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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 24.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Frankfurter Advent.
Historische Novelle von Bernd von Guseck.
(Fortsetzung.)


Sperber erbot sich, den ihm von der Frau Weidel übergebenen Brief auf der Post zu bestellen. Es war schon zu finster, die Aufschrift zu lesen; als er aber an das lichthelle Fenster der Thurn und Taxisschen Expedition trat, sah er doch, wie schlecht gekritzelt der Name auch war, daß die Alte an den Lieutenant Ortenburg geschrieben hatte – nach Marburg. „Ach, wenn doch das ganze hessische Corps, das noch weit überm Rhein stand, und die Preußen in Marburg wären, um dem Custinus hier den Garaus zu machen!“ dachte Sperber.

Die Amme, wie Frau Amalie Weidel trotz ihrer achtzig Jahre noch im Hartinger’schen Hause genannt wurde, war unterdessen hier angelangt und erregte, da sie nach ihrer Manier ohne Weiteres bei der Frau Senatorin eintrat, durch ihre Erscheinung am Spätabend gleich die Besorgniß, daß sie eine schlimme Nachricht bringe.

„Freilich!“ sagte sie, ohne sich an die ihr gewordene Weisung zu schonender Mittheilung zu kehren. „Der Herr sitzt fest im rothen Hause; er und noch vier Rathsherrn sind arretirt, auch zwei Juden, die reichsten, sind hingeschleppt worden, wie ich unterwegs noch gehört habe.“

Ein lauter Schrei der Frau Hartinger hatte ihre Meldung schon unterbrochen. „Im rothen Hause, sagst Du?“ rief Dorothea in höchster Aufregung. „Aus welchem Grunde sind sie verhaftet worden?“

„Es heißt, weil sie Feinde bei sich aufgenommen haben – Andere meinen, es sei wegen der Brandschatzung –“

„Also bekannt ist es schon und wir erfahren es zuletzt?“ sagte Dorothea, „Mutter, ich werde zur Frau Syndicus gehen, einer von den Leuten kann mich begleiten, dort höre ich gewiß die Wahrheit.“

Die Mutter war trostlos. „Sie werden ihn nach Frankreich schleppen, sie werden uns zu Bettlern machen! Und Du willst mich jetzt verlassen?“

Dorothea sprach ihr zu, aber sie ließ sich nicht abhalten; ihr Gefühl brach nicht in Jammern und Klagen aus, es war das Gefühl eines starken Zornes. Einer von den Comptoirdienern begleitete sie mit der Laterne auf dem kurzen Wege und leuchtete an der Hausthür einem Menschen in’s Gesicht, der an die Mauer gelehnt stand. „Was will Er hier? Auf wen wartet Er?“ fuhr er ihn an.

„Auf Ihn nicht!“ klang die derbe Antwort. „Ach, sind Sie’s, Mamsellchen? Ich wollte die gute Frau Weidel nach Haus bringen; auf den Gassen ist’s nicht geheuer für eine alte Frau.“

Dorothea erkannte den Gesellen, welchem sie vor einiger Zeit eine Gabe verabreicht hatte. Sperber’s Gesicht war nicht so leicht zu vergessen, sie würde sich seiner aber doch nicht erinnert haben, wenn er nicht zuletzt noch das Gespräch mit ihrem Vetter gehabt hätte. „Frau Weidel wird bei meiner Mutter bleiben,“ sagte sie freundlich.

„Und Sie wollen wohl zum Herrn Vater?“ entgegnete Sperber. „Ach, da kommen Sie nicht hinein! Da stehen Schildwachen.“

„Wißt Ihr auch schon, was geschehen ist?“ fragte Dorothea.

„Es wird noch besser kommen! Der Custinus ist gut bedient, er weiß den Hammer auf die rechte Stelle zu schlagen. Als ich bei ihm, im rothen Rock wie einen Scharfrichtersknecht, den tollen Böhmer sah, da wußt’ ich schon genug.“

Von Dr. Böhmer, dem ehemaligen Gymnasialdirector aus Wiesbaden, dem Sohne eines würdigen Professors in Göttingen, war schon in den befreundeten Häusern, welche Dorothea mit ihrer Mutter besuchte, die Rede gewesen; sie wußte, daß Böhmer sich unbedingt den neuen Freiheitsaposteln angeschlossen hatte. Mit seinem und vielen andern Namen aus Mainz war auch Stamm mehrfach erwähnt worden; war Stamm, der sich einen Freund ihres Hauses nannte, nicht bei Custine, und wenn er auf diesen, wie ihr Vater meinte, einen großen Einfluß hatte, konnte er nicht verhindern, was geschehen war? Mit diesem Gedanken beschäftigte sich Dorothea, nachdem sie sich von dem Gesellen, der nun seine eigenen Wege ging, getrennt hatte.

Bei Frau Seeger, der Gattin des hochgeachteten Syndicus, erhielt sie vollen Aufschluß. Custine hatte fünf der angesehensten Männer aus dem Rath und zwei reiche Juden als Geiseln für die Zahlung der Contribution festnehmen lassen. Gegen die steigenden Gewaltmaßregeln war nichts zu thun, als ungebeugt auf seinem Rechte zu verharren. Der Syndicus Seeger und der Kaufmann Engelbach sollten noch in der Nacht mit Courierpferden nach Paris abreisen. Unterdessen mußte die Zahlung beginnen, wenn nicht die angedrohte Plünderung der herrschaftlichen Höfe und der Patricierhäuser stattfinden sollte. Das schwere Geschütz war aber auf wiederholte Forderung standhaft verweigert worden. Custine hatte die Zeughäuser bis jetzt wohl nur deshalb noch nicht erbrechen lassen, weil er keinen Angriff auf Mainz befürchtete und darum die Kanonen dort nicht brauchte. Welcher Geist in der ganzen Einwohnerschaft lebte, bewies die Thatsache, daß die Sachsenhäuser, welche er bei einem Besuch ihres Stadttheils persönlich um einen Baum, um diesen als Freiheitsbaum aufzurichten, gebeten hatte, ihm denselben rund abschlugen. „Die Frankfurter sind

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_369.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)