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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Bürgerschaft Rechnung abgelegt würde; daß die Abgaben äußerst gering seien und Frankfurt sich bei dieser Verfassung glücklich und zufrieden fühle. Wenn den reichern Mitbürgern das Geld abgenommen werde, so seien die ärmern und der Mittelstand mit bestraft, weil ihr Handel und Gewerbe und ihr Verdienst abnehme. Diese erwarteten daher bei ihrer bisherigen Verfassung unverrückt belassen zu werden.

Es war ein schönes Denkmal patriotischen Bürgersinnes unter der Hand des Fremden, „eine gerechte Züchtigung für Custine’s jacobinische Heuchelei in Worten“. Er antwortete hierauf damit, daß er die Contribution wieder auf zwei Millionen erhöhte. Truppen zogen ein und aus, General van Helden wurde Commandant der Stadt, welche mit ihm übrigens zufrieden sein konnte. Der ersten Deputation, die nach Paris gesandt war, folgte jetzt eine zweite, bestehend aus dem Schöffen von Günderode, den Herren Zordis und Müller. Unterdessen ließ sich aber Custine herbei, der Stadt Frankfurt einen Schutzbrief zu verleihen, der ihr Sicherheit der Personen und des Eigenthums verhieß und außer der schon auferlegten keine weitere Contribution aufzulegen versprach. Es verbreitete sich sogar das angenehme Gerücht, daß die schon gezahlte Million wieder zurückgegeben werden sollte. Von Außen kamen gemischte Nachrichten. Man hörte, daß das Hauptquartier des „Eroberers“ nach Homburg vor der Höhe verlegt sei und daß er starke Verschanzungen bis Höchst aufwerfen lasse. Die Preußen und Hessen, hieß es, seien in Coblenz eingerückt und näherten sich von dort im Lahnthal. Zündend wirkte dann die Kunde von Gefechten, in welchen die deutschen Waffen endlich einmal siegreich gewesen waren. Bei Weilburg hatten die Hessen einen Erfolg errungen, auch Nauheim war wieder genommen worden. Der König von Preußen führte seine Armee vom Niederrhein her gegen den Taunus.

Da wurde in Frankfurt durch die Zeitungen eine seltsame Aufforderung Custine’s bekannt, diesmal nicht an das Volk, sondern an eins jener vielfach angefeindeten gekrönten Häupter gerichtet, allerdings nur in den Zeitungen. Frau Hartinger empfing ihren Mann, welcher von einem Geschäftsgang heimkehrte, mit hochgehobenem Zeitungsblatt: „Lies hier! Die Preußen haben sich mit den Franzosen alliirt! Nun ist Alles aus! Lies nur, lies, mon cher!“

„Chere mich nicht mehr, nenne mich bei meinem ehrlichen Namen Jacob. Der Zeitungsschreiber ist wohl verrückt geworden?“ Er nahm die Zeitung und las mit hochgezogenen Augenbrauen, dann lachte er laut und rief: „Nicht der Zeitungsschreiber ist verrückt, sondern Custinus, wie er auf der Gasse heißt. Du aber, Trautche, kannst weder lesen, noch capiren! Zu einer Allianz macht Custine dem Könige von Preußen nur den verrückten Vorschlag: er soll den Landgrafen mit seinem ganzen hessischen Corps unter die preußische Armee stecken und dann mit Frankreich alliirt sich auf Oesterreich werfen! Auf eine solche Impertinenz kann der König nur mit seinen Kanonen antworten.“

„Wird es hier in der Nähe losgehen?“ fragte sie furchtsam. „Dorche glaubt es.“

Er zog, wie ein entschlossener Mann, seine Westenschöße herab. „Man muß sich auf Alles gefaßt machen, Belagerung, Sturm!“

„Und Plünderung!“ setzte sie jammernd hinzu.

„Auch darauf!“ erwiderte er gelassen. „Ich habe für diesen Fall schon gesorgt. Bei mir sollen sie lange suchen!“

