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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

war zur Hälfte aus Sinnlichkeit, zur andern Hälfte aus niedriger Habsucht gewoben. Der General Floresco, dessen Palast am Cismedjougarten Sie gesehen haben, der Polizeipräsident Marghiloman, Oberst Pisotzki, der Franzose Balliot sind Alle von ähnlichem Schlage gewesen, Keiner war anders. Was soll man also von der Verderbniß in allen Beamtenkreisen sagen, wenn die Chefs derartige Subjecte waren? Aber unter Allen war Liebrecht der Unvorsichtigste. Man fand in seinem Palaste von seiner Hand schriftliche Aufzeichnungen von allen ‚Geschäften‘, die er bei den Staatsgeldern für seine eigene Tasche gemacht hatte; man fand sogar die Notizen über die ‚Geschäfte‘, die er in Zukunft noch zu machen hoffte. Daneben fand man eine Menge Liebesbriefe, welche viele hiesige Damen auf’s Höchste compromittirt haben. Doch da ist Liebrecht.“

Ich sah nach dem Zimmer, welches mir der Gefängnißbeamte als das Gefängniß des Majors bezeichnet hatte. Am Fenster erschien für einige Minuten die kräftige Gestalt eines Mannes in den vierziger Jahren. Das Gesicht war äußerst gewöhnlich, die Züge roh und gemein.

Verwundert sah ich meinen Begleiter an. „Das war der Major?“ sagte ich; „ich begreife die Bukarester Damen nicht. Aber freilich er war der allmächtige Günstling des Hospodaren!“

Die Gestalt am Fenster zog sich zurück. Der Gefängnißbeamte trat wieder zu uns heran, um uns durch die andern Höfe zu führen. Sie waren meistens größer, als der Hof, den wir betreten hatten. Der äußere Typus der Gebäude und der Höfe war derselbe. Früher baute man alle Häuser in Bukarest nur einstöckig, wegen der Erdbeben; in neuerer Zeit ist man bei der Errichtung von Gebäuden leichtsinniger gewesen. Die Gefangenen ergingen sich auch in den anderen Höfen ganz ungenirt; Niemand zwang sie, in den gemeinschaftlichen Schlafsälen zu bleiben, welche geräumig und reinlich waren. Unsern Gruß beantworteten sie gemeinschaftlich mit einem „Mögen Sie lange leben!,“ oder „Mögen Sie gesund bleiben!“ Währenddem erzählte mir mein Begleiter wunderbare Dinge aus der geheimen Geschichte der Buskarie während der Kusa’schen Regierung. Da war ein Räuber gewesen, der zu lebenslanger Gefangenschaft verurtheilt war. Eines Tages überreichte der Polizeipräsident Marghiloman den Todtenschein des Räubers, der dahin lautete, daß der Räuber in der Buskarie gestorben sei. Aber der Todtenschein war falsch. Die Beamten hatten ihn auf Geheiß des Polizeipräsidenten gefälscht. Der Räuber verschwand aus der Gefängnißliste; dafür wurde Marghiloman sein Erbe.

„Der Räuber hält sich noch heute wohl und munter in der Moldau auf,“ fügte der Generalinspector hinzu. „Radu Angel war ein berüchtigter Räuberhauptmann. Er machte lange Zeit die nördliche Walachei unsicher, seine Bande streifte auf ihren Raubzügen bis an die Thore von Tirgowesti. Alle Bemühungen der Dorobanzen, seiner und seiner Bande habhaft zu werden, waren vergeblich. Die nach der Nacht des 11. Februars vorgenommenen Haussuchungen haben auch darüber Aufschluß gegeben. Der Präfect von Tirgowesti war ein Schwager Marghiloman’s und hatte eine Liebschaft mit der Tochter des Räuberhauptmanns. Durch seine Geliebte ließ er die Bande von allen Streifzügen der Dorobanzen auf’s Genaueste immer vorher benachrichtigen. Kann man sich also darüber wundern, daß, während das Räuberunwesen vor dem Antritt der Kusa’schen Regierung fast ganz ausgerottet war, dasselbe beim Ende dieser Regierung in vollster Blüthe stand? Jetzt ist man in Bukarest gar nicht mehr darüber in Zweifel, daß der Mörder des populären und charaktervollen Ministers Catardji, der in seinem Wagen auf offener Straße erschossen wurde, von Kusa selbst gedungen war, weil er die große Popularität des Mannes fürchtete und weil seine Unbestechlichkeit und Rechtlichkeit eine Schranke war, welche hinweggeräumt werden mußte. Einige Jahre später war es in ganz Rumänien ein öffentliches Geheimniß, daß das Gewinnen jedes Processes von der Summe abhängig war, welche die Parteien den Richtern vor dem Richterspruch auf den Tisch legten, und Kusa hat das Land mit Summen verlassen, die ihm jährlich eine Rente von hunderttausend Ducaten geben.“

