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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 23.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Frankfurter Advent.
Historische Novelle von Bernd von Guseck.
(Fortsetzung.)


Spät kehrte endlich der Senator Hartinger heim; er trat in die Stube seiner Frau, wo schon die Lichter brannten, und Dorothea sah auf den ersten Blick, daß er blaß und niedergeschlagen war.

„Sie bringen eine unglückliche Nachricht, Vater!“ rief das Mädchen aufspringend.

Der Vater ließ sich auf einen Stuhl nieder, es schien ihm sehr schwer auf dem Herzen zu liegen.

„Ein Fallissement?“ fragte die Mutter besorgt.

„Ja! Eine Firma, auf die ich mein ganzes Vermögen gesetzt hätte, hat mir fallirt … erschrick nicht, Gertrud! Ich spreche nur bildlich. Kein Handelshaus – sondern … aber das begreifst Du nicht. Herr Custine, oder besser gesagt, der Bürger Custine hat uns eine Contribution auferlegt!“

„Weshalb denn?“ rief Dorothea mit aufblitzenden Augen. „Unter welchem Vorwande? Haben wir nicht Frieden mit Frankreich?“

„Den haben wir und haben ihn ehrlich gehalten!“ seufzte Hartinger. „Er schreibt aber, daß wir den Aristokraten, welche Frankreich verrathen, Vorschub geleistet und dadurch die Nation berechtigt haben, uns feindlich zu behandeln.“

„Das ist eine Lüge!“ warf Dorothea ein.

„Ich kann nicht glauben, daß diese falsche Beschuldigung wissentlich ausgesprochen ist,“ fuhr der Vater fort. „Er muß falsch berichtet sein! Was haben wir mit dem Kriege der französischen Nation zu schaffen? Wenn ein einziges Mitglied des Raths um die unglücklichen Emigranten, die hier versteckt gefunden worden sind, nur ein Wort gewußt hat, will ich nicht gesund vor Euch sitzen. Weiter schreibt Custine: Der König von Preußen und der römische Kaiser hätten viel Gelder in dieser Stadt, die Nation habe ihren Feinden Rache geschworen, und er fordere in ihrem Namen zur Vergütung des ihr zugefügten Schadens eine Contribution –“

„Eine Brandschatzung vielmehr!“ rief die Tochter.

„Wie viel soll es sein?“ fragte Frau Hartinger, welche durch die Nachricht doch aus der Seelenruhe aufgestört worden war, die sie auch beim Einmarsch der Franzosen bewahrt hatte.

„Zwei Millionen Gulden – binnen vierundzwanzig Stunden zu erlegen!“

Sie faltete sprachlos die Hände. „Und wären es nur zweihundert Gulden,“ rief Dorothea, „sie haben kein Recht dazu, kein anderes Recht, als das einer Räuberhorde. Was habt Ihr beschlossen?“

Der Rathsherr mußte sehr bedrückt sein, daß er sich herbeiließ, den Seinigen Mittheilungen zu machen, welche er ihnen sonst immer als für sein Amt ungeeignet vorenthielt. „Der Bürger der französischen Republik, Victor Neuwinger,“ sagte er mit Bitterkeit, „dahier commandirender General der französischen Armee, einer Armee von tausend Mann vielleicht, hat uns beauftragt, allsogleich unter Trommelschlag folgende Proclamation bekannt machen und aller Orten anheften zu lassen.“ Er zog das Schriftstück aus der Tasche und las es vor, oft durch Ausbrüche des Unwillens von seiner Tochter unterbrochen, während die Frau mit zitternd gefalteten Händen stumm zuhörte. Die Schrift besagte, daß die zur Strafe auferlegte Contribution nicht von den Bürgern und Einwohnern der freien Stadt und Republik Frankfurt am Main, noch weniger von den bürgerlichen Stadtcollegien und den nicht zu dem Hause Frauenstein und Limburg gehörigen bürgerlichen Magistratspersonen, sondern einzig und allein von den adeligen Patricierfamilien und den in der Stadt und deren Gebiet gelegenen fürstlichen oder herrschaftlichen Gütern und Besitzungen geleistet werden solle; jede andere Repartition werde er cassiren und nöthigenfalls Gewalt brauchen, um die Contribution in der ausgesprochenen Weise einzutreiben.

„Das trifft uns also auch?“ rief Frau Hartinger, die mit Anstrengung aller Seelenkräfte die Proclamation zu begreifen gestrebt hatte. „Frauenstein, nicht wahr? Nicht blos Limburg?“

In Frankfurt bestanden zwei adelige Geschlechtshäuser: zum alten Limburg und zum Frauenstein. Zu jenem gehörten die Patricier, welche, obgleich in der Bürgerschaft begriffen, dennoch fast durchgängig von uraltem Adel waren, ihre Ahnenregister hielten, nur in adelige Häuser heiratheten und, von ihren Einkünften lebend, keine Handlung trieben. Die zweite Gesellschaft, welche zum adeligen Geschlechtshause Frauenstein oder Braunfels gehörte, war nicht so streng geschlossen und die Familie Hartinger schon seit Jahrhunderten in dieselbe aufgenommen.

„Für das Wohl der Stadt, für das deutsche Vaterland dreifach so viele Millionen und nur vom Adel, mit Freuden gewiß!“ rief Dorothea. „Den Räubern keinen Kreuzer freiwillig! Was wird geschehen, Vater?“

„In der Stadt herrscht die größte Aufregung. Merkwürdig, daß gerade die gemeinen Leute, die Armen und Besitzlosen, die doch von der neuen Ordnung der Dinge in Frankreich eine Verbesserung ihrer Lage zu hoffen haben, am erbittertsten gegen die Franzosen sind, wie man uns berichtet hat. Ein Aufstand könnte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_353.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)