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Zwischenräumen dem andern gefolgt, so daß die Summe der seit dem 11. Mai fallirten Banken (von kleineren Geschäftshäusern zu schweigen) gegenwärtig die Gesammtzahl von einem halben Dutzend erreicht hat. Die auf dem Continent verbreitete irrige Ansicht, als sei die Suspension der Bank-Charter-Acte identisch mit der Einstellung von Baarzahlungen durch die Bank von England, und die demgemäß erhobenen Forderungen continentaler Gläubiger, in klingender Münze bezahlt zu werden, vermehren die Verwirrung. So fürchtet man denn von Tag zu Tag neue Bankerotte und, wenn unter so gefährlichen Conjuncturen, wie jetzt leider immer wahrscheinlicher wird, ein großer continentaler Krieg zum Ausbruch kommen sollte, ist kaum abzusehen, welche weiteren Calamitäten der Zusammensturz des großen Hauses Overend, Gurney und Comp. für England zur Folge haben wird.

London, Anfang Juni 1866.




Eine Stunde an meinem Bienenstande.


„Nun reite mir auch einmal Dein Steckenpferd vor, alter Junge,“ sagte ein lieber Jugend- und Universitätsfreund, mit dem ich nach manchem langen Jahr wieder einmal in meiner Behausung beim Frühstück beisammen gesessen hatte. „Du bist weit und breit als Bienenvater berühmt, wie ich höre,“ fuhr er fort, „und so möchte ich auch wohl einmal einen Blick in den merkwürdigen Thierstaat thun, obschon mir die einzige Bekanntschaft, die ich jemals mit Deinen Lieblingen machte, nicht eben in angenehmer Erinnerung steht; denn noch jetzt spüre ich im Geiste den Schmerz und die Geschwulst, welche mir einst der Stachel einer Deiner einigen Hautflügler zugefügt hat.“

Eine solche Aufforderung, seine Leib- und Lieblingsleidenschaft in das gehörige Licht zu stellen, läßt sich Niemand zwei Mal sagen, am wenigsten ein eifriger Bienenzüchter, wie ich es seit länger denn zehn Jahren war. Wir machten uns denn nach meinem Bienenstand auf den Weg.

Zunächst ward dem Freunde eine Bienenhaube mit Drahtgeflecht und Augengläsern über den Kopf gestülpt und eine leinene Blouse übergezogen; die brennende Cigarre dampfte im Munde, die Hände waren mit dicken Wollhandschuhen verwahrt. So führte ich den maskirten, geharnischten und gepanzerten Freund, ein prächtiges Seitenstück zu Falstaff’s „sieben steifleinenen Kerlen“, meinem Bienenpavillon zu, wies ihm den passendsten Platz an, von wo aus er das äußere Treiben mehrerer recht volkreicher Bienenstöcke genau in’s Auge fassen konnte, und hieß ihn seine volle Aufmerksamkeit auf jene kleinen Breter vor den schmalen, länglichen Oeffnungen (Fluglöcher) in den Wänden des Pavillons richten, an denen es am lebendigsten herging.

„Nun sieh,“ sprach ich, „wie sich das drängt von innen aus dem Dunkel an’s Licht, vom Lichte zum Dunkel! Zu Hunderten fliegt das muntere Völkchen in jeder Secunde ab und zu. Ist’s nicht eine wahre Lust, das anzuschauen? Aber was für ein prächtiger Tag ist auch heute für das Bienenleben! Nach dem gestrigen sanften Gewitterregen haben sich die Kelche aller Blüthen mit süßem Nektar überreich gefüllt; jetzt gilt’s sie zu entleeren und in wenigen Tagen vielleicht, außer dem Nothbedarf für’s ganze Jahr, auch noch weiteren Vorrath zu beschaffen. Was heute versäumt wird, ist morgen vielleicht nicht mehr nachzuholen; der günstigen Tage sind etwa nur wenige beschieden, darum rasch und frisch an’s Werk! – Was für ein wunderbar schnellwechselndes Schauspiel auf dem Flugbrete des Baues in jedem Augenblicke! Da stürzen einige Bienen recht plump und schwer aus der Luft auf das Flugbret herab; sie scheinen ganz ermattet von der Mühsal eines vermuthlich weiten Weges; man sieht’s ganz deutlich, sie athmen tief und schwer, wie ein Mensch der unter einer drückenden Bürde daherkeucht, und wollen sich erholen, bevor sie in den dunkeln Bau schlüpfen. Das soll uns gar nicht wundern, denn in der That sind diese Bienlein sehr beschwert von süßem Honigseim, den sie hier und da sammelnd in sich aufsogen und, von unzähligen Gefahren umringt und bedroht, nun endlich heimbringen und in sichern Vorrathskammern aufspeichern wollen.