Die Hausordnung in der Buskarie war übrigens außerordentlich human, noch humaner, als ich sie in französischen Gefängnissen gefunden habe. Der Gefangene konnte in gemeinschaftlichen Werkstätten arbeiten oder sich beschäftigen, wie er Lust und Neigung hatte. Selbstbeköstigung stand ihm zu Gebote, wenn er Geld hatte – Major Liebrecht speiste aus einem Bukarester Restaurant –, sonst erhielt er täglich Fleisch und hinreichende Nahrung. Das rumänische Strafgesetzbuch ist bekanntlich der französische Code pénal. An dem Tage, wo ich die Buskarie besuchte, betrug die Zahl der Gefangenen etwas über vierhundert.

Wir stiegen wieder in den noch vor dem Gefängnißthor haltenden Fiaker, um nach der innern Stadt zurückzufahren, da ich noch einen Besuch bei dem Cultusminister Rosetti machen wollte, dessen Bekanntschaft ich schon vor fünfzehn Jahren als Flüchtling in Paris gemacht hatte. Wieder war ein Stück aus der letzten Periode der Leidensgeschichte Rumäniens in der Buskarie an mir vorübergezogen. „Wahrhaftig,“ sagte ich zu meinem Begleiter, der mir während der Fahrt neue Schilderungen aus der Russenzeit und aus der Türkenperiode entwarf, „man muß anerkennen, daß das rumänische Volk nach solchen Unterdrückungen, Vergewaltigungen, Beraubungen, nach solchem materiellen und moralischen Ruin während mehrerer Jahrhunderte eine große Zähigkeit und eine große Lebenskraft besitzt, um noch aufrecht zu stehen und mit solcher Energie nach freiheitlicher und nationaler Selbstständigkeit zu ringen.“

„Gewiß,“ erwiderte der Generalinspector, „und man muß wahrhaftige Hochachtung fühlen vor dieser kleinen Minorität von Männern, welche während der Kusa’schen Regierung den Schlag vorbereiteten, die den Hospodar und seine Trabanten in einer Nacht stürzte und darauf mit solcher Energie, mit solcher Uneigennützigkeit und solchem Geschick das Steuer führte. Da ist Oberst Haralambie, tapfer, uneigennützig, rechtlich, ohne jeden Egoismus, arm – Sie wissen, ich bat Sie, ihm im Regierungspalaste einen Besuch zu machen, weil Ihr Besuch ihn in seiner ärmlichen Wohnung vielleicht geniren könnte –; da ist Johann Ghika, der ehemalige Fürst von Samos, ein Mann von großem Organisationstalent, ein Genie, voll Intelligenz und Wissen, ebenso streng, wie fein und liebenswürdig; da ist sein Bruder, Demeter Ghika, der Minister des Innern; Stourdza, der Minister für öffentliche Arbeiten, unermüdlich im Arbeiten, Fachmänner, wie man sie nur wünschen kann; da sind Golescu, Rosetti, Lecca, Bratiano, Alle freisinnig – Alle lebten sie lange Jahre als Flüchtlinge im Auslande, auch die Ghikas – welche ihr ganzes Leben der Zukunft dieses unglücklichen Landes geopfert haben. Keiner von ihnen hat auch nur einen Ducaten während der Leitung der Regierung genommen; die Reichern unter ihnen haben Hunderttausende aus eigenen Mitteln hergegeben; den Armen unter ihnen hat man einen Gehalt ordentlich aufdringen müssen.“

Der Wagen hielt. Ich stand vor dem Hause Rosetti’s, um den Flüchtling aus Paris zu besuchen, der heute die wieder aufblühende Civilisation und Cultur Rumäniens leitet.

Gustav Rasch.




Inmitten der Thüringer Romantik.


Der Frühling grünt und blüht, schön und wonnig wie nur je, er lockt hinaus zu wandern über Berg und Thal. Die Zeit ist da, wo sonst der Tourist seine Sommerfahrten beginnt, wo die kranke und die gesunde, die große und die kleine Welt die Koffer packt für Baden-Baden und Ems, für Interlaken und Vierwaldstätter See, für Rhein und Schwarzwald, für die Thüringer Wälder und Harzer Berge. Wer aber denkt heuer an Lustreisen, wer an Sommerfrischen und Villeggiaturen, wenn rundum die Kanonen drohen? Im Geiste nur versetzt man sich jetzt in jene glücklichen Tage und stillen Naturparadiese, im Geiste nur – oder als Flüchtling, um aus den Wirren und Aengsten der Gegenwart sich zu retten. Erst neulich haben wir unsern Lesern ein solches ruhiges Asyl gezeigt im schönen Schweizerlande, wir führen ihn heute nach einem andern in den Thüringer Bergen, das, abseit der großen Heerstraße, ebenfalls alle

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_411.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)