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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

trug der Landherr, Senator Dammert, an, mich ex officio zum beständigen Curator für die Alte zu machen und sie so meiner Verfügung gänzlich anheim zu geben. In meiner ängstlichen Besorgniß war ich zu Allem bereit und eilte mit meiner Vollmacht in der Tasche zu meiner Frau. „Holen wir sie hierher!“ rief diese entschlossen; „die Alte muß zuvörderst gereinigt werden, dann geben wir ihr Speise und Trank, und Du sollst sehen, sie wird schon wieder vernünftig werden.“ Das war auch mein Gedanke! Eine Droschke fuhr des Weges und wurde engagirt, eine große, wollene Decke mitgenommen, die Alte hineingewickelt, wie sie dalag, und fort ging’s auf dem Arm des Kutschers in den Wagen und weiter in meine kleine Behausung. Aber ach, alle Sorge, alle Reinlichkeit, alle Pflege war zu spät! Zu schrecklich tief hatte das Elend an diesen Trümmern genagt: sie schrie und jammerte fort und fort, Speise und Trank wurde verschmäht, kein Schlaf kam mehr in ihre Augen. Das allgemeine Krankenhaus blieb nun die letzte Zufluchtsstätte; dorthin ließ ich sie bringen, und nach weitern vierzehn Tagen erlöste der Tod die arme, unglückliche Dulderin von ihrem grenzenlosen Elende.

Von der Herausgabe einer Anthologie ihrer Gedichte auf Subscription hatte ich abermals ein kleines Sümmchen für sie in petto, wenn die ärztlichen Gaben etwa wieder erschöpft sein möchten. Von diesem ließ ich ihr einen anständigen Sarg anfertigen, sie hübsch einkleiden und so fuhren wir Drei, meine Frau, mein Pflegesohn, und ich, eines Tages zum Lübecker Thor hinaus und geleiteten die endlich glücklich gewordene Freundin Schiller’s als einziges Gefolge zu ihrer letzten Ruhestätte und warfen die erste Erde auf ihren Sarg.

Wer in Hamburg einmal die jetzige sogenannte Sechslingspforte an der Alster passirt, der sieht dort ein mit Pappeln eingehegtes, mit niedern Hügeln bedecktes Viereck, einstmals der Friedhof des allgemeinen Krankenhauses. Dort schlummert Sophie Albrecht, die Freundin Schiller’s, der die Kieler Studenten einst als gefeierter Künstlerin Abends die Pferde ausspannten und die nun am Abend ihres Lebens, vom bittersten Elende zu Tode gemartert, kaum noch einem menschlichen Wesen glich. Sanft ruhe ihre Asche!

Fr. Clemens.




Der Erfinder des Revolvers. Wenn unsere Zeit sich dadurch auszeichnet, daß sie den geheimnißvollen Kräften der Natur immer mehr nachforscht, um Industrie und Handel zu heben, neue Gewerbszweige in’s Leben zu rufen und durch Auffinden bis dahin unbekannter Heilmittel selbst dem Tode seine Beute streitig zu machen, so darf man sich andererseits doch nicht verhehlen, daß der menschliche Geist sich nicht weniger angestrengt hat, die mannigfachsten Mittel zum Zerstören und Vernichten zu schaffen. Der nordamerikanische Secessionskampf hat namentlich sehr viel dazu beigetragen, daß Zahl und Qualität der Trutz- und Schutzwaffen vermehrt und vervollständigt worden sind, und man braucht jetzt nur den kleinsten Spaziergang in den besuchtern Straßen von New-York, Philadelphia, St. Louis oder irgend einer anderen größeren Stadt der Union zu machen, um sogleich die furchtbare Wirkung jener Mordinstrumente durch das Begegnen von verkrüppelten Unionskriegern wahrzunehmen. Zwar kehrte ich selbst, obschon ich mehr als einmal die Spitzkugeln pfeifen und die Kanonen brüllen hörte, unversehrt aus dem Kampfe heim; allein, um nur ein Beispiel anzuführen, zwei meiner nächsten Bekannten erhielten in der einen Schlacht bei Pea Ridge, welche für die Unionswaffen ein so ruhmvolles Resultat lieferte, gar schreckliche Verwundungen: der eine, Hauptmann Henn, hatte schon früher in dem Kriege für Schleswig-Holstein seinen rechten Arm verloren, nun wurde ihm in der genannten Schlacht auch noch sein rechtes Bein bis über das Knie abgeschossen, so daß er vollständig ein Krüppel war; der andere, Lieutenant Türk – er lebt jetzt, kaum vierundzwanzig Jahre alt, von seiner Pension in Lübeck – verlor, während er mit geschwungenem Säbel seine Leute muthig in den Kampf führte, durch einen Musketenschuß seine beiden Augen und ist nun, obwohl er sonst gesund und jugendkräftig dasteht, zu ewiger Blindheit verdammt. Möge der Himmel unser deutsches Vaterland vor einem ähnlichen Bruderkriege, wie dieser amerikanische es war, bewahren! Jeder Blutstropfen, der ohne Noth darin vergossen wird, ruft Rache auf die Häupter der Schuldigen herab, die denn auch nur selten unbestraft bleiben.