Ende November war’s, die Ereignisse folgten sich nun rasch. Noch unterm 23. hatte Custine in einem Schutzbrief für die Fuhrleute sich pomphaft als ersten commandirenden General der Armeen der französischen Republik am Ober- und Niederrhein, im Centrum Frankreichs und in Deutschland genannt – fünf Tage später sprengten schon preußische braune Husaren gegen das französische Piket vor dem Neuen Thore Frankfurts an und warfen sie bis in die Gärten zurück. Ein preußisches Corps hatte bei der Friedberger Warte Stellung genommen, seine Cavalerie die Bockenheimer Straße besetzt. In der Stadt entstand eine unbeschreibliche Bewegung bei dieser Nachricht, und als gegen Abend ein preußischer Stabsofficier mit einem Trompeter als Parlamentär einritt, wurde er vom Volke mit einem jubelnden Vivat begrüßt. General von Kalkreuth ließ den Commandanten von Frankfurt zur Uebergabe auffordern; dieser meldete sofort nach Mainz, von wo Custine (spät in der Nacht dem preußischen General höhnend antworten ließ: „am andern Morgen werde er ihm selbst die Schlüssel der Stadt bringen.“ Van Helden erhielt den Befehl, sich bis auf den letzten Mann zu vertheidigen und die strengsten Maßregeln gegen die unruhigen Einwohner zu ergreifen. Die Stadt war aber nur durch einen verfallenen Hauptwall und flachen Graben befestigt und die Besatzung zählte kaum zweitausendachthundert Mann mit zwei Dreipfündern, die nur dreißig Schuß hatten! Was soll man zu Custine sagen, der Alles versäumt hatte, um die Beute, welche ihm gleichsam in den Schooß gefallen war, zu behaupten? Verdiente er nicht sein späteres Schicksal, da er den Kopf, welchen ihm im folgenden Jahre die Guillotine abschnitt, schon jetzt verloren hatte? Er kam noch einmal nach Frankfurt, wo ein Versuch der Franzosen, das Zeughaus im Rannehof zu erbrechen, einen Volkstumult erregt hatte, der nur durch die Ermahnungen mehrerer Magistratspersonen und reichen Bürger gestillt worden war. Bei Custine’s Ankunft, der plötzlich mit einer kleinen Escorte einritt, bei der Hauptwache absaß und mit seinem Gefolge nach dem Römer ging, strömte ebenfalls eine große Volksmenge zusammen. Er blieb nur wenige Minuten oben, dann kam er, begleitet von den beiden Bürgermeistern, Mühl und Dr. v. Schweitzer, wieder heraus und schritt den Hut in der Hand durch die Menschen, als wolle er ihnen eine wolkenfreie Stirn zeigen. Viele meinten aber doch, daß man ihm die Unruhe ansehen könne. Ziemlich laut erklärte er den Stadtvorstehern, daß sie wegen einer Belagerung oder Beschießung unbesorgt sein möchten; er werde dem Feinde im freien Felde eine Bataille liefern und ihn zurückschlagen. Beim Gange nach der Hauptwache machte sich der Adjutant, der bei ihm war, an einen der mitgehenden Rathsherren, mit welchem er vorher nur einen kalten Blick und Gruß gewechselt hatte. „Wollen Sie mir wirklich keine Unterredung mit Ihrer Mademoiselle Tochter gestatten?“ fragte er ihn halblaut.

„Meine Tochter hat einen zu festen Charakter, als daß Sie etwas davon erwarten könnten,“ war die Antwort.

„Fester, als manche Wetterfahne!“ versetzte der Adjutant scharf und wandte sich von Hartinger trotzig ab. Da fiel sein Blick auf ein Gesicht, das ihn mit einem frechen Lächeln anstarrte. „Arrêtez cet espion-là!“ rief er den Chasseurs der Escorte zu. Ehe diese den Bezeichneten jedoch greifen konnten, war dieser in der undurchdringlichen Menschenmasse, welche ihn schützend aufnahm, verschwunden.

An der Hauptwache saß Custine wieder auf und ritt nach Höchst zurück, wo er jetzt sein Hauptquartier hatte. Ihm folgten die Bagage- und Munitionswagen, welche noch in Frankfurt waren, nach und General Helden, welchem er noch seinen frühern Befehl wiederholte, blickte bei der Rückkehr in sein Quartier traurig auf seine beiden kleinen Kanonen, die vor demselben aufgefahren waren. Die Garnison bivouakirte auf dem Walle.

Ein paar Tage vergingen, ohne daß etwas Bedeutendes vorfiel. Es war aber die Stille vor dem Gewitter. Der König von Preußen hatte den Sturm auf Frankfurt beschlossen, um noch vor den Winterquartieren das rechte Rheinufer von den Franzosen zu säubern. Dazu wurden die Truppen erst concentrirt und eingetheilt. Die Hessen sollten die Ehre des Vorkampfs haben, weil es hier die Sicherung ihres eigenen Landes galt. Sie waren der Ehre werth. Ein alter preußischer Officier, der spätere General von Valentin, sagt in seinen Erinnerungen: „Mitten im Verfalle der deutschen Truppen waren die Hessen ein stehen gebliebenes Musterbild.“ Der alte Landgraf Wilhelm, der erst seit sieben Jahren zu seinem Hanau auch Hessen-Cassel geerbt hatte, konnte stolz auf seine Truppen sein. Viele gab es darunter, welche, einst schmachvoll nach Amerika verkauft, von dort zwar keine Lorbeeren, aber den Ruhm glänzender Tapferkeit und unschätzbarer Kriegserfahrung mitgebracht hatten. Sie sollten dieselbe bewähren.

In Frankfurt, Angesichts des Feindes, dessen Cavalerie sich auf der Bornheimer Haide mit den französischen Vorposten neckte, waren die Thore nicht einmal geschlossen! Am Bußtage, der auf den 30. November fiel, zogen viele Menschen, besonders wieder die feiernden Handwerksburschen, über die niedergelassenen Brücken, um die preußischen und hessischen Truppen oberhalb der Friedberger Warte zu besuchen; am nächsten Tage wurden diese Besuche fortgesetzt, ohne daß die Franzosen sie hinderten. Auch Martin Sperber ließ sich diese Gelegenheit nicht entgehen, er hatte diesmal wieder einen Auftrag von der alten Nachbarin, der Hausmutter Weidel, und mit der ihm eigenen Dreistigkeit gelang es ihm auch, durch

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