Seite:Die Gartenlaube (1866) 403.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

war, obgleich es sich mit ihm besserte und ich keine Zeit zu verlieren hatte. Therese empfing mich anfangs munter und freundlich, dankbar für meine Bemühungen um den Vater, aber immer mit einiger Zurückhaltung, so daß mir eine vertrauliche Annäherung unmöglich war. Immer hatte ich mir vorgenommen, den Maskenball zu erwähnen, und immer wurde das Gespräch abgelenkt, immer stand mir Therese zu fern, als daß ich auch nur scherzweise eine Andeutung wagen durfte, welche ihr unangenehm sein konnte. Als ich später wieder kam, fand ich sie oft nicht zu Hause. Endlich erhielt ich eines Tags ein anständiges Honorar zugeschickt; der Major schrieb dabei: er glaube jetzt nicht mehr der ärztlichen Hülfe zu bedürfen und halte es für seine Pflicht, meine kostbare und Vielen gewidmete Zeit nicht weiter in Anspruch zu nehmen. Ich sagte ihm dafür Dank und bat um die Erlaubniß, mich zuweilen nach seinem Befinden erkundigen zu dürfen. Der Major konnte das nicht wohl ablehnen, aber ich merkte wohl, es war nicht ganz nach seinem Wunsche. Ich sollte also wegbleiben. Und das geschah.

Inzwischen hatten Bekannte mich beim Major ein- und ausgehen sehen. Der Eine sagte, von Dem treffe das Wort zu: „Schulden wie ein Major“, der Andere nannte ihn einen sonderbaren Kauz. Mich hatte der Mann höchst anständig bezahlt; ich erkundigte mich nach seinen Verhältnissen und erfuhr nun Folgendes:

Allerdings hatte der Major vor einigen Jahren ziemliche Schulden gehabt; es war aber weniger ihm selbst zur Last zu legen, als vielmehr seiner Frau, welcher er die Wirthschaft vollständig überließ und die doch der Sache nicht Herr war und sich durch Rang und Würde für verpflichtet hielt, ein großes Haus zu machen. Für diese Verpflichtung langte freilich das Gehalt nicht, allein die Frau Majorin wollte trotzdem nichts von Einschränkung wissen, verrieth ihrem Gemahl nicht, daß es da und dort fehlte, und fuhr in ihrer Wirthschaft fort bis an ihr seliges Ende. Nun fanden sich ein paar Tausend Thaler Schulden und der Major meinte, darunter ersticken zu müssen. Indeß Therese nahm sich der Sache an und brachte es durch alle möglichen Einschränkungen dahin, daß die Last jetzt nach drei Jahren fast abgetragen war. Man sagte mir, sie vermeide ungeachtet ihrer Jugend alle größeren Gesellschaften, trage sich stets höchst einfach und lege sich überhaupt alle möglichen Entbehrungen auf, damit ihr Vater nicht von seiner gewöhnten Lebensweise ablassen müsse.

Mit diesen Nachrichten nahm mein Interesse an dem jungen Mädchen nicht wenig zu, aber ebenso mein Zweifel, ob Therese es gewesen, die mich am Maskenball angesprochen hatte. Woher hätte sie mich früher kennen sollen? Auch mußte ich aus der Zurückhaltung die sie jetzt gegen mich beobachtete, schließen, daß sie kein tieferes Interesse für mich fühle. Nun, dachte ich, auch gut, es muß ja nicht sein! Aber es wurde mir doch etwas schwer, diesen Gleichmuth zu behaupten, und meine Gedanken kehrten immer wieder zu ihr zurück. Und dazu kam, daß ich mitten in meinen nüchternen Bestrebungen der jungen Dame auf der Straße mehr als früher begegnete und ihr Gesicht, rosig wie das Morgenroth, in die Dämmerung meiner Gefühle helle Strahlen warf.

Indessen, was konnte ich thun? Mit einer Liebeserklärung in’s Haus fallen? Etwa gar einen Korb holen? Das dünkte mir zu tragisch. Ich befolgte die Lehre, die dem Arzt oft durch’s Leben eingeprägt wird: man muß der Natur ihren Lauf lassen.

