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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Ich fürchte mich vor ihr. Und ein zartes, furchtsames Mädchen! Nun, Punkt sieben bin ich bei Ihnen.“

„Gut! Die Clara fürchtet sich, hoffe ich, nicht. Bis heut’ Abend also. Bringen Sie den Schunke mit und den Ortlepp.“

Die beiden Männer trennten sich und verfolgten ihre Wege, Friedrich Wieck in den Noten blätternd, Robert Schumann in tiefes Sinnen verloren, die Stirn gesenkt. So kam es denn, daß er sich endlich, statt vor seiner Wohnung in Riedel’s Garten, am entgegengesetzten Ende der Stadt unter den grünen Bäumen des Schwanenteichs wiederfand.

Was hatte ihn denn so gefangen genommen in Sinn und Gedanken? Waren es melodische Träumereien, eine Fata Morgana künftiger Schöpfungen? War es der Dämon Chopin, dessen seltsame, phantastische Weisen ihn Tag und Nacht verfolgten, oder ein feines Köpfchen, umgeben von einem Kranz dunkler Flechten, das ihn allezeit an jenen Schutzengel daheim erinnerte? Wer weiß es? –

Wie anders und viel reicher hatte sich Schumann’s Leben gestaltet seit jenem ersten Aufenthalt des jungen Studenten in Leipzig! Eine Genossenschaft geistvoller Menschen hatte sich zusammengefunden, die mit gleicher Hingabe ein gleiches Ziel verfolgten. Namen wie Kupsch, Dorn, Banck, Bennet, Schunke glänzten unter ihnen. Geist und Talent, eine halbe Welt auszustatten, war oft in dem kleinen Musikzimmer in Riedel’s Garten versammelt. Robert Schumann selbst war aber bei solchen Gelegenheiten der Stillste unter Allen. Ernst und verschlossen von Natur, zeigte er sich meist schweigsam, forderte nie zu einem Wettkampf heraus, blieb aber doch allezeit Sieger, wenn es dazu kam. Der Klarheit seines Urtheils unterwarfen sich alle seine Freunde, und sein warmes Herz, seine wohlthuende Begeisterung, das Ueberwallen seiner Empfindung und die edle Offenheit seines Wesens versöhnten selbst gar bald diejenigen, denen seine strenge Kritik weh gethan. Und doch war dieser scharfe Kritiker, dieser denkende Kopf zugleich der glühendste Jean Paul-Schwärmer, der in der damaligen Zeit sogar, wie seine Freunde berichten und seine Briefe beweisen, in Stil und Redeweise sich mühte, sein Vorbild nachzuahmen. Wie oft fand ihn die frühe Morgenstunde noch über seinem geliebten Titan oder Hesperus, und wie manches Mal weckte er seinen damaligen Stubengenossen, um ihm mit pathetischer Stimme in höchster Erregung eine oder die andere Lieblingsstelle aus diesen Büchern vorzutragen! Auch Eichendorff entzückte ihn, und wie manches von dessen Gedichten, das später mit Schumann’scher Melodie die Welt durchzog, wurde um Mitternacht im stillen Kämmerlein vor irgend einem Freunde voll Begeisterung declamirt! Sein Gefühl für Schönheit in der Poesie, sowohl in Form wie in Ausdruck, war unendlich fein; die einfachste Strophe, die einen Andern kaum berührte, konnte ihn zu Thränen bringen. Tief ergriff ihn jenes schauerliche: „Dämmrung will die Flügel spreiten“, und das unendlich melancholische: „Aus der Heimath hinter den Blitzen roth“ ging ihm mit dem Bilde der „Waldeinsamkeit“ Tage lang nicht aus dem Sinn, als er es zuerst gelesen. –

Der Abend, an dem andere Hände den Chopin spielen sollten, war gekommen. In dem freundlichen Musikzimmer Friedrich Wieck’s hatte sich die Familie mit ihren Gästen schon versammelt, als Robert Schumann mit seinen Freunden eintrat. Die Wieck’schen Knaben hingen sich jubelnd an ihren Liebling. Nur Fink und Rochlitz waren noch da und die liebenswürdige Henriette Vogt, die junge Gattin eines kunstsinnigen Kaufmanns, in dessen Hause Schumann vor wenigen Tagen eingeführt worden war. Man begrüßte einander herzlich und bald war das lebhafteste Gespräch im Gange, ein Gespräch, das eben in dieser Zeit so oft und stets mit gleichem Eifer aufgenommen wurde: man stritt hin und wieder über Chopin.

