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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

ließen sie die Pferde bis auf zwanzig Schritt heran, dann krachten wohlgezielte Salven aus den Reihen des Quarrés. Unheimlich weiße Dampfwolken bedeckten einen Augenblick das Schlachtfeld, aber als der Dampf sich verzog, sah man eine blutige und zuckende Masse todter und verwundeter Menschen und Pferde rings um das Füsilier-Bataillon des zwanzigsten Regiments aufgehäuft.

Gegen Abend mußten die braven Füsiliere noch ein heftiges Kartätschenfeuer aushalten. Selbst in diesem mörderischen Gefecht, wo die Kugeln wie Schwärme Bienen umherflogen und summten, konnte der unverwüstliche Humor der Berliner nicht zum Schweigen gebracht werden. „Jungens, steht fest!“ rief der Wehrmann Elsholz und riß Witz auf Witz, so daß sich Viele des lauten Lachens nicht enthalten konnten.

Die Artillerie hat sich mit großer Ruhe benommen und vortrefflich geschossen. Dem Lieutenant Stichling vom siebenten Feld-Artillerie-Regiment wurde von einem Bombenbruchstück das halbe Gesicht zerrissen, er war auf der Stelle todt. – Hauptmann Caspari vom vierten Festungs-Artillerie-Regiment commandirte die Ausfallbatterie siebenpfündige Haubitzen und schoß vortrefflich. Seine Granaten schlugen sichtbar in die feindlichen Colonnen ein und richteten große Verheerungen an. – Lieutenant Hupfeld von demselben Regiment stand auf dem rechten Flügel isolirt, die kleine Infanterie-Bedeckung, die er hatte, war theils todt, theils verwundet, er selbst hatte eine Attaque nach der andern abgeschlagen und selbst Bombenfeuer aushalten müssen. Da kamen die Cambridge-Dragoner herangesprengt, einen letzten Versuch zu wagen, die Geschütze zu nehmen. Hupfeld empfing sie mit vier Kartätschenschüssen, welche die meisten aus den Sätteln warfen oder zurückjagten. Nur der Rittmeister William von Einem mit mehreren Dragonern setzte mitten zwischen unsere Kanonen und hieb Alles nieder, was sich ihm in den Weg stellte. Der Kanonier Rudloff, ein Veteran aus Schleswig, dessen Brust mehrere Orden schmücken, blutet bereits aus vielen Wunden, aber er hat sich vorgenommen, sein Geschütz bis zum letzten Athemzuge zu vertheidigen. Grimmig stürzt er sich mit einem Satze auf den feindlichen Officier, parirt alle seine Hiebe und stößt ihm sein scharfes Faschinenmesser bis an’s Heft durch den Leib. Lautlos sinkt der tapfere Officier aus dem Sattel, ein Märtyrer der hannoverschen Waffenehre. Die andern in die Batterie eingedrungenen Dragoner wurden gleichfalls niedergemacht. Lieutenant Hupfeld sieht mit Schmerzen, daß die Protzen seiner Kanonen zerschossen und zerbrochen sind, die Stränge durchgehauen und durchgeschnitten, die meisten seiner Pferde erschossen sind und, was das Allerschlimmste, die Munition zu Ende ist. Schon nahen wieder feindliche Colonnen heran, schon schlagen die Kugeln hannoverscher Gardejäger in die Batterie, er befiehlt mit schwerem Herzen den Rückzug. Die Artilleristen werfen sich auf die erbeuteten feindlichen Pferde, nehmen alle eigenen leichtverwundeten Pferde, die nur irgend fortkommen können, an die Hand und reiten zurück. So weit die Nationalzeitung.

Von dem Artillerie-Lieutenant von Hochwächter wird noch Folgendes erzählt. Mitten im dichtesten Kugelregen stand ein preußisches Geschütz. Die hannoverschen Shrapnells hatten die preußischen Kanoniere weggerafft, nur der Artillerie-Lieutenant von Hochwächter harrte noch aus. Das Geschütz aber mußte aus der hannoverschen Schußlinie. Etwa einhundert Schritte hinter der Kanone standen die Zugpferde. Der Lieutenant eilte auf sie zu, da schlug eine feindliche Kugel dicht beim Gespanne ein und riß die Pferde nieder. Noch weiter zurück sah Hochwächter einige ledige Handpferde stehen; in raschem Sprunge war er an der Stelle, sprengte mit ihnen zurück, spannte sie, von den feindlichen Kugeln umschwirrt, vor das Geschütz und fuhr dieses, selbst unversehrt, von der gefährlichen Stelle hinweg und in Sicherheit.

Im Ganzen concentrirte sich das Hauptgefecht zwischen den sogenannten Jüdenhügel (Preußen) und Merxleben (Hannoveraner). Die Preußen griffen mit großer Energie an. Von allen Seiten ließen die Schützenzüge ihr verheerendes Feuer spielen und namentlich das Zündnadelgewehr zeigte seine entsetzliche Macht, aber auch die Hannoveraner mit ihren Geschützen, die Granaten und Kartätschen warfen, lichteten mörderisch die Reihen der Preußen, besonders waren auch das Gothaische Bataillon und der Rest des Coburgischen, welche die Geschütze deckten, dem heftigsten Granatfeuer ausgesetzt.