Es verflossen etliche Monate. Da wurde ich wieder zu meinem Major gerufen; die Krankheit war doch nicht so spurlos an ihm vorübergegangen, seine Gesundheit hatte einen Stoß erlitten, von dem er sich nicht wieder erholte. Ich erkannte alsbald die Symptome der Brustwassersucht, und der Major selbst fühlte sich dem Tode verfallen. Ich suchte den Kranken hinzuhalten und zu erleichtern, aber er ging rasch seinem Ende entgegen. Seine Tochter pflegte ihn wieder mit einer seltenen Treue und liebevollen Gewissenhaftigkeit. Ich sah meine Freude an ihr, mit jedem Besuche wurde mir nachdenklicher zu Muthe – ich dachte darüber nach, ob ich etwa verliebt sei. Aber oft sah ich auch die trüben Blicke des Vaters bekümmert auf ihr ruhen. Eines Tages, als sie von ihm wegging, machte er seinem Herzen gegen mich Luft. Er fühle, wie es mit ihm zu Ende gehe, und dann werde Therese allein auf der Welt stehen, sie habe so zurückgezogen gelebt, daß sie allen seinen früheren und vermögenderen Freunden fast unbekannt sei; nur mit einer Freundin verkehre sie und deren Eltern würden sie nicht bei sich aufnehmen können. Um ihn habe das Kind jedes Glück verdient und doch stehe ihr eine einsame und entbehrungsvolle Zukunft bevor. Wie schrecklich sei es doch, aus dem Leben zu scheiden, ohne für sein Kind, sein einziges Kind gesorgt zu haben! Als er seufzend schwieg, war mein Entschluß gefaßt; Mitleid mit dem bekümmerten Vater gab den Ausschlag, während ich sonst vielleicht länger geschwankt hätte. Aber ich ward mir nicht so schnell über die Wendung klar, die zu nehmen sei, und mochte auch dem Vater nicht bestimmt entgegentreten, ohne der Tochter gewiß zu sein. Um Zeit zu gewinnen, tröstete ich: wenn er seiner Therese auch keine Glücksgüter hinterlasse, so habe er ihr doch eine Erziehung gegeben, welche ihr Glück mehr sichere als Hab und Gut.

„Für eine andere Welt,“ erwiderte der Major bitter, „auf Erden gilt nur irdisches Vermögen.“

„Doch nicht immer,“ sagte ich, „meiner Wertigkeit z. B. nicht. Ich nähme sogar keine Reiche.

„Seltene Uneigennützigkeit!“ versetzte sarkastisch lächelnd der alte Herr, „aber um so werthvoller, da Sie überhaupt nicht heirathen!“

„Das steht wohl nicht geschrieben. Was sagten Sie wohl dazu, Herr Major, wenn … kurz und gut, wenn Ihr schönes Töchterchen mein Herz gerührt hätte?“

„Ah, ah, Herr Doctor,“ entgegnete er verletzt, „das ist kein Scherz für einen Sterbenden!“

Nun mußte ausgesprochen werden, was ich zurückzuhalten gedacht hatte.

„Nein, nein,“ wiederholte ich, „es ist mein völliger und heiliger Ernst.“

Zweifelnd sah er mich an. Ich erklärte nochmals, es sei mein Ernst.

„Haben Sie denn,“ frug er darauf, „das Herz meiner Tochter gewonnen?“

„Ja,“ mußte ich erwidern, „das weiß ich nicht.“

„Nun,“ äußerte der Major, „ohne ihre Einwilligung verfüge ich nicht über ihre Hand. Ich halte nichts davon, wenn man die Tochter versorgt, ohne daß deren Herz dabei ist, aber ich werde mich darüber freuen, wenn sie Ihre Frau werden will.“

„Ich habe also,“ schloß ich, „Ihre Einwilligung, mehr verlange ich nicht. Im Gegentheil müssen Sie mir versprechen, ihr von unserer Unterhaltung nichts mitzutheilen. Nur aus ihrem Herzen darf die Antwort kommen.“

„Das ist ganz meine Meinung,“ sagte der Major und reichte mir darauf die Hand.

Wie sollte ich aber der Tochter beikommen? Der Moment war höchst ungünstig. Das Schmerzenslager eines Dahinsterbenden, eines Vaters ist doch wahrlich der schlechteste Platz für eine Liebeswerbung; eben so gut könnte Einer auf dem Meere spazieren gehen. Und überdies dünkte es mich, als würde ich das Ding so ungeschickt wie möglich anfangen. Die Liebe macht uns etwas tölpelhaft, und zwar so, daß wir zugleich das unangenehme Bewußtsein der Tölpelhaftigkeit besitzen. Indessen ich überlegte mir’s und faßte mir ein Herz. Da es mir nicht passend erschien, in diesem Moment mit süßer Liebeslispelei hervorzutreten, so glaubte ich, vom praktischen Standpunkt ausgehen zu müssen. Ich setzte mich zu ihr an den Nähtisch und frug, was sie von ihres Vaters Krankheit halte. Sie brach in Thränen aus und antwortete: „Sie wollen mich darauf vorbereiten, daß es mit ihm zu Ende geht.“

„Ich glaube,“ sagte ich, „es Ihnen nicht länger verhehlen zu können.“

„Das ist hart,“ versetzte sie, „erführe ich es nicht bald genug im Augenblicke, da er mich verläßt? Wollen Sie mir den Muth nehmen, ihn zu pflegen?“

„Nein, wie können Sie so etwas denken? Aber ich mußte Ihnen sagen, daß Sie Ihre Zukunft in’s Auge fassen.“

„Was hilft es mir,“ erwiderte sie, „ein paar Tage früher daran zu denken? Ich sorge mich auch darum nur ein paar Tage länger, ohne etwas thun zu können.“

„Das wäre wohl richtig,“ versetzte ich wieder, und in diesem kritischen Moment war mir nicht ganz wohl zu Muthe, „das wäre wohl richtig, wenn Sie nicht doch etwas thun könnten.“

„Was?“

„Nun, wenn ich Ihnen Jemanden vorschlüge, durch den Ihre Zukunft …“

„Ah, ah!“ unterbrach sie mich erröthend und unwillig.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_403.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)