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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Auf meine Frage nach Mademoiselle Manon entgegnete die Frau: „Welche Manon? Alle meine Verkäuferinnen werden von mir Manon genannt; etwa Manon Lepitre?“

„Das junge Mädchen, welches kürzlich noch bei Ihnen war, das mit den blauen Augen –“

„Ah, Manon Lepitre, sie hatte mich am 30. April verlassen, kam dann wieder und bat um Aufnahme. Ich hatte bereits ein anderes Mädchen engagirt, aber eine Schönheit wie Manon Lepitre ist ein Vortheil für jeden Laden; wir nahmen sie abermals auf, allein gestern hat sie uns Adieu für immer gesagt, ohne ihre Adresse zurückzulassen.“

Wir dankten für die Auskunft und gingen; Georg lachte. Einige Abende später besuchte ich die Opéra Lyrique, um Don Juan auch in diesem Theater gehört zu haben. Meine Augen wanderten im Saal umher und blieben dann auf einer Loge haften, in welche eben die schöne Manon in der geschmackvollsten Toilette trat, begleitet von einem jungen, elegant aussehenden Manne. Mein Nachbar, ein Pariser, der so viel Bekanntschaften besaß, daß wir, meine Freunde und ich, ihn im Verdacht hatten, er gehöre zur geheimen Polizei, sagte, als er mein Staunen bemerkte: „Sie starren diese schöne Lorette an? Haben Sie dieselbe früher gekannt? Es ist Manon Lepitre, und ihr Begleiter der einzige Sohn des Bankiers D., eines enorm reichen Mannes.“

Beim Herausgehen sah ich Manon Lepitre an des jungen Mannes Arme, sie stieg mit ihm in den Wagen und fuhr davon. Einige Tage später erhielt ich ein zierliches Briefchen; der Inhalt desselben lautete:

„Mein Herr! Ich habe Sie in der Oper gesehen und Ihr Staunen wohl bemerkt. Lassen Sie uns Freunde bleiben und werden Sie nicht irre an mir; ich bin ein armes Mädchen, Herr Max hat sich nicht sehen lassen, einen guten Platz fand ich nicht, was konnt’ ich thun? Aber der Mann, dessen Freundin ich bin, ist ein anderer, als jener alte, häßliche, von dem ich Ihnen sagte; also werden Sie mich begreifen. Viele Stunden des Tages bin ich allein; an eine Verheirathung mit Herrn Max denk’ ich nicht mehr, aber gern würde ich ihn sehen, sprechen. Jeden Tag bin ich zwischen zehn und elf Uhr in Notre Dame, sagen Sie das Ihrem Freunde. Nicht wahr, Sie thun es?

Manon Lepitre.“

Empört über diese naiv-sittenlose Sprache, warf ich das Blättchen in den Kamin und sah zu, wie es verbrannte. Meinem Freunde Georg sagte ich nichts, und als ich gestern im Bois de Boulogne der schönen Lorette begegnete, welche mit ihrem Freunde in der elegantesten Equipage dahin rollte, erwiderte ich ihren Gruß nicht. Ich will nicht sagen, daß anderswo nur tugendhafte Frauen leben, aber diese Naivetät der Verdorbenheit wie hier sieht man vielleicht nur in Paris. Sie ist das naturgemäße Ergebniß einer Erziehung und Lebensanschauung, wie sie, Gott sei Dank! bei uns in Deutschland doch noch nicht haben heimisch werden können.




Das Festungsviereck an Mincio und Etsch.


Abermals bereitet sich der Kampf vor, in dem sich Italien endlich frei machen möchte bis zur Adria, und mit ihm tritt uns von Neuem ein Schlagwort entgegen, welches bereits in den Kriegen von 1848 und 1859 eine wichtige Rolle gespielt hat. Jenes gewaltige Fortificationssystem, das sogenannte Festungsviereck, das Venetien wie mit einem unübersteiglichen Walle umgiebt, war es, vor dem die verbündeten Italiener und Franzosen in ihrem Siegeszuge Halt machten. Wohl allen unsern Lesern ist dieser Name selbst geläufig, gewiß aber so manchem nicht recht klar, worin eigentlich der Schwerpunkt desselben liegt. Wir wollen darum in dem nachstehenden Aufsatz eine eingehendere Schilderung und Würdigung dieses Festungsvierecks versuchen, müssen aber zum Voraus bemerken, daß die spröde Natur des Gegenstandes nicht die farbige Behandlung zuläßt, welche sonst die Mittheilungen der Gartenlaube zu charakterisiren pflegt.