Der Angriff mißlang, wollten aber die Hannoveraner sein Mißlingen benutzen und einen Erfolg herbeiführen, so mußten sie selbst zum Angriff übergehen. Ihre Cavallerie sucht über die Brücken vor Merxleben vorzudringen, aber ihrem Vorgehen ist hier die Lage ebenso hinderlich, als sie der Vertheidigung günstig gewesen war, Kartätschen hageln in voller Ladung auf sie nieder, daß ganze Schwadronen in Verwirrung gerathen, Kehrt machen und mancher Reiter in den Fluß stürzt. Auch das wiederholt sich. Aber endlich dringt der Feind von den Endpunkten seiner Stellung, bei Thamsbrück und Nägelstädt, aus vor und droht, die geringe preußische Macht zu überflügeln.

Jetzt ist diese, nachdem der ungleiche Kampf bis Nachmittags drei Uhr gedauert hat, zum Rückzug genöthigt. In Eile, aber noch wohl geordnet, keineswegs in Auflösung, gewinnt sie die Hennigsleber Höhe. Zwei Quarrés bestehen hier noch glänzende Gefechte mit Cavallerie; ein stark decimirtes Bataillon des fünfundzwanzigsten Linien-Regimentes mit Zündnadelgewehren läßt von mehreren Schwadronen nur wenige Mann unverschont, ein Häuflein, das sich erst wieder um zwei Geschütze gesammelt hat, läßt die Schwadron auf zwanzig Schritte herankommen, um sie alsdann zu vernichten.

Die Verfolgung, obwohl die Hannoveraner noch zwei Compagnien Landwehr gefangen nahmen, ließ bald nach, diese Entschlossenheit in Verbindung mit dem Uebergewicht des Zündnadelgewehrs schien zurückzuschrecken und in guter Ordnung kehrte man in eine feste Stellung, auf der Höhe von Warza, zurück.

Der Kampf hatte halb zehn Uhr früh begonnen und endete erst gegen Abend. In der Zeit weniger Stunden waren nahezu Viertausend gefallen, todt oder verwundet. Das Schlachtfeld war besät mit Menschen- und Pferdeleichen und Leibern, das Blut bildete wahre Lachen, die Seufzer, das Stöhnen und die unaussprechlichen Jammerlaute und Hülferufe Schwerverwundeter zermalmten ein Herz von Stein. Es flossen selbst von Solchen Thränen, die lange schon keine Zähre mehr gekannt. Weinten doch selbst die Augen des blinden Königs Georg, rang doch selbst sein Thronerbe die Hände, als Beide noch an selbem Tage über das Schlachtfeld schritten und diese grausige Menschenschlächterei wahrnahmen. Niemals habe ich so viele bleiche, entsetzte Gesichter gesehen als an diesem Abend!

Sofort sah man hülfreiche Hände und barmherzige Herzen von Nah und Fern in unermüdlichem Eifer auf dem Schlachtfelde Verwundete erheben, verbinden und in die schleunigst eingerichteten Lazarethe unterbringen. Die erwähnten braven Turner opferten sich förmlich auf, ebenso thätig und opferfreudig waren die Bürger, die Aerzte, selbst das zarte, sonst so furchtsame Geschlecht der Frauen traf man auf den Stätten des Grauens im Feld und Lazareth, unermüdet Wunden verbindend, Labungen spendend, Seufzer und Thränen stillend. Unter einer drückenden Gewitterschwüle arbeiteten die herbeigeeilten Aerzte aus Langensalza, Gotha und Mühlhausen, von Abend die Nacht hindurch die schwersten Verwundungen in Masse zu untersuchen und zu verbinden, fortwährend Amputationen an Armen und Beinen vorzunehmen, Sterbende und Todte von Lebenden zu scheiden, im Blute förmlich zu waten und zu baden. Frauen und Jungfrauen knieten und saßen Tag und Nacht an den Strohlagern der Verwundeten, Freund und Feind Labung und Trost spendend. Zur Pflege der Leidenden in den vielen Lazarethen wurden außerdem eine Anzahl Frauen der arbeitenden Classe in Dienst genommen, beaufsichtigt und belehrt von barmherzigen Schwestern aus den westphälischen Klöstern und von Frauen des Johanniter-Ordens. In Zeit weniger Tage sahen sich die armen Verwundeten auf saubere Matratzen gebettet, in Bettstellen gehoben, mit reiner Wäsche und mit allem Nothwendigsten reichlich versehen, sattsam und rechtzeitig gespeist und getränkt. Aus Gotha, Mühlhausen, Erfurt, Nordhausen, ja selbst aus Hannover kamen ganze Wagenladungen mit Betten, Leinwand, Charpie, Wein, Fruchtsäften und Eßwaaren aller Art – eine liebe herzige, für Viele aber zu späte Hülfe.

Der König selbst, welcher seinen ausrückenden Truppen stets voranging, gewöhnlich zu Pferde und gefolgt von einer langen Reihe prächtiger Hofwagen mit Hofstaat und Ministern und unter starker Cavallerie-Begleitung, hatte am Schlachttage die Stadt verlassen und sein Domicil in der Pfarre zu Thamsbrück genommen, von wo er nach dem Kampfe über Merxleben zurückkehrte und zwar zum Klagethore herein, durch die Neustadt, um sein Quartier im Schützenhaus wiederum zu nehmen. Er verweilte noch zwei Tage am Orte, besuchte in Begleitung des Kronprinzen sämmtliche Lazarethe, meist aber am späten Abend und in der

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