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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

hat, weht ein Hauch der Poesie über diesen Hügeln und Schluchten: eine mächtige Heldengestalt steigt vor uns auf aus alten, verklungenen Zeiten und der fromme Bürger blickt dankerfüllt von der Höhe der Floraburg hinüber nach einem stolzen Schlosse, lüftet sein Käpplein und murmelt: „Heil Dir in Ewigkeit, o Rudolf von Habsburg, daß Du unserer Stadt im Jahre 1264 diesen Wald geschenkt hast! Amen!“

Es ist ein prächtig, brusterweiternd Auslugen von diesem Belvedere, genannt Floraburg, eintausend neunhundert und siebenzig Fuß überm mittelländischen und auch hoch genug über dem Eschenbergerwaldmeer, um dies fürstliche Geschenk des Habsburgers ziemlich umfassend überschauen zu können. Der schimmernde Alpenkranz, vom Säntis bis zu den Berner Riesen, steigt glorreich über den Hügeln des Zürichgaues empor, und in der Mitte des Bildes, über den näheren Waldschluchten, glitzern die Fenster, ragen die Thürme des stolzen Welfenschlosses, der Kyburg, aus dunklen Baummassen heraus. Auf, hinüber! Bleiben wir nicht auf schweigender Waldhöhe, es winkt Gastfreundschaft aus jenen Fenstern. Rasch hat uns das kühle, quellenreiche Tobel aufgenommen und hinter den Wipfeln versunken ist auch das Schloß. Ein vergnüglich Schlendern auf parklich herrlichem Waldweg führt uns durch die hochstämmige Einsamkeit, und bald mischt sich in das leise Flüstern der Tannen das kräftigere Rauschen des wilden Waldwassers, der Töß. Hinab den jähen Abhang reißt uns der Weg, in wilder Flucht zu Thal, und wenn wir endlich erathmend aufschauen – sieh, da thront sie herab, die schöne Burg, stolz und doch freundlich, ganz nahe über uns, jenseits des bleichen Kiesgeschiebes der Töß, die den Fuß des Schloßbergs bespült. Eine gedeckte Brücke führt uns hinüber, und da wir kein Fuhrwerk bei uns haben, wenden wir uns links in den Fußpfad, der in vielfachen Windungen bequem, bald durch prächtigen Wald, bald über sonnigfreie Stellen und durch Gebüsch, eine Viertelstunde aufwärts leitet. Immer mächtiger schaut das Schloß hinter den gewaltigen Linden empor, und was uns vom Thal aus in verkleinernder Verkürzung erschienen, das streckt nun, da wir auf gleicher Höhe stehen, imposant riesige Steinglieder. Der Eingang durch den Garten unter den vier herrlichen Linden ist lieblich, der Weg durch das Gitterthor an epheuumsponnener Mauer hin ahnungweckend, – da, am Hauptthor, klafft ein edles Doggenpaar hervor; aber da ist er auch schon, der Schloß- und Kriegsherr, Oberst Pfau von Winterthur, der die stürmenden Beschützer besänftigt und uns freundlich Willkommen bietet.

Unter seinem starken Schutze wandern wir getrost in den weiten Schloßhof ein. Rings ragen gewaltige Gebäudemassen, ein alter Brunnen rauscht uns entgegen, neben uns, urgebirglich, starrt der Römerthurm, der Vorzeit heil’ger Schauer weht uns an; doch, wie die Schwalben wohl auch an schauerlichen Gefängnissen ihre Nestlein bauen, so ist auch das Wohngebäude an diesen wilden Finsterling angebaut, und wenn wir nun hinaufsteigen und in die Wohnstube treten – o, diese Wohnstube! Der freundliche Comfort, der darin waltet, läßt uns nicht ahnen, daß wir in einem uralten Bau uns befinden; aber wenn wir in die Fensternischen treten, deren jede ein kleines Poetenwinklein für sich ausmacht, dann merken wir allerdings burghaft solides Mauerwerk und spüren, wo wir sind. Aus den nördlichen Fenstern fliegt der Blick über den weiten Wald, aus dem wir kommen, hinaus in’s Schwabenland, über weiteste Gebiete; drüben jedoch, in der südöstlichen Nische, dort setz dich hin und schau durch die Lindenzweige hinüber zum Glärnisch, der mit seinem blendenden Vrenelisgärtli scheinbar ganz nahe hereinwinkt. Das ist ein Winkelein, werth, daß man es (buchstäblich) besitze!

Aber, unser harrt noch ein weiter Gang, und mit süßem Ahnungsschauder sehen wir den liebenswürdigen Schloßherrn verschiedene gewichtige Schlüssel vom Ofen langen. Es beginnt die Wanderung, und der Hauptmann geht uns kühn voran. Kamen wir im Wohnzimmer in heimelige Häuslichkeit, so stehen in den Zimmern des oberen Stockwerkes Prachtstücke aus früheren Zeiten, wundervoll eingelegte Tische und Aufsätze, von denen eines, das reichste, der Diana von Poitiers, der Geliebten König Heinrich’s des Zweiten von Frankreich, gehört haben soll. Von da aus folgen wir dem kundigen Führer durch den „großen Gang“ am Taubenthürmchen vorbei nach dem Ritterhause, das im Laufe der Jahrhunderte mannigfache Veränderungen erlitten hat und zur Beherbergung der an das gräfliche Hoflager gekommenen Edlen bestimmt war. Viele Thüren reizen die Neugierde; vor einer derselben wird Halt gemacht. Sie geht auf, und in reichstem Farbenglanze strahlt uns der in eine Gemäldegalerie umgeschaffene Rittersaal entgegen! Es leuchten unsere Augen und nicht minder die des Schloßherrn, der hier, ausruhend von ernsten völker- und kriegsgeschichtlichen Studien, praktische Kunstgeschichte treibt, und (ich kann’s nicht verschweigen!) was ihm in irgend einer seiner Malerschulen noch fehlt, von der Thurmwarte aus draußen im weiten Reich, sei’s an der Donau oder am Rhein, mit einer wahren Polizeinase wittert, und als beneidenswerther Mann denn auch richtig holt und aufnagelt. Es ließe sich hier wehmüthig werden und eine Betrachtung über Kunst und Kunstbesitz überhaupt anfangen; glücklicherweise haben wir aber keine Zeit und keinen Platz und fangen darum frischweg an, die Galerie durchzugenießen, welche Meisterwerke der deutsch-niederländischen, italienischen, französischen und spanischen Schule enthält, sodaß die Sammlung nicht nur eine reiche Zier des Schlosses, sondern des ganzen Landes bildet. Glücklich der Mann, der’s hat und vermag, und Andere so liberal mitgenießen läßt!

Es ist ein glücklich Ruhen und Träumen in diesem alten Rittersaal und viel heimeliger als eine Treppe tiefer im alten Rüstsaal, wo uns beim Aufspringen der Thür zwei Phantome in kriegerischer Rüstung erschrecken, die an einem Tischchen mit Vorlesen und Zuhorchen beschäftigt sind. Der eine davon ist der Landvogt Lavater von Zürich. Noch zwei andere Figuren, ein Ausspäher in einer Nische und eine Schildwache an der hintern Treppe, lassen das düstere Gemach wohlbesetzt erscheinen, sind aber nicht im Stande uns von der Betrachtung der überaus kunstreich geschnitzten Möbel und der bewunderungswürdigen Gobelins zu verscheuchen, bis der freundliche Führer uns wieder die Treppe hinaufgeleitet, um uns, wie er lächelnd erklärt, zur Belohnung unserer Theilnahme über den „schwarzen Gang“ zum Tode zu führen. Wir folgen ihm ergeben und gelangen in der nordwestlichen Ecke der Burg in ein Thurmzimmer, wo, wenn nicht alte Erinnerungen an die Folterkammer, die darunter liegt, uns stören, sich wunderselig ausblicken läßt durch die Baumspitzen, welche an die Fensterchen langen, hinab in die tiefen, kühlen Waldschluchten. Es ist dies das „Gertrudzimmer“ im „grauen Thurm“, durch welchen ein gewundener, gewölbter Gang nach dem hinten angebrachten runden Ausfallspförtchen und von da in die Waldtiefen hinabführt. Durch diesen Gang soll der hochsinnige Graf Werner, als das Schloß vor dem übermächtigen Angriffe Kaiser Conrad des Zweiten nicht mehr zu halten war, entkommen sein, und soll Gertrud von Wart sich nach Winterthur geflüchtet haben, um von ihrem unglücklichen, des Königmordes angeklagten Gemahl Rudolf Abschied zu nehmen.

Neben den grauen Thurm angebaut steht die im Lauf der Zeiten vielfach geschändete und zerbaute romanische Bergcapelle, an deren Wänden in letzter Zeit mit sorgfältiger Bemühung höchst interessante Frescobilder unter der Tünche hervorgerettet worden sind, die wohl schon aus der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts stammen. Auch die schauerliche Sage der eisernen Jungfrau spukt an dieser Capelle. Dagegen umschloß dieser geweihte Raum vor Zeiten Werthsachen, von denen der jetzige Schloßherr mit feierlichem und wohl glaubwürdigem Ernst versichert, daß er sie in hohen Ehren und festem Schutze bewahren würde, wenn sie noch da wären. Es sind dies nichts mehr und nichts minder als die Reichskleinodien und Reliquien, welche Kaiser Rudolf’s Sohn, Herzog Albrecht, erst nach der Kaiserkrönung Adolf’s von Nassau auslieferte, nach dessen Tode in der Schlacht von Gölheim sie dann wieder in seine Hände kamen und nach Kyburg zurückgebracht wurden. Nach Albrecht’s Ermordung wurden sie an seinen Nachfolger Heinrich den Siebenten übergeben. Da waren unter Anderem das Schwert und die Krone Caroli Magni nebst dem Krönungsornat, verschiedenen Sceptern und Reichsäpfeln und, was in dem „urchig“ reformirten Lande am schmerzlichsten als herber Verlust betrauert wird: ein Stockzahn Johannes des Täufers nebst übrigen Gliedern und Kleider-Fragmenten anderer Heiligen. Dafür aber hat der Vater des jetzigen Besitzers die Kaiserkrone, die einst als Thurmzierde den Römerthurm krönte und die seiner Zeit vor den langfingrigen Franzosen versteckt worden war, wieder auf ihre luftige Höhe sieghaft erhoben, sodaß doch etwas, wenn auch nicht in massivem Gold, an die alte Kaiserherrlichkeit erinnert. Der Willenthurm liegt dem Römerthurm gegenüber und vertheidigt mit diesem den Eingang durch das innere Thor.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_374.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)