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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Poeten fremd sein können, der, wie Franz Schubert, diesem höchsten aller Gefühle in hundert und mehr Gesängen bald seine innigst-zarten, bald seine leidenschaftlich-ergreifendsten Töne geliehen hat! Und dennoch ist auch nach dieser Seite hin aus seinem Leben nur wenig zu berichten. Schubert war allerdings dem schönen Geschlecht gegenüber nichts weniger als unempfindlich. Ueber die Sentimentalität verliebter Freunde machte er sich hie und da – doch immer in gutmüthiger Weise – lustig; er selbst blieb, wie dies wohl bei einem Menschen von so tiefem Gefühl und lebhafter Phantasie sich von selbst versteht, nicht frei von erotischen Regungen. Von einem dauernden Verhältnisse ist nichts bekannt geworden, und an eine Verbindung für das ganze Leben hat er wohl nie gedacht. Uebrigens pflegte er über derlei Beziehungen auch seinen vertrautesten Freunden gegenüber große Zurückhaltung zu beobachten.

Nur von einer Herzensneigung weiß die Lebensgeschichte Schubert’s Näheres zu berichten, und es hat diese Episode in des Tondichters einförmigem Erdenwallen insofern eine anziehende Seite, als sie uns in den Kreis einer hochgestellten Familie führt, dessen Mittelpunkt der schöpferische Genius Schubert’s und der ausübende Künstler Carl von Schönstein bildeten.

Es war im Jahr 1818, als der damals. einundzwanzigjährige, noch wenig bekannte Liedercomponist durch den Wirthschaftsrath Unger (Vater der nachmals berühmten Sängerin Caroline Unger) der Familie des Grafen Johann Esterhazy vorgestellt und als Musiklehrer, oder richtiger als Begleiter des Gesanges am Pianoforte, empfohlen wurde. Die gräfliche Familie war durchweg musikalisch. Graf Johann befand sich im Besitz einer Baßstimme, die damals achtundzwanzigjährige Gräfin Rosine und die jüngere der beiden Töchter, Caroline, sangen Alt, und Comtesse Marie erfreute durch eine hohe, schön klingende Sopranstimme; Freiherr von Schönstein, ein trefflich geschulter Sänger und intimer Freund des Hauses Esterhazy, vervollständigte mit seinem für das Schubert’sche Lied so recht geschaffenen Tenor-Bariton das Gesangsquartett. Caroline, deren Stimme etwas schwach klang, befaßte sich gelegentlich auch mit der Begleitung am Flügel, worin sie excellirte.

Graf Esterhazy pflegte die Sommerzeit auf seinem Gute Zelécz in Ungarn (nahe bei Preßburg gelegen) zuzubringen, und dahin folgte auch Schubert der Familie in den Jahren 1818 und 1824. Schönstein fand sich ebenfalls daselbst ein, und so fehlte es nicht an den wunderbarsten Reizen musikalischer Unterhaltung.

In Zelécz fand Schubert oftmals Gelegenheit, die schwermüthige Weise ungarischer und slavischer Nationalmelodieen zu hören, von denen er so manche sich aneignete, um sie in freier künstlerischer Weise auf das Reizendste zu verarbeiten. Die ungarische (Zigeuner-)Musik, derzeit ein kaum zu entbehrender Factor der modernen, insbesondere der Instrumentalmusik, erscheint in scharf ausgeprägter Weise und mit einer gewissen Vorliebe behandelt in mehreren seiner Clavier- und Orchesterstücke. Von dem Thema des Divertissement hongrois weiß man, daß es aus der Esterhazy’schen Schloßküche stammt, wo es eine Magd sang, als Schubert, von einem Spaziergange mit Schönstein zurückkehrend, eben vorüberging. Während des wiederholten Aufenthaltes in Zelécz entstanden mehrere bedeutende Compositionen, unter diesen auch das Gesangsquartett: „Gebet vor der Schlacht“. Die Entstehung dieses Musikstückes ist einer der glänzendsten Belege von Schubert’s musikalischer Schlagfertigkeit. Eines Morgens – im September 1824 – forderte die gräfliche Hausfrau während des gemeinschaftlichen Frühstückes den kleinen behäbigen Tondichter auf, das eben erwähnte Gedicht von de la Motte Fouqué, welches aufgeschlagen vor ihr lag, mit Tönen zu umkleiden. Schubert steckte das Buch zu sich und zog sich, wie dies seine Art war, wenn er componiren wollte, in die Einsamkeit zurück, um in Tönen zu dichten. Noch am Abend desselben Tages wurde die umfangreiche Composition von dem musikalischen Kreise aus dem Manuscript heraus durchgesungen. Die Freude an dem höchst gelungenen Musikstück steigerte sich in dem Maße, als dasselbe bei wiederholter Vornahme an Klarheit und Schönheit fort und fort gewinnen mußte. Der geniale Meister hatte die ganze Composition in zehn Stunden geschaffen und fehlerfrei niedergeschrieben.