Doch es war meine Absicht, den Lesern der „Gartenlaube“ einige minder oder gar nicht bekannte Daten und Einzelheiten über Samuel Colt, den Erfinder des Revolvers, jener Feuerwaffe mitzutheilen, die wegen ihrer furchtbaren Wirksamkeit sich in kurzer Zeit über den ganzen Erdball ausgebreitet hat.

Samuel Colt wurde als der Sohn eines intelligenten und unternehmenden Kaufmanns am 19. Juli 1814 zu Hartford im Staate Connecticut geboren und starb ebendaselbst am 10. Januar 1862. Vierzehn Jahre alt, entwich er aus einer Schule in Massachusetts und schiffte ohne Vorwissen der Seinigen als Kajütenjunge nach Ostindien. Heimgekehrt beschäftigte er sich, zunächst in einer Fabrik seines Vaters, vorzüglich mit Chemie und machte dann Reisen durch die Union und das britische Nordamerika. Ohne große theoretische Kenntnisse zu besitzen, hielt er, obschon erst achtzehn Jahr alt, auf diesen Reisen Vorlesungen über Chemie und verdiente sich, namentlich durch seine glücklich ausgeführten Experimente, viel Geld. Schon als Schiffsjunge hatte er aus Holz das Modell einer Pistole geschnitzt; das durch seine Vorlesungen und Experimente erworbene Geld setzte ihn nun in den Stand, sich in dieser Richtung weiter auszubilden, und kaum einundzwanzig Jahre alt, konnte er Modelle von revolvirenden Feuerwaffen aufzeigen, die nicht allein in Nordamerika, sondern auch in England und Frankreich die allgemeinste Anerkennung fanden.

Er verschaffte sich in England, Frankreich und den Vereinigten Staaten Patente für seine Erfindung, schon früher aber war es ihm gelungen, zu Paterson in New-Jersey mit Hülfe von New-Yorker Capitalisten für dreimalhunderttausend Dollars die sogenannte „Patent Arms Company“ zu gründen. Allein dies Unternehmen scheiterte, obschon sich seine Revolver in den Kriegen gegen die Indianer in Florida vortrefflich bewährt hatten. Die „Patent Arms Company“ fallirte im Jahre 1842, und bis 1847 wurde von S. Colt keine revolvirende Feuerwaffe fabricirt.

Als aber in diesem Jahre der mexicanische Krieg ausbrach, bekam Colt durch die Empfehlung des General Taylor von der Regierung der Vereinigten Staaten den Auftrag, für achtundzwanzigtausend Dollars Revolvers zu liefern. Die ersten tausend Revolvers verfertigte Colt zu Whitneyville in Connecticut; bald aber mehrten sich die Aufträge von allen Seiten, so daß er nach Hartford zog und hier eine wahrhaft großartige Waffenfabrik anlegen konnte. Er kaufte hier eine zweihundertundfünfzig Acker große Wiesenfläche, die nahe an den sogenannten Mill-River stieß und wegen der jährlichen Ueberschwemmungen des Connecticutflusses nur zu gewissen Jahreszeiten als Weideplatz benutzt wurde. Diese Landfläche umgab er mit einem gewaltigen Deiche von nahezu zwei englischen Meilen Länge. Nachdem er die Stärke und Festigkeit dieses Deiches durch eine mächtige Ueberschwemmung probirt und denselben durch Anpflanzen von Weiden und anderem Gestrüppe noch dauerhafter gemacht hatte, errichtete er innerhalb desselben seine aus einem Complex stattlicher Bauten bestehende Waffenfabrik (armory) aus schönen Portland-Steinen.

