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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Geschäfte zu unterstützen, hatte sie die Hauptmasse ihres Capitals an Unternehmer von Eisenbahn-, Canal- und Dockbauten, Gaswerken, Wasserleitungen und städtischen Verbesserungen aller Art vorgeschossen und die Bewahrung einer genügenden Reserve der Chance des stetigen Zuflusses neuer Capitalien und Depositen überlassen. Als daher die Krise kam, reichten die vorhandenen Capitalien für die Bedürfnisse des Augenblicks nicht aus und die Bank von England weigerte sich, auf die ihr gebotenen unrealisirbaren Garantien ein Darlehen zu machen, welches dem Bankerott hätte vorbeugen können.

Ein wo möglich noch schlimmerer Uebelstand war die Erbschaft einer von der alten Firma in die neue Compagnie hinübergenommenen Schuld von zwei Millionen achtmalhunderttausend

Vor dem Londoner Bankhause Overend Gurney und Comp. am 11. Mai 1866.

Pfund Sterling. Zur Deckung derselben waren freilich Garantien, deren Werth auf mehr als drei Millionen Pfund berechnet wurde, an das neue Geschäft übergegangen. Doch allem Anschein nach bestanden diese Garantien, selbst wenn der angegebene Nominalwerth mit ihrem Realwerth übereinstimmte, in für den Augenblick unrealisirbaren Capitalien – ja, seitens der Directoren ist schon jetzt halb und halb das Eingeständniß erfolgt, daß jene Schuldenlast der wahre Alp gewesen, welcher auf den Geschicken der Compagnie gelastet habe. Man kann daher kaum umhin, den Scharfsinn jener Unglücksvögel zu bewundern, da sie die Metamorphose des alten Hauses in die neue Compagnie als ein übles Omen auslegten.

Wie dem indeß auch sei, von falschem Spiel spricht vorläufig die öffentliche Meinung die gefallene Compagnie frei. Uebertriebenes Vertrauen auf den Namen des alten Hauses, Mangel an Vorsicht und ein Zusammenwirken widriger Verhältnisse scheinen den Bankerott herbeigeführt zu haben. Der härteste Verlust wird die Directoren, zum Theil Mitglieder der alten Firma, und die Actionäre treffen. Die Depositoren werden, so versichert man, ihre Capitalien ohne Abzug zurückerhalten. Ja, Dank der kaum glaublichen Zähigkeit einer tiefgewurzelten Tradition, ist noch im gegenwärtigen Moment der Glaube an die Namen Overend, Gurney und Comp. so mächtig, daß seitens eines einflußreichen Meetings von Gläubigern Schritte geschehen sind, den Proceß in dem Bankerottgerichtshofe zu sistiren und das Geschäft durch Zuschuß frischer Capitalien unter der alten Firma wiederherzustellen.

Unendlich viel wichtiger, als die Lösung dieser Probleme, ist übrigens die Frage: wie den zerstörenden Wirkungen des Overend-Gurney’schen Bankerotts auf die englischen Handelsverhältnisse überhaupt zu begegnen sei. Der im Laufe des 11. Mai zur Geltung gelangten Ueberzeugung, daß nichts als die Suspension der Bank-Charter-Acte einem allgemeinen Bankerott vorzubeugen vermöge, wurde bereits Erwähnung gethan, und noch am Abend desselben Tages ermächtigte die Regierung die Bank von England zur Ausgabe von Banknoten über die von der Bank-Charter-Acte festgesetzte Grenze. Dieser Schritt hat das völlig erschütterte Vertrauen theilweise hergestellt, aber andererseits ist damit auch der Werth des Goldes und die Schwierigkeit, Credit und Capitalien zur Führung der Geschäfte aufzutreiben, unendlich gestiegen. Obgleich der Discontosatz der Bank selbst auf zehn Procent stehen geblieben ist, gewährt sie doch höchstens auf Bürgschaft der besten kaufmännischen Wechsel oder der von der Nation garantirten Staatspapiere (Consols), und selbst auf diese nur mit ängstlicher Vorsicht, ihre Darlehen. In allen andern Discontirhäusern steht der Discontosatz auf elf bis zwölf Procent. Ein Bankerott ist überdies in kurzen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_381.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)