Dort kommen wieder andere an, nicht weniger schwer beladen, – dazu gar wunderlich bepudert und buntfarbig behost. Echte Essenkehrer, fürwahr! oder Müllerburschen, denen man es auf’s Haar ansehen kann, wo sie sich umgetrieben und angerieben haben! Das sind die nicht minder fleißigen Blumenstaubsammlerinnen, mit weißen, gelben, braunen, schwarzen Höschen angethan, je nachdem sie im Schooße der Feuerlilie oder des Mohns, dem Kelche der Esparsette oder des Geisblattes sich herumgewälzt haben, damit der zarte Blumenstaub sich an die feinen Borsten ihres Leibes setze, von wo er mit den Vorderfüßen abgestreift und in den Grübchen der Hinterbeine in Form kleiner Kügelchen festgedrückt wird. Auch sie eilen in’s Dunkel ihrer Wohnung, um sich von hülfreichen Genossinnen ihrer Bürde entledigen zu lassen, von der ein Theil, sogleich mit Honig gemengt, zum Futter für die Nachkommenschaft und das Volk verwendet, der andere ebenfalls verwahrlich niedergelegt wird.

Zwischen den Ankömmlingen stürzen in wilder Eile und pfeilgerader Richtung die Abziehenden wieder hervor, als ging’s auf Leben und Tod! Dort, ein wenig seitwärts auf dem Flugbrete producirt sich unseren Blicken eine andere kleine Familienscene, die wir recht aufmerksam belauschen wollen. Da sind drei, vier Bienen, sie haben eine fünfte in der Mitte und scheinen diese hin- und herzuzerren. Hat man etwa Arges mit ihr im Sinne? soll ein Strafact an ihr vollführt werden? will man ihr etwa gar an’s Leben? Weit gefehlt! Die Biene in der Mitte, um welche sich die andern so eifrig bethun, daß man fast Böses argwöhnen könnte, ist eine junge Biene, die eben zum ersten Male von der Sonne beschienen wird und im Begriffe steht, ihren ersten Ausflug in die Welt zu machen; die um sie beschäftigten Bienen aber sind alte, die dem Kiekindiewelt leckend, streichelnd, zupfend, bürstend vor dem Abfluge die Toilette machen, just so wie eine saubere Mutter ihrem kleinen Herzblättchen, ehe sie es aus dem Hause auf die Straße entläßt, zuvor immer erst noch die Haare streicht, die Falten des Kleidchens glättet, das Hütchen rückt und das Schuhband festbindet.

Aber was ist das und was will es bedeuten? Da laufen auf dem Flugbrete eine Anzahl Bienen so ruhelos hin und her, jeder ankommenden Biene stürzen sie entgegen, von manchen wenden sie sich alsbald wieder weg, andern begegnen sie mit offenbarer Feindseligkeit; einigen Bienen gestatten sie den Eingang in die Wohnung gern und willig, andern wehren sie ihn, wehren ihn mit aller Macht ihrer Widerstandsfähigkeit. Diese Bienen sind die stets kampfbereite und todesmuthige Schutzwacht des ganzen Volkes, eine echte rechte Spartanerschaar, welche jeden ungeladenen Gast, jeden Schmarotzer, der da mit zehren will, wo er doch nicht mitgesammelt hat, jeden Näscher, Dieb und Räuber, auf Leben und Tod bekämpft und dabei des eigenen Lebens weder schont noch achtet, wenn damit nur Ruhe und Frieden des stammverwandten Volkes erkauft, Sicherheit und Heiligkeit des eigenen Heerdes gewahrt und geschirmt werden. Hier stürzt sich eben eine solche Wachtbiene auf einen Feind, der den Versuch macht, in fremdes Eigenthum einzudringen, und sich zu nahe herangewagt hat. Sie hat ihn entweder aus seinem ängstlichen Anfluge, aus der Unsicherheit seines Gebahrens, oder auch am fremdartigen Geruche als Feind ihres Stammes erkannt, darum stürzt sie sich wie ein erzürnter Adler, dem man seine Brut rauben will, voll Wuth auf ihn. Sie packen sich, sie umstricken sich, rollen im Knäuel auf den Erdboden. Wie sie sich im Staube wälzen, Kopf oben, Kopf unten! Endlich löst sich der Knäuel; die eine von beiden hat obgesiegt, sie hat im Ringkampfe der Gegnerin Blöße erspäht und ihr den Giftdolch, den Stachel, bis in’s Herz gebohrt, und diese verendet nach wenigen Zuckungen; oder es ist ihr gelungen, einen Flügel der Gegnerin mit ihrem Gebisse zu fassen, ihn zu verdrehen oder zu zerstören; die Gegnerin ist fortan flugunfähig, kann sich nie wieder in die Luft erheben, sie ist dem jämmerlichsten Hungertode geweiht.

Wie bei Tage, so bei Nacht, steht eine solche Bienenschaar an der Pforte Wacht, denn auch von nächtlichen Feinden hat das Volk Ueberrumpelung zu befürchten. Da ist ein kleiner Nachtschmetterling,

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