Diesen Bau hatte Colt angefangen und vollendet, nachdem er von seiner im Jahre 1851 unternommenen Reise nach England zurückgekehrt war und namentlich aus Californien und Australien viele Geschäftsaufträge erhalten hatte. Sein Unternehmen war von dieser Zeit an gesichert; ja im Jahre 1861 häuften sich in Folge des Secessionskrieges die Bestellungen so sehr, daß er ein zweites Hauptgebäude errichten mußte. In diesem Etablissement konnten täglich eintausend Revolvers oder Musketen gemacht werden, d. h. doppelt so viel, als in den Waffenfabriken zu Springfield und Harper’s Ferry, welche den Vereinigten Staaten gehören. Im Jahre 1862 wurden daselbst einhundertundzwanzigtausend Waffen verfertigt, während die beiden genannten nationalen Werkstätten im Jahre 1860 nur etwa fünfunddreißigtausend Gewehre zusammen zu liefern im Stande waren. In einem Theile des Etablissements werden nur Colt’sche Maschinen, mit denen Feuerwaffen gemacht werden können, fabricirt; bereits sind viele solche Maschinen an die englische Waffenfabrik zu Enfield und an die von Peter dem Großen in Tula in Rußland gegründete Gewehrfabrik verkauft und versandt worden.

Auf dem von dem erwähnten Deiche eingeschlossenen Landstriche erbaute Colt außerdem zahlreiche Wohnungen für seine Gehülfen und Arbeiter, so daß sich die Kosten für Grund und Boden und alle darauf errichteten Gebäulichkeiten auf mehr als 2,500,000 Dollars belaufen. Auf der ersten Terrasse, nahe dem Flußufer, erhebt sich sein eigener, das ganze Etablissement überschauender, palastähnlicher Wohnsitz.

Oberst Colt hat bewiesen, was die Thatkraft und die Beharrlichkeit eines einzigen Mannes vermögen; sein Unternehmen lehrt, wie es das Borsig’s und anderer großer und genialer Fabrikbesitzer Europas gethan hat, daß richtig geleitete Privatinstitute sogenannten Staatswerkstätten fast immer den Rang ablaufen. Fast alle Regierungen Europas, ja selbst einige asiatische Monarchen, haben ihn mit Medaillen, Diplomen, Ringen und anderen Zeichen der Anerkennung und Achtung überhäuft. Allein die Hauptzierde des Oberst Colt bestand darin, daß er wie ein Vater für seine Arbeiter und Untergebenen sorgte. Wenige Fabrikarbeiter haben so schöne und bequeme Wohnungen, wie sie Colt für die seinigen eingerichtet hat; er hat ihnen eine große Halle erbaut und eine Bibliothek für ihren Gebrauch ins Leben gerufen. Er veranstaltete Concerte für sie und organisirte eine Musikbande, deren Mitglieder sämmtlich zu seinen Arbeitern zählten und die er mit den prachtvollsten Instrumenten ausstattete. Er bildete endlich mit seinen Arbeitern und Gehülfen eine Militär-Compagnie, die er mit einer geschmackvollen Uniform ausrüstete, und zeigte überhaupt in jeder Weise, daß er die Arbeit und ihre Vertreter zu würdigen verstand.

Uebrigens ist Oberst S. Colt nicht blos der Erfinder des Revolvers, seine „unterseeische Batterie“ (submarine battery) ist anerkannt eines der wirksamsten Vertheidigungsmittel gegen Seeangriffe.

Schließlich darf nicht vergessen werden, daß Colt auch unter den Erfindern des unterseeischen Telegraphen einen hervorragenden Platz einnimmt, daß mithin sein Geist nicht einzig und allein todbringende Instrumente zu ersinnen vermochte. So legte er z. B. mit vollkommen glücklichem Erfolge im Jahre 1843 ein Kabel von Coney Island und Fire Island nach der Stadt New-York. Dies Kabel war eingehüllt in eine Composition von Baumwollengarn, Asphalt und Bienenwachs und in eine bleierne Röhre eingeschlossen, weil man zu jener Zeit Gutta Percha noch nicht kannte. Ein Theil des von ihm gelegten Kabels existirte noch im Jahre 1862.

Rudolph Doehn.




Nicht zu übersehen!


Mit nächster Nummer schließt das zweite Quartal. Wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen

Alle Postämter und Buchhandlungen nehmen Bestellungen an.

Leipzig, im Juni 1866.

Die Verlagshandlung.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 400. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_400.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)