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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

die Dame konnte ich nicht verlassen, sie mußte mich begleiten, und Niemand durfte ihr Dasein ahnen.“ Ferner: „Ich wollte für die Kranke Sie als Arzt rufen lassen, doch sie wollte das nicht; auch hätte sie Opfer von Ihnen verlangt“ – „Sie wissen gar nicht, welche Verantwortung Sie auf sich genommen hätten, wenn ich Sie zu dieser Dame geführt hätte!“ – – Und in welchem Zustand traf Hohnbaum den seit mehr als dreißig Jahren von der Welt Geschiedenen? Er fand ihn zwar zu Bette liegend, „aber mit ungebrochener Willenskraft, das Aeußerste zu wagen für die Bewahrung seines Geheimnisses, und den geistigen Blick so frei und beweglich, wie der eines Mannes, der eben erst von dem dichtesten Marktgewühl des politischen und wissenschaftlichen Lebens heimkommt.“ –

Wir eilen dem Schlusse zu und müssen gestehen, daß hier das Schicksal einen glücklichen Griff gethan, als es einen so hochbegabten und eisernen Geist zum Wächter eines großen politischen Geheimnisses setzte. Etwas Anderes ist nicht anzunehmen, und Alles, was der Graf in seinem Nachlaß finden ließ, gehört, wie sicherlich auch Vieles, was er im Leben brieflich und mündlich in wohl oft traulichster Form hingab, zu seinem Apparat absichtlicher Täuschung und kluger Abführung von der wahren Spur.

Unter den nachgelassenen Papieren des Grafen befand sich nämlich ein Reisepaß, der auf den Namen Leonardus Cornelius van der Valck lautete, und ein Taufzeugniß mit demselben Namen. Auf die öffentliche Aufforderung des Hildburghäuser Kreisgerichts an die unbekannten Verwandten des Verstorbenen, die Hinterlassenschaft desselben, die an Immobilien (Häuser und Gärten bei Hildburghausen), Mobilien und baarem Gelde fünfzehntausendeinhundert Gulden betrug, in Empfang zu nehmen, wußte sich ein Herr van der Valck aus Holland als Verwandter zu legitimiren und erhielt, allerdings angeblich erst mit Hülfe diplomatischer Vermittelung der holländischen Gesandtschaft bei dem Gouvernement in Meiningen, die Erbschaft ausgehändigt.

War aber wirklich der Mann, welcher vierzig Jahre lang als Vavel de Versay lebte, jener van der Valck? Hat der Mann nicht etwa mit beiden Namen die Welt irre geführt? Wird er doch in einem Briefe der Gräfin an ihn, dem einzigen Schriftstück, das von ihr existirte und das er selbst für authentisch erklärt, Ludwig genannt, nicht Cornelius oder Leonardus. – Zwar schien aus einer Reihe von Briefen hervorzugehen, daß die Verwandten des Herrn van der Valck von Holland her mit dem Geheimnißvollen im Schloß bis zu seinem Tode in Correspondenz gestanden, – sie selbst hielten ihn wohl für diesen van der Valck, aber ob er es auch war? Gesehen hat ihn im Leben keiner seiner Verwandten, ja sie wußten nicht einmal etwas von der Existenz einer Dame im Schloß. – Oder sollte, als der Emigrirte von Ingelfingen todt gesagt wurde, ebenderselbe sich die Papiere eines Leonardus Cornelius van der Valck zu verschaffen gewußt und, mit den Verhältnissen desselben bekannt, den Verwandten in Holland geschrieben haben, daß er fortan als Vavel de Versay in tiefster Verborgenheit fortleben wolle? – Sollte Das den schweren Druck auf dem Gewissen des Kammerdieners verschuldet haben? –

Dr. Kühner, dem wir leider in dem Abschnitte seiner Mittheilungen, welcher „die gerichtlichen Erörterungen und den Versuch einer Kritik derselben“ enthält, hier nicht in’s Einzelne folgen können, weshalb wir diejenigen Leser, welche von diesem Geheimniß sich besonders angezogen fühlen, auf diese geistreiche und warme Arbeit selbst hinverweisen, Dr. Kühner nimmt für jeden Fall, ob wir den Gesandtschaftssecretär von der Valck oder einen Unbekannten vor uns haben, an, daß er nicht der Held des unentwickelten Dramas gewesen sei, sondern nur der Diener.

Wer war aber die Hauptperson dieses Dramas, die Dame? Auch für sie bringt der Nachlaß einen neuen Schleier: eine Anzahl 1798 und 1799 geschriebener Briefe einer Frau Angés Berthelmy geborene Daniels aus Mans, in der man die „Lebensgefährtin“ des Grafen wieder finden wollte. Wohin kommen wir nun aber mit dem vom Grafen für sie angegebenen Namen Sophie Botta? – Nach einer damals in der Augsburger Allgemeinen Zeitung veröffentlichten Correspondenz aus Heidelberg lebte allerdings Ausgangs der neunziger Jahre eine geborne Daniels, verehelichte Berthelmy in Frankreich, die, aus Köln stammend und mit einer gräflichen Familie Foy in Paris verwandt, längere Zeit in Rheinbaiern wohnte, wo eine Tochter derselben noch jetzt leben soll. Berthelmy soll ein französischer General gewesen sein. Aber was fangen wir wieder damit an? Die Verschleierung des Ganzen wird dadurch eine immer verwickeltere.

Gehen wir zu der, nach Dr. Kühner’s Ansicht, statthaftesten Annahme zurück, daß der Unbekannte die Gefangenschaft einer Dame von großer politischer Bedeutung bewacht habe, so finden wir das doppelte Opfer nicht nur so bedeutender Summen, sondern auch eines ganzen Manneslebens erklärlich. Wie wir aber oben bei der Frage stehen blieben: Wer war der Mann? – so bleibt uns hier die Frage unbeantwortet: Wer war die Dame?

Sicherlich ist es ein beachtenswerthes Zusammenstimmen, daß schon 1803 oder 1804 in Ingelfingen im Antlitz der Dame Aehnlichkeit mit der Tochter Ludwig’s des Sechszehnten herausgefunden wurde, daß, wohl zwanzig Jahre später, ein Meininger Geheimrath (der früher genannte Herr v. B.) dieselbe Aehnlichkeit entdeckte, daß, ohne von Beidem das Geringste zu wissen, der Pfarrer zu Eishausen durch das Lilien-Siegel auf dieselbe Vermuthung geleitet wird und daß später, nach der Dame Tod, dasselbe Siegel häufiger, also unbesorgter, auf den Briefen an die Wittwe des Pfarrers erscheint. Nehmen wir hierzu das Lilienzeichen auf mehreren Hemden der „Gräfin“ und die Aeußerung des Grafen: „Ich würde den ganzen Nachlaß der Dame zum Besten der Armen überlassen haben, mit Ausnahme von einigen Hemden und Roben“, – so finden wir nicht nur das respectvolle Benehmen des Herrn vor der Dame, sondern auch die Wichtigkeit erklärt, die er auf die Wahrung seines Geheimnisses durch volle vierzig Jahre gelegt. Dazu kommt noch, daß im Jahre 1824 oder 1825 eine französische Zeitung (sie wurde Dr. Kühner von einem zuverlässigen Manne mitgetheilt, der sich damals in Geschäften des Königs von Würtemberg in Paris befand) die mysteriöse Notiz enthielt: man habe in einem verborgenen Winkel von Thüringen die Spur einer längst verschwundenen französischen Prinzessin entdeckt, möge aber wohl Grund haben, diese Spur nicht zu verfolgen. Uebrigens würde auch das Alter der Dame, wie der Graf es angab (58 Jahre bei ihrem Tode 1837), mit dem der Tochter Ludwig’s des Sechszehnten zusammenstimmen.

Wenn auch Dr. Kühner die Nüchternheit seiner Kritik durch diese Verfolgung von Spuren bis zu einem Königsthron für gefährdet hält, so giebt ihm die geheime Geschichte der Höfe das beste Recht dazu. Es wäre gar nicht so romanhaft, eine echte Königstochter von der Revolution zur Seite geschleudert und später durch eine untergeschobene Herzogin von Angoulême ersetzt zu sehen. Auch für die Annahme einer Prinzessin Condé könnten einige Aeußerungen des Grafen sprechen; dagegen steht der Angabe in einem historischen Romane von Georg Hesekiel („Graf d’Anethan d’Entragues“, 3. Bd., 5. Capitel), daß die Unbekannte eine Tochter des Herzogs von Enghien gewesen sei, die Zeit entgegen, denn das unglückliche Opfer Napoleonischer Rache vermählte sich erst 1802 mit der Prinzessin Charlotte von Rohan-Rochefort, während die Gefangene von Eishausen damals schon zehn bis fünfzehn, oder gar zwanzig Jahre alt sein mußte.

Wird je Licht in dieses Dunkel kommen? Man möchte daran zweifeln, nachdem so oft die Herrschergeschlechter auf Frankreichs Thron gewechselt, die Macht der Bourbonen gebrochen, Furcht und Scheu vor ihnen geschwunden und doch noch kein Bekenntniß an den Tag gekommen ist. Nahe liegt allerdings der Gedanke Dr. Kühner’s, daß der Unbekannte in seinem langen Leben in dem stets unzugänglichen Schlosse zu Eishausen es wohl nicht versäumt habe, über oder unter der Erde, in Wänden oder unter den Dielen, verborgene Behälter anzulegen, in welchen auch für den Fall einer plötzlichen Ueberrumpelung, und selbst für den Fall seines plötzlichen Todes die Documente seines Geheimnisses (Briefe, Petschafte, bezeichnende Schmucksachen etc.) vollkommen gesichert sein konnten.

Bis jetzt ist dort keinerlei Nachforschung geschehen; das Schloß dient in allen Räumen zur Aufbewahrung von Getreide, so daß nicht einmal das Beschreiten der Zimmer möglich ist.

Aber auch die Möglichkeit eines anderen Schlüssels zu dem Geheimniß ist noch der Bemerkung und einer Nachforschung werth. Dr. Kühner verwirft zwar mit aller Entschiedenheit die Annahme, daß der Graf, um sich den ruhigen Aufenthalt im Hildburghäuser Lande zu sichern, der Herzogin Charlotte (der Leser kennt sie aus unserm Artikel über die „Bettenburg“) sein Geheimniß anvertraut oder wenigstens erklärende Papiere mitgetheilt habe. Aus Hildburghausen, und zwar von ebenfalls sehr glaubwürdigem Munde,

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