Zu den wichtigsten Flußlinien in ganz Oberitalien gehören die des Mincio und der Etsch. In ihnen liegt hauptsächlich die Stärke der Oesterreicher für die Vertheidigung gegen eine von Westen kommende feindliche Armee. Der Mincio ist der Abfluß des Gardasees und hat bis zu seiner Mündung in den Po eine Länge von etwa sieben und einer halben Meile. Die Etsch betritt, aus den tiroler Bergen kommend, das venetianische Gebiet bei Ossegno, durchströmt es in einer Länge von ungefähr sechsundzwanzig Meilen und ist, zwischen sechshundert und eintausend zweihundert Fuß breit und sechszehn bis fünfundzwanzig Fuß tief, auf dieser ganzen Strecke schiffbar. Da die Etsch, die außerdem einen sehr starken Fall hat, nur wenige Meilen östlich vom Mincio fließt, so unterstützen sich beide Linien gegenseitig. Vor Allem aber entsteht durch die Festungen Peschiera und Mantua am Mincio und Verona und Legnago an der Etsch ein schiefes Viereck, welches schon 1848 ungemein gute Dienste leistete, sodaß Willisen es für eine der stärksten Positionen erklärte, die er kenne, welches aber seitdem noch wesentlich vervollkommnet worden ist und jetzt, in der rechten Flanke durch Tirol, in der linken durch den Po gedeckt, als eine wahrhaft vortreffliche Stellung für eine active Defensive bezeichnet werden muß.

1848 hatte die Mincio-Linie noch gewisse Nachtheile, indem der Fluß zu wenig breit und tief ist, um als besonderes taktisches Hinderniß gelten zu können, auch dessen Ufer bald auf der rechten, bald auf der linken Seite höher sind, was namentlich am obern Laufe desselben die Vertheidigung erschwerte, während weiter stromabwärts, bei Mantua, Befestigungen am Curtatone fehlten, die eine Seitenstellung gewähren, und Peschiera’s Werke ebenfalls zu wünschen übrig ließen. Gegenwärtig ist alledem abgeholfen, und auch Verona hatte schon 1859 eine Anzahl neuer Forts und Schanzen erhalten, so daß die ganze Festungsgruppe nunmehr vollkommen alle Zwecke erfüllt, die man bei einem System von Befestigungen zu verfolgen pflegt. Sie schützt das hinter ihr gelegene Land, giebt der sie besetzt haltenden Armee den Charakter der Unangreifbarkeit und gestattet derselben, jeden Augenblick zum Angriff überzugehen.

Peschiera, die nordwestliche Spitze des Vierecks und am Austritt des Mincio aus dem Gardasee gelegen, wird von Höhen beherrscht, woher man ihm den Namen des „Spucknapfs“ gegeben hat. Die Stadt ist klein, hat nur zweitausend Einwohner, die meist von Fischerei leben, und ist mit Verona durch eine Eisenbahn verbunden. Die Höhen um dieselbe waren bereits 1848 stark befestigt, indem sich auf dem rechten Flußufer die Werke des Monteferro, auf dem linken das Fort Mandella erhoben. Beide geriethen damals nur durch Hunger in die Gewalt der Piemontesen, die sie unter dem General Manno vom 10. April bis zum 31. Mai belagerten und dann bis zum 14. August besetzt hielten. Während dieser Zeit wurde die Stadt mit neuen Werken versehen, die, als Peschiera wieder in die Gewalt der Oesterreicher gerathen war, in großartigem Maßstabe erweitert und ergänzt wurden, so daß der Platz jetzt eine Festung von bedeutender Widerstandskraft ist. Auf den die Stadt beherrschenden Höhen zieht sich zunächst ein doppelter innerer Kreis von Wällen und Bastionen, von zahlreichen Außenwerken umgeben, um den Kern des Ganzen bis an das in den See vorspringende Vorgebirge im Südwesten. Ein dritter Ring vorgeschobener Werke vergrößert den Rayon der Festung um das Dreifache und macht sie fähig, ein Heer von mindestens dreißigtausend Mann aufzunehmen und so nicht blos bei der Vertheidigung, sondern auch bei Offensivoperationen eine wichtige Rolle zu spielen.

Am obern Mincio ist das Terrain von Volta bis Lonato, denen außer Peschiera noch Valeggio und Salionze zu Stützpunkten dienen, der Defensive besonders günstig, und es folgt hier Stellung auf Stellung für einen Feldherrn, der mit der Vertheidigung beginnen und mit dem Angriff schließen will. Was früher fehlte, ist geschaffen worden, und die betreffenden Verschanzungen ziehen sich weit genug stromabwärts, um den oben angeführten, ehedem berechtigten Bedenken in Bezug auf diesen Theil des Festungsvierecks ihre Geltung zu nehmen.

Mantua, der südliche Endpunkt der Minciolinie und vier und eine halbe Meile von Peschiera entfernt, ist eine Stadt von

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_395.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)