Die jungen Musiker fühlten sich ohne Ausnahme mächtig angezogen von jener feinen, wunderbaren Natur, zu dieser düstern Harmonienfülle, die wie ein Zaubernetz sich über jede Seele warf. Allein selbst der vielbewunderte Pianist Schunke erklärte, nur mit einer gewissen Scheu an das Studium Chopin’s sich zu wagen. „Es sind gebahnte Wege, die uns Mozart und Beethoven, Haydn und Bach führen,“ äußerte er einmal; „da wandelt man in Palmenhainen und Zaubergärten, wohin aber führt uns die schlanke, blasse Hand jenes Polen? In einen endlosen Wald voll Mondschein, in dem wir uns nicht zurechtfinden, wo seltsame Stimmen

‚auf und nieder wandern‘

und allerlei Geisterspuk auftaucht.“

Unter all’ diesen Reden ging still und leise die feine Gestalt eines kaum der Kindheit entwachsenen Mädchens hin und wieder zwischen den Gästen. Ein oberflächlicher Beschauer konnte so leicht dies blasse Gesichtchen, dies schüchterne Wesen übersehen. Es war in der ganzen Erscheinung der Außenwelt gegenüber etwas von jener Schüchternheit der Mimosa, die sich bei der geringsten unsanften Berührung in sich selbst zurückzieht. Das zarte Wesen erweckte leicht den Gedanken, daß die Alltagswelt kein Boden für diese „weiße Blume“. Und doch war dies Kind bereits der Gegenstand der Aufmerksamkeit eines großen Kreises.

Von dem wunderbaren Talent Clara’s, das sich unter der energischen Leitung ihres Vaters so mächtig entwickelte, war ganz Leipzig erfüllt; von ihrem Fleiß und Eifer sprach man mit Bewunderung. Aber nur wenige Augen sahen sie daheim in ihrem Hause; dort war sie zunächst die zärtlichste Schwester, die gehorsamste Tochter. Den Künstlern und Freunden ihres Vaters gegenüber, die als Gäste sein Haus besuchten, trat sie mit der liebenswürdigsten Bescheidenheit auf. Stumm und lauschend mit glühenden Wangen und strahlenden Augen saß sie meist an der Seite ihrer Mutter in dem Kreise der ältern und jüngern Musiker, und dann und wann sagte ein liebliches Lächeln beredter als Worte:

„Ich höre gern, wenn kluge Männer reden,
Daß ich begreifen kann, wie sie es meinen.“

Heute lauschte sie achtsamer denn je, als sie Alle nach und nach wieder in’s Feuer kamen und hin- und herstritten und fragten. „O, meine kranke Hand!“ rief jetzt Robert Schumann schmerzlich. „Warum kann ich heut’ die Polonaise nicht spielen! Wer will mir seine gesunden Finger leihen? Ich würde es ihm danken mein Leben lang.“

Da sagte eine liebliche Stimme ganz laut und deutlich: „Ich!“ Und Clara stand auf, trat zu ihrem Vater, legte leise die Hand auf seine Schulter und fragte erröthend: „Papa, erlaubst Du, daß ich sie spiele? Ich glaube, ich kann es wagen! Und die kleinen Masurken auch.“

„Du hast es selber zu verantworten,“ entgegnete Wieck, „ich war nicht zu Hause, als Du sie übtest. Versuche es, mein Kind, wenn Du glaubst, es wagen zu dürfen, und wenn Schumann mit Deinen zehn Fingern zufrieden ist.“ Sie schlug die Augen zu ihm auf. Er nickte. Ein Lächeln flog über ihr Gesicht. –

Wenige Minuten später saß Clara vor ihrem geliebten Flügel und spielte Chopin.

Und willenlos traten Alle in den Zauberkreis dieser Musik und dieses Spiels, wie im Traum folgten sie der Elfengestalt, die jetzt vor ihren Augen in den verzauberten Wald huschte. Da waren die wild verschlungenen, mondbeglänzten Pfade, aber wohin führten sie? Weiter und weiter, an hüpfenden, blitzenden Irrlichtern vorbei bis zum Schloß am tiefen See. Die erleuchteten Fenster spiegelten sich in den stillen Wellen. Ein Garten voll Rosen und fremden Blumen zog sich rings umher. Auf der breiten Terrasse standen blüthenschwere Orangenbäume, in sanften Wellen strömten die Düfte daher. Wunderschöne Frauen in prächtigen Gewändern, die dunklen Locken mit Perlen durchflochten oder funkelnde Kronen von edlen Steinen über den Stirnen, wandelten im irren Licht des Mondes langsam auf und nieder, neben ihnen stolze Männergestalten in fremder, glänzender Tracht. Leises Flüstern ging herüber und hinüber, heißes Athmen, Blicke voll Gluth, zitternder Druck verschlungener Hände. Drinnen, im Riesensaal, tanzte man. Es waren wilde Tänze, Melodien, die das Blut rascher durch die Adern trieben; klirrend schlugen die Sporen gegeneinander. Und so hinreißend die Gestalten, so entzückend die Verschlingungen und Gruppen, – es war doch etwas Schauerliches in dieser Lust, etwas Dämonisches in dieser Freude: Es rasselte wie Schwerter dazwischen, es klang wie ein Aufschrei verzweifelter Liebe, es tönte wie – „Leichenjubel und Hochzeitsklänge“. Und wilder und wilder wirbelten sie durcheinander die Männer und Frauen im Tanz, glühender wurden die Umschlingungen, flammender die Blicke; die da draußen gewandelt, standen jetzt an den Thüren und schauten bleich und traurig hinein in den Wirbel der tollen Lust, bis die Kerzen plötzlich erloschen, die Musik mit einem schrillen Wehlaut abbrach und Alles aus war. Das Mondlicht fluthete durch verödete Räume, die Tänzer und Tänzerinnen waren

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