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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

zu erzwingen. Jetzt fällt ein Theil dieser Schwierigkeiten weg, indem Ferrara und Comacchio den Italienern gehören, die sich überdies in Piacenza’s und Bologna’s verschanzten Lagern eine gute Angriffsbasis geschaffen haben; aber immerhin wäre ein Marsch zwischen der Meeresküste und dem Festungsviereck (in der Richtung Ferrara, Rovigo, Padua) ein so gewagtes Unternehmen, daß die Italiener daran nur denken könnten, wenn sie ein doppelt so starkes Heer in’s Feld stellten als ihre Gegner.

Dagegen ist ein anderer Weg denkbar; Ein Feind, der im Besitz von Venedig ist, kann das Festungsviereck im Rücken fassen. Die Einnahme dieses Platzes ist indeß keine leichte Aufgabe, da seine Lage seltene Vortheile vereinigt und die Kunst Alles gethan hat, seine natürliche Stärke zu vermehren.

Die ganze Küste der Adria, soweit sie zu Venetien gehört – eine Strecke von zwanzig Meilen – ist durchaus flach. Vor der Mündung aller hier sich in’s Meer ergießenden Flüsse haben sich Sand- und Schlammdünen, italienisch Lidos, gebildet, und hinter diesen winden sich Meeresarme, Lagunen, hin, die weiter landeinwärts in Sümpfe übergehen. Auf solchen Lidos und in solchen Lagunen liegt Venedig. Die Gewässer, welche es umgeben, sind meist viel zu seicht, um größeren Seeschiffen Zugang zu gewähren. Indeß giebt es tiefere Canäle, die man sorgfältig offen hält und den Schiffern durch Pfähle bezeichnet. Entfernt man diese, so läuft ein eindringendes Fahrzeug Gefahr, auf Untiefen zu gerathen. Der große Canal, der Venedig vom Festlande trennt, ist so breit, daß von letzterem kein Feuer gewöhnlicher Geschütze nach der Stadt hinüberreicht, und die Brücke, welche diese mit dem Lande verbindet, ist durch das starke, halb im Wasser, halb im Sumpf liegende Fort Malghera vertheidigt, welches die Oesterreicher 1849 erst nach vierwöchentlicher Belagerung einnahmen, ohne daß deshalb aber die Stadt sich sofort ergeben hätte. Die dem Festland zugekehrte Seite der Stadt ist mit allerlei Schanzen und Forts gesichert, und der Lido, der sich drei Stunden lang auf der Meerseite vor Venedig hinzieht, ist ebenfalls mit einer Reihe starker Werke bedeckt, die durch eine Straße miteinander verbunden sind und an deren Vertheidigung der hier stationirte Theil der österreichischen Flotte theilnehmen würde. Auch mit den Panzerschiffen und den gezogenen Vierzigpfündern der italienischen Marine wird hier vermuthlich nicht viel auszurichten sein. Dagegen kann Venedig, da die österreichische Flotte vor der italienischen die offene See nicht zu halten vermag, blockirt werden, und dadurch wird die Vertheidigung beträchtlich erschwert, indem leicht Mangel an Munition und Lebensmitteln eintreten kann. Jedenfalls aber ist die Einnahme Venedig’s, welches mit dem Festungsviereck durch eine Eisenbahn verbunden ist, eine langwierige Sache und keineswegs so leicht, wie mancher Gegner Oesterreichs sie sich vorstellen mag.




Blätter und Blüthen.


Die letzten Lebenstage der Sophie Albrecht. Die Gartenlaube brachte unlängst eine biographische Skizze aus dem Leben der Freundin Schiller’s, welcher wohl Niemand ein höheres Interesse abgewinnen konnte als der Unterzeichnete, der den letzten jammervollen Lebenstagen jener interessanten Frau einen mindestens leidlichen Ausgang zu geben suchte und dennoch ein Zeuge des schaudervollsten Elends sein mußte, welches jemals einem fühlenden Wesen den Weg zum Grabe mit Dornen bestreute. Hat man aber die sonnenhellen Lebenstage einer „schönen Seele“ der Betrachtung werth gefunden, warum sollte man das Gemälde unvollendet lassen, indem man die schauerlich düstern Schattenseiten kurz vor dem Ende dem Anblick zu entziehen suchte? –

Anfangs der vierziger Jahre hatte Streicher, der treue Freund und Begleiter Schiller’s auf seiner Flucht aus Stuttgart, die Erzählung dieser interessanten Abenteuer aus dem Leben unsers großen Dichters veröffentlicht. Noch frisch unter dem Eindruck dieser Lectüre, saß ich eines schönen Sommernachmittags in Hamburg in der Laube eines Freundes beim Kaffee, als ein Dienstmädchen hereintrat und ihm einen Brief überreichte. Als er ihn erbrochen und gelesen, blickte er ziemlich verdrossen und sichtlich unangenehm berührt auf die Bringerin und sagte unwirsch zu ihr: „Grüßen Sie Ihre Madame, und ich müsse sie bitten mich von jetzt an mit Zuschriften zu verschonen; ich kann nichts mehr für sie thun. Der ärztliche Verein, zu dem ich gehöre, hat sie jahrelang unterstützt, aber man ist der Sache überdrüssig geworden, sie muß sehen, wie sie sich sonst durchhilft. Addio!“

Sehr bestürzt und erschreckt entfernte sich das Mädchen. Als es gegangen war, bat ich den Arzt um nähere Aufklärung der Scene. „Es handelt sich um die Doctorin Albrecht,“ erwiderte er. „Sie müssen ja von ihr gehört haben, denn sie war einst eine ziemlich berühmte Schauspielerin, und da ihr verstorbener Mann einstmals Arzt gewesen, ehe er Schauspieldirector wurde, so haben wir die alte Dame unterstützt. Allein es hat Alles seine Grenzen, und es giebt Menschen, die auch dem wärmsten Mitleid zu lange leben!“

Anfangs konnte ich vor Bestürzung die Sprache kaum finden. Gestern erst hatte ich im Streicher die bekannte Episode von Schiller’s Verhältniß zu dieser Frau gelesen, und heute wurde sie hier als Bettlerin abgewiesen! „Um Gottes willen!“ fuhr ich auf und griff nach Hut und Stock, „wo wohnt die Frau? ich muß sogleich zu ihr; ihr soll, ihr muß geholfen werden! So etwas kann und wird die deutsche Nation nicht dulden!“ – Gesagt, gethan! Sie wohnte ganz in der Nähe im Hinterhause eines Maurermeisters, der ihr, ich weiß nicht durch welche Verkettung von Umständen, eine Freiwohnung zu geben verpflichtet war. Ich fand die alte Dame, zwar großmütterlich verschrumpft, wie es einer Achtzigerin geziemt, jedoch noch geistig leidlich frisch und wohl empfänglich für meinen Vortrag bezüglich ihrer desperaten Lage an so spätem Lebensabende und nunmehr verlassen von jeder Hülfe; denn an die Armenanstalt sich zu wenden hatte sie – abgesehen von der bekannten Geringfügigkeit der dort gewährten Gaben – im Gefühl ihrer Würde doch nicht über sich gewinnen können. Zu meinem Bedauern scheiterte aber hieran auch mein wohlgemeinter Vorschlag, mit Hinweis auf ihren einstmaligen Freundschaftsbund mit Schiller bei der deutschen Nation für sie zu collectiren; und so blieb mir vor der Hand nichts weiter übrig, als eine meinen Verhältnissen angemessene Gabe (einen Gulden) mit wohl motivirter Entschuldigung in ihre dürre Hand. zu legen, den sie dankend entgegennahm, um dann von alten classischen Zeiten zu plaudern, von ihren glücklichen Tagen in Dresden, wo sie mit ihrem Freunde unter Einem Dache wohnte und die schönen Töchter einer pensionirten Wittwe ihre Netze um ihn woben und seine kleine Baarschaft verschlangen, so daß er beständig Vorschüsse von seinem Buchhändler erbitten mußte, bis seine Freunde ihn endlich halb mit List aus der Nähe jener Sirenen entfernten, u. dergl. m. Für alle diese längst vergangenen Dinge hatte sie eine lebhafte Erinnerung und durchlebte im Geiste mit sichtbarer Erhebung noch einmal jene sonnigen Tage, mit denen das Heute, ach, so schmählich contrastirte. Ich schied endlich mit der Zusage von ihr, daß, wenn sie etwa, von Noth gedrängt, bezüglich der Collecte andern Sinnes werden sollte und mir Botschaft sende, ich jeder Zeit gern zu ihrer Verfügung stehen würde.

