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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

oft wir ihn früher besucht hatten, war es uns immer wie eine Fahrt in die Heimath gewesen. Der gastliche Willkomm, der freie, sympathische Sinn, die edle, anspruchslose Einfachheit und Heiterkeit des Dichterhauses hatten immer wieder die schönsten Nachklänge deutschen Familienlebens und deutscher Geselligkeit in uns wachgerufen, und durch die Unterhaltung wehte und rauschte es wie der Strom des Rheines, wie die Luft des Teutoburger Waldes. …

Auch diese Erinnerungen zogen durch uns hin, als wir, an der Hackney-Station aussteigend, der Wohnung des Dichters zuschritten. Clapton ist eine jener ländlichen Gartenvorstädte, die in meilenweitem Kreise das innere London umkränzen. Die Gärten grünten und blühten ringsum, der Himmel glänzte in dem schönsten Blau, dessen die Londoner Atmosphäre fähig ist. Wir fanden das silberne Brautpaar zu Hause, und es machte keinen Unterschied in dem herzlichen Empfang, als wir beim Aussprechen unserer Glückwünsche erfuhren, daß wir an dem Vorabend des fünfundzwanzigsten Jahrestages gekommen seien, da der Jahrestag selbst zusammenfalle mit dem zwanzigsten Mai, dem diesjährigen ersten Pfingsttage. Geschah doch auf solche Weise auch dem Polterabend seine Ehre! Und so saßen wir bald in traulichem Gespräch bei einander. Zunächst, wie sich von selbst versteht, galt es der Vergangenheit. Es war, im Rückblick auf den Verlauf eines Vierteljahrhunderts, ein heitrer Gedanke, zwei so schöne Gedächtnißtage der ersten und der zweiten Vermählung zusammentreffen zu sehen, indem jener durch den Himmelfahrtstag, dieser durch das Pfingstfest seine äußere Weihe erhielt. Aber bald wandte die Unterhaltung sich der Gegenwart zu, und wie Vieles da mit Wünschen, Befürchtungen, Hoffnungen durchgesprochen wurde, bedarf keiner Erklärung.

Auch Freiligrath’s persönliche Verhältnisse haben in Folgen des Eingehens der Schweizer Bank in London, als deren Director er während der letzten zehn Jahre fungirte, in jüngster Zeit einen Stoß erlitten, dessen Ueberwindung die ganze ruhige Entschlossenheit und Resignation eines Mannes erfordert, welcher, der Vollendung des sechsten Jahrzehnts nahe, nach so vielen Wechselfällen des Lebens gehofft hatte, endlich von der hohen See in einen sichern Hafen eingelaufen zu sein. Seine Familie hatte für den herannahenden Sommer einen Besuch in Deutschland beabsichtigt; Wolfgang, sein ältester Sohn, sollte demnächst eine Stelle in Görlitz antreten, aber bei dem drohenden Ausbruch des Krieges hatte man beide Pläne vertagen müssen. Die Frage, ob Freiligrath mit einer poetischen Arbeit beschäftigt sei, und die Antwort, daß er die älteren englischen Dichter in die Hand genommen, führte zu einem Besuch in seinem Studir- und Bibliothekzimmer. Ein schönes, großes Zimmer, mit weitem Blick in die umgebende Landschaft, und von oben bis unten angefüllt von Werken der Kunst und der Poesie. Bilder und Büsten von Dante, Shakespeare, Goethe, Schiller, Uhland, Grabbe, Immermann, Chamisso an den Wänden; in den Bücherschränken reiche Schätze deutscher und englischer Literatur. Hier die erste Ausgabe von Milton’s Paradise Lost, dort der Göttinger Musenalmanach, die Horen, die ersten Ausgaben des Faust, der Räuber, der Burns’schen Gedichte, der Byron’schen Hours of Idleness, der Percy’schen Volkslieder. Unwillkürlich fühlte man sich aus der chaotischen Wirklichkeit hingezaubert in die heitre Welt der Poesie, und nur zögernd trennten wir uns von dem Heiligthum des Dichters und der Dichtung, als der Thee angemeldet wurde. Nach dem Thee wurde Musik gemacht. Im Laