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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

drängt sich einem wohl die Gewißheit auf, daß Franz Schubert auf den verschiedensten Gebieten musikalischer Kunst die Palme der Unsterblichkeit errungen und, wenngleich in seinem zweiunddreißigsten Lebensjahre – so früh, wie keiner der großen Tondichter – dieser Welt entrissen, dennoch seine Mission auf das Herrlichste erfüllt habe. Das bescheidene Grabmonument auf dem erwähnten Friedhofe, dessen enge, gedrückte Verhältnisse, vom künstlerischen Standpunkte aus betrachtet, keinen sonderlich günstigen Eindruck machen, wird in nicht ferner Zeit durch ein von echter Künstlerhand in Erz ausgeführtes, überlebensgroßes Standbild Franz Schubert’s verdunkelt werden, zu dessen Errichtung in dem „Stadtpark“ von Wien vorläufig durch Sammlung von Geldbeiträgen und Einsendung von Modellen seitens mehrerer dazu berufener Künstler die erste Einleitung getroffen ist.

Franz Schubert.

Das einzige bis jetzt existirende plastische Gedenkzeichen an den Liederfürsten findet sich, in Form einer gelungenen Büste, in dem Tabernakel des Grabmonumentes, aus welchem Schubert’s Kopf lebensvoll heraussieht. Alles an diesem athmet Kraft und gesunde Sinnlichkeit: die runde, volle Gesichtsform, der üppige, krause Haarwuchs, die kurze Stirn mit den breiten Schläfen, das unter buschigen Brauen tiefeingesenkte, nicht eben große Auge, die kurze, starke Nase, das energische Vollkinn mit tiefer Grube, die aufgeworfenen Lippen und die in Schlangenwindungen sich verlierenden Mundwinkel. Man denke sich dazu eine untersetzte Statur unter Mittelgröße, einen gewaltigen Nacken, fleischige Arme und Hände und kurze Finger, – die übrigens auf den Claviertasten mit merkwürdiger Leichtigkeit operirten, – und man wird zugeben, daß die Arbeit jenes Künstlers, welchem es beschieden sein wird, den Wiener Barden in ideal-plastischer Form darzustellen, sich zu einer ziemlich heiklen gestalten dürfte. Ohne diese gediegene Grundlage einer gewaltigen Physis voll strotzenden Lebens und sehniger Kraft wäre übrigens das erstaunliche Productionsvermögen Schubert’s kaum erklärlich. Die Saiten seines tiefen Gemüths waren jedenfalls über feste Stege und einen tüchtigen Resonanzboden gespannt; dabei aber war dieser gedrungene, kräftige Bau vom zartesten Nervenleben durchzogen, von einem Gewebe feinster Art, dem die Fühlung und Witterung des modernen Lebens voll innewohnte, und so hat denn auch Schubert neue, musikalische Ideale aus sich geboren.

Als anläßlich der Uebertragung von Beethoven’s und Schubert’s irdischen Resten in neue, metallene Särge (im Jahre 1863) Schubert’s Schädel der Waschung unterzogen wurde, vermochten sich die dabei anwesenden Aerzte ihres Erstaunens über den zart geäderten, fast weiblichen Organismus desselben nicht zu erwehren. Aus Schubert’s Musik spricht das reizvollste Nervenleben mit tausend Stimmen, und auch nur von dieser Seite her ist es dem Tod gelungen, den kräftigen Bau, welcher von der Natur auf ein hohes Alter angelegt zu sein schien, zu untergraben und urplötzlich niederzuwerfen.

Es ist eine auffallende Thatsache, daß – wenn man von einigen ziemlich dürftigen Aufzeichnungen Spaun’s absieht – keiner dieser Zeugen von des Tondichters Erdenwallen den Beruf in sich fühlte, ein möglichst getreues Lebensbild Franz Schubert’s zu entwerfen, welches als biographisches Denkmal der Mit- und Nachwelt zu überliefern gewesen wäre. Der einzig denkbare und von einigen Freunden wirklich auch hervorgehobene Grund davon liegt in der Dürftigkeit von Schubert’s äußerer Existenz. In seinem dem Außenblick wahrnehmbaren Leben gab es nicht Berg, nicht Thal, nur gebahnte Fläche, auf welcher er sich in gleichmäßigem Rhythmus fortbewegte. Sein Gemüthszustand glich einer spiegelglatten Fläche und war durch Vorkommnisse in der Außenwelt nur schwer zu erregen; er befand sich im schönsten Einklang mit dem Grundwesen seines Charakters. Die Tage flossen ihm dahin, wie es dem Armgeborenen und Armgebliebenen in bürgerlicher Sphäre geziemt. Ihm war der köstliche Schatz eines tiefen, reichen Gemüthes zu Theil geworden; sein schlichter, gerader Sinn, frei von falschem Zierrath, seine Treuherzigkeit, sein Wohlwollen für Andere, seine Hochherzigkeit, die nichts von Neid und Mißgunst wußte, sein fast übertrieben bescheidenes Wesen und eine gewisse, mit Genußliebe verbundene Art von Behäbigkeit, welcher sich ein entschiedener Geselligkeitstrieb beigesellte, erwarben ihm viele Freunde und Genossen, die an seiner anspruchslosen Gemüthlichkeit Gefallen fanden, wenn auch nicht Alle von ihnen den Genius erkannten, mit welchem sie so oft zu Tische saßen. Es hat aber noch keinen großen productiven Künstler gegeben, dessen äußere Existenz von alledem, was ihn innerlich bewegte, so gänzlich losgelöst und in keiner Beziehung dazu gestanden hätte, wie dies bei Schubert der Fall gewesen ist, und so einzig und eigenartig seine Tonmuse uns fesselt und anmuthet, so eigenthümlich gestaltet sich Schubert’s äußere Erscheinung in ihrem Verhältnisse zu seinem geistigen Schaffen. In diese Werkstätte aber hineinzublicken, mochte nur Wenigen, und diesen in seltenen, geweihten Stunden, vergönnt gewesen sein.

In dem Leben des Menschen überhaupt und namentlich in jenem großer, bedeutender Naturen spielen Herzensneigungen eine hervorragende Rolle. Wie hätte die Liebe einem musikalischen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_389.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)