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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 28.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Blaubart.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)

„Tante, kennst Du die Geschichte von Adam und Eva?“ fragte Lilli plötzlich. Ihr Blick hing unverwandt an dem südlichen Eckfenster, durch welches der Thurm des Nachbarhauses hereinsah. Die Hofräthin saß auf der Estrade und spann. Mit einer raschen Wendung des Kopfes sah sie auf das junge Mädchen hinab, während ein verhaltenes Lachen um ihre Mundwinkel zuckte.

„Närrchen Du!“ sagte sie kopfschüttelnd, tauchte den Finger in das Netzbecken und spann weiter.

„Die Aepfel haben ihnen nur so gut geschmeckt, weil sie verboten waren,“ fuhr Lilli mit unzerstörbarem Ernst fort. „Tante Bärbchen, ich habe eben meine Augen wieder ertappt, wie sie nach dem Thurmfenster hinübersahen und gar zu gern herausgebracht hätten, was das Glasgemälde vorstellt. Es ist schlecht von ihnen, sehr schlecht, denn Du hast es verboten; aber man muß ihnen auch ein wenig zu Hülfe kommen, hast Du nicht irgend einen alten, dicken Teppich, den man vor das Fenster nageln könnte, oder –“

„Ei, das fehlte noch, daß ich mir Licht und Luft absperrte, um Derer da drüben willen!“ unterbrach sie Tante Bärbchen halb lachend, halb ärgerlich. „Kind,“ fuhr sie fort, und das Summen des Spinnrades schwieg, „Du nimmst wieder einmal eine sehr ernste Sache von der spaßigen Seite; aber ich kann Dir versichern, daß sie ganz und gar nicht spaßhaft ist… Ich habe unter den Impertinenzen der Huberts jetzt noch mehr zu leiden, als dazumal, wo mir der unverschämte Junge meinen ganzen Kinderfrieden zerstörte.“

„Wie, ist der wieder da und guckt über den Zaun?“

„Lilli, sei kein solcher Kindskopf!“ sagte die Hofräthin mit einem Anflug von Ungeduld in der Stimme. „Der wäre jetzt seine wohlgezählten sechszig Jahre alt und da klettert man nicht mehr an den Zäunen herum. Der ist todt und seine Frau auch, und ich hätte mir in meinem ganzen Leben nicht träumen lassen, daß da drüben noch einmal Einer herumhantieren würde mit dem Hubert’schen Starrkopf und Hochmuth. Aber da kam er doch eines Tages dahergebraust, wie das böse Wetter, der Letzte der schlimmen Familie… Da drüben blieb kein Stein auf dem andern und kein Grashälmchen durfte mehr wachsen, wie es wollte. Nun meinetwegen, das ging mich weiter nichts an und um ungelegte Eier hab’ ich mich mein Lebtag nicht gekümmert. Daß ich aber meine gehörige Portion Aerger von der neuen Nachbarschaft haben würde, das sagte ich mir alle Tage, und da kam’s auch richtig… Kommt da auf einmal ein Commissionär zu mir und fragt im Auftrag des jungen Herrn da drüben, ob ich ihm nicht Haus und Garten käuflich überlassen wolle. Da hab’ ich aber geantwortet, wie mir um’s Herz war, und der Herr Commissionär war schneller draußen vor der Thür, als er hereingekommen ist.“

„Tantchen, ich fürchte, Du bist nicht sehr höflich gewesen.“

„Ei, da soll ich wohl auch noch meine Worte auf die Goldwage legen, wenn man mir mein väterliches Erbe feil machen will? … Der junge Herr denkt vermuthlich, weil er den Krieg in Schleswig-Holstein mitgemacht hat, da darf er nun auch Annexionsgelüste haben… Er hat übrigens meine Aufrichtigkeit sehr übel vermerkt, denn von dem Augenblick an sucht er mich zu chicaniren… Dazumal, als der Zaun angelegt worden ist, da hat es Anstoß gegeben wegen der Theilung, die Linie ist gerade durch den Pavillon gelaufen. Aber mein Großvater und der alte Hubert Dorn sind darin übereingekommen, daß er stehen bleiben solle, und weil er zur größeren Hälfte in meines Großvaters Garten gestanden und auch an der Seite die Thür gehabt hat, so ist er uns verblieben. Jetzt meint nun auf einmal der hochgeborne Herr, seine verwöhnten Augen würden durch die Rückwand des alten, einfachen Häuschens beleidigt, und will durchaus die Hälfte entfernt wissen, die auf seinem Territorium steht.“

„Wie, an dem lieben, alten Pavillon will er sich vergreifen?“ rief Lilli erregt und sprang auf. Sie hatte bis dahin, ruhig im Sessel. liegend, einen ihrer kleinen Saffianschuhe auf der Fußspitze balanciren lassen. Für den alten Familienhaß mit seinen ziemlich verblichenen Traditionen hatte sie nie ein rechtes Verständniß gehabt. Alle die Reibungen zwischen den späteren Generationen, deren Tante Bärbchen oft so entrüstet gedachte, waren ihr immer sehr abgeschmackt und kleinlich vorgekommen, deshalb hatte sie auch den vermeintlichen neuen Kummer und Aerger der Hofräthin anfänglich humoristisch behandelt. Jetzt aber erhielt sie einen schlagenden Beweis von der Böswilligkeit der unseligen Nachbarschaft, der ihr selbst in das Herz schnitt. Sie liebte den Pavillon, wie ein Kind einen alten Hausfreund seiner Eltern liebt, der es auf den Knieen schaukelt, ihm ergötzliche Geschichtchen erzählt und die schützende Hand abwehrend ausstreckt, wenn es gestraft werden soll. Sie hatte sich stets in dem alten, achteckigen Häuschen lieber aufgehalten, als drüben im großen Wohnhaus. Hier hatten sich die interessanten Lebensläufe ihrer Puppen abgewickelt, in dem gemüthlichen Salon war das kindliche Herz erfüllt gewesen von dem Selbstbewußtsein der gebietenden Hausfrau, denn sie durfte ihn benutzen als Empfangszimmer für ihre kleinen Besuche aus der Stadt, deshalb hieß er auch „Lilli’s Haus“. Die alten Wände waren Zeugen ihrer ganzen Kindesglückseligkeit gewesen, aber sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_433.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)