer in die Schranken zurückgewiesen werden. Sie wandte ihm den Rücken, nahm eines der Bilder von der Wand, und während sie den Staub von dem Rahmen zu entfernen suchte, entgegnete sie gleichgültig: „Und was bieten Sie dagegen, wenn ich mich herbeilasse, Ihnen Rede zu stehen?“

„Nun, vielleicht – die Zurückweisung in Ihrem Gesicht läßt mich nicht bezweifeln, was Ihnen zunächst wünschenswerth ist – vielleicht das Versprechen, daß ich dann gehen und Sie allein lassen will!“

„Gut.“

„Das heißt, es bleibt nur für heute in Kraft.“

„Ich sehe die Möglichkeit nicht ein, daß wir uns je wieder begegnen werden.“

„Wollen Sie das nicht meine Sorge sein lassen?“

„Das steht Ihnen frei, ich werde es stets zu vermeiden wissen.“

Die alte Dorte hatte Recht, er war furchtbar jähzornig. Eine flammende Röthe flog über sein Gesicht, während er die Lippen fest aufeinander preßte, als wolle er einen Strom heftiger Worte gewaltsam unterdrücken. Mit einer ungestümen Bewegung trat er einen Schritt in den Garten zurück, riß von einem nahestehenden Rosenstrauch zwei Blüthen ab, zerdrückte sie in der geballten Hand und ließ sie dann auf den Boden fallen.

Lilli sah erschreckt zu ihm hinüber. Sie hatte ihn tief verletzt… Wie thöricht! es kam urplötzlich wie ein Anflug von Reue über sie, daß sie so herb geantwortet hatte, aber der Mann, der Tante Bärbchen so tief kränkte, er verdiente ja ganz und gar keine Schonung. Es war überhaupt, gelind geurtheilt, sehr rücksichtslos von ihm, sie in ein Gespräch verwickeln zu wollen, sie, die doch nothwendig auf Seiten der angefochtenen und beleidigten Nachbarin stehen mußte. Sie hatte sich mittels dieser Raisonnements sehr schnell wieder in ihre abweisende Haltung hineingefunden und nahm jetzt, als denke sie gar nicht mehr daran, daß er noch draußen stehe, geschäftig ein zweites Bild von der Wand. Auch das verscheuchte ihn nicht. Er schien seine Entrüstung bekämpft zu haben, wenigstens war das Auge nicht mehr zornfunkelnd, das einen Moment ihren schnell vorbeihuschenden Blick traf. Er trat wieder näher und betrachtete die innere Fläche seiner kräftigen, aber schöngeformten Hand, ein Tropfen Blut rieselte über die weiße Haut.

„Da sehen Sie,“ sagte er, indem er einen Dorn aus dem Fleisch zog, „die Nutzanwendung bleibt stets neu, wenn auch das abgenutzte Wort: ‚Keine Rose ohne Dornen‘ nicht einmal in dem Aufsatz eines Schulkindes mehr Raum finden mag… Wer denkt aber auch,“ sein Auge glitt bei diesen Worten über die Puppen auf dem Tisch und ein sarkastisches Lächeln zuckte um seinen Mund, „daß bei einer so kindlich lieblichen Beschäftigung der Hände ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_450.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)