Die schöpferische Kraft Schubert’s wurde selbstverständlich in diesem Kreise hochgeschätzt. Er ward alsbald ein Liebling der Familie und besuchte auch außer den Musikstunden das Haus des Grafen. Für die jüngere Tochter Caroline aber schlug in seinem Herzen eine Flamme empor, die bis an sein Ende im Stillen fortloderte. Die Comtesse achtete und bewunderte den Tondichter und sein Genie auf’s Höchste, erwiderte übrigens seine ohne Zweifel sehr schüchtern sich kundgebende Neigung in keiner Weise und hatte überhaupt von dem Vorhandensein dieser Sympathie, oder wenigstens von dem Grad derselben, kaum eine Ahnung. Eine Aeußerung Schubert’s – vielleicht die einzige, welche er in dieser Richtung zu thun wagte – hätte dem Gegenstand seiner Neigung allerdings eine Andeutung davon geben können; seine Worte wurden aber nicht verstanden. Als nämlich Caroline dem Tondichter im Scherz den Vorwurf machte, daß er eben ihr noch keine seiner Compositionen gewidmet habe, antwortete Schubert: „Wozu denn? Ihnen ist ja Alles von mir gewidmet!“ Ein paar Brief- und Tagebuchsstellen aus dieser Zeit scheinen auf den Herzenskampf hinzuweisen. Von bestimmten Aeußerungen über diese Liebesepisode in Schubert’s Leben findet sich nicht die Spur; es war eben nicht seine Art, derlei Seelenzustände Andern rückhaltlos mitzutheilen.

Franz Schubert schied der Erste für immer aus diesem Kreise. Sechzehn Jahre nach seinem (im November 1828 erfolgten) Tode vermählte sich die von ihm Geliebte mit dem Grafen Folliot von Crenneville, Major in der österreichischen Armee. Sie starb im Jahr 1851, nachdem der Vater und die beiden Geschwister, Marie (mit dem Grafen August Breuner vermählt) und Albert, ihr im Tode bereits vorausgegangen waren. Drei Jahre nach Carolinens Tod schied die Gräfin Rosine aus dem Leben, und so ist derzeit von jenem merkwürdigen Schubertkreise nur noch der einst gefeierte Sänger des Schubert’schen Liedes, Carl von Schönstein, übrig, welcher als siebenzigjähriger, aber immer noch rüstiger Mann den Rest seiner Tage in Wien verlebt. Möge es ihm, der so gern in der Erinnerung an jene längst verschwundenen denkwürdigen Tage schwelgt, und den wenigen noch am Leben befindlichen Freunden des großen deutschen Liederfürsten vergönnt sein, den Tag zu schauen, an welchem von dem Standbilde Franz Schubert’s die Hülle fallen und dieses als ein stolzes Wahrzeichen der Dankbarkeit und Bewunderung emporragen wird, welches seine Vaterstadt einem der größten und berühmtesten ihrer Söhne in ihrer Mitte errichtet hat.[1]




Silhouetten aus der guten alten Zeit.
1. Doctor Eisenbart.


Daß die Erde sich bewegt, ist nachgerade allgemein zugestanden, seit etwa vierzig Jahren sogar von den Gelehrten des heiligen Vaters, der dieser Wahrheit wie mancher andern bis dahin ein beharrliches Non possumus entgegengesetzt hatte. Daß wir uns mit der Erde bewegen, läßt sich nun selbstverständlich auch nicht gut mehr leugnen. Wohl aber wollen gewisse Liebhaber patriarchaler Zustände und ein gewisser Chor von Herren in schwarzen Röcken, weißen Halstüchern und à la Seraph gescheitelten Haaren in Abrede stellen, daß wir uns vorwärts bewegen, und eine Anzahl von braven Leuten seufzt mit ihnen, wenn sie bekümmerten Herzens die schnöde Welt von heutzutage mit der „guten alten Zeit“ vergleichen. Die deutsche Treue und Redlichkeit, die Reinheit, der Sitten, die Gottesfurcht und was Alles noch soll Rückschritte gemacht haben, die Milch der Menschenliebe sauer geworden, Respect vor dem, was Respect verdient, Pietät und Zucht geschwunden sein, und, um das Maß voll zu machen, soll sogar die Gemüthlichkeit der Deutschen nicht recht mehr gedeihen wollen.

Wer sich in der „guten“ alten Zeit umgesehen hat, wird

  1. Unsere Leser, die sich über Franz Schubert und dessen Leben und Streben genauer unterrichten wollen, finden die werthvollsten Mittheilungen in einem soeben[WS 1] bei Gerold in Wien erschienenen sehr fleißigen Werke von Kreißle „Franz Schubert“, dem wir auch das umstehende Portrait verdanken.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: soben
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_390.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)