Leider war ich nur zu sicher, daß diese Botschaft nicht lange auf sich warten lassen werde, und dennoch hatte die bittere Noth vierzehn Tage gebraucht, um den edlen Stolz der armen Frau zu brechen; dann aber ließ sie mich bitten, zu ihr zu kommen, und unter Thränen gab sie mir jetzt die Erlaubniß, der Welt ihr bitteres Leid an’s Herz zu legen.

Die Hamburger Nachrichten waren gleich bereit, sich zum Organ meines Aufrufs an edle Herzen zu machen, und am nächsten Morgen war ich noch nicht in den Kleidern, als es schon an meine Thür klopfte und kleine Geldpäckchen für die Freundin Schiller’s einliefen. Das ging denn nun so einige Wochen fort; von fern und nah kamen die blanken Gulden heran, Genannte und Ungenannte, mit und ohne Grüße, ja bis in die Schweiz hinein thaten sich die milden Herzen auf; so taucht in einem Winkel meines Gedächtnisses u. A. noch die freundliche Zuschrift der Frau Birch-Pfeiffer auf, welche damals Directorin eines Stadttheaters daselbst (in Zürich) war. Genug, einige hundert Thälerchen kamen im Fluge zusammen, und gleich die ersten trug ich hin, um die erste bittere Noth zu stillen und namentlich für Wäsche zu sorgen, an der es gänzlich gebrach.

Ich mußte indeß meinen kleinen Schatz wohl zu Rathe halten und spärlich eintheilen, denn die gute Alte war zäh, das sah man ihr wohl an, und zum andern Mal durfte ich wohl, ohne Verdacht des Eigennutzes zu erregen, nicht bittend wiederkommen. So theilte ich ihr denn wöchentliche Rationen von zwei Thalern zu. Das ging denn nun so einige Jahre fort und die Alte befand sich leidlich wohl dabei. Indeß, mein kleiner Schatz ging nun auf die Neige und die Sorge um das Weitere veranlaßte mich, meinen Freund, den vorhin erwähnten Arzt, zu ersuchen, nunmehr wieder an meiner Statt einzutreten, was auch geschah. Ein halbes Jahr darauf, eines schönen Morgens, erschien der Hauswirth bei mir, um mir die Besorgniß auszusprechen, es möchte wohl bei der Alten nicht recht richtig sein. Sie schreie oft die ganze Nacht hindurch, und er fürchte, das Mädchen behandle sie schlecht und werde bald ganz davonlaufen. Ob ich denn nicht einmal dort nachsehen wolle? Ganz erschreckt, machte ich mich sofort auf den Weg, um die Sachlage zu erkunden, wurde aber abgewiesen, weil Frau Doctorin schliefe, und dieses zu dreien Malen, bis mir endlich der Geduldsfaden riß, ich die freche Thürhüterin zur Seite stieß und den Eingang erzwang. Und siehe, da lag nun die jammervoll wimmernde Alte in einen Knäuel zusammengewunden, zitternd vor Kälte, vielleicht sogar vor Hunger, auf einem zerfetzten und beschmutzten Lager, das einst ein Bett gewesen war, und schon das Aeußere ließ erwarten, welcher Jammer darunter verborgen sein mochte? Ich war auf das Schlimmste gefaßt, als ich mit spitzen Fingern die Decke lüftete. Was aber mein Auge jetzt sah, überstieg alles Gefürchtete und die Schrift sträubt sich, dem Leser auch nur andeutungsweise eine Vorstellung zu verschaffen von dem erbarmungswürdigen Elend, in dem die einst so gefeierte Künstlerin jetzt vor meinen erstaunten Blicken dalag. Glücklicherweise hatte sie kein Bewußtsein von ihrem Elend mehr, denn der Jammer hatte sie wahnwitzig gemacht. Das Scheusal von Mädchen hatte ihre hülflose Herrin so verkommen lassen und meine schneidenden Vorwürfe glitten an der Entschuldigung dieses versteinerten Herzens ab, daß sie keine Mittel zur Pflege gehabt habe. Bekannt war es aber, daß sie die noch immer nicht versiechten Gaben mit einem Geliebten verjubelt hatte, mit dem sie bald darauf nach Amerika entfloh.

Was war nun zu beginnen? Nach verschiedenen vergeblichen Anfragen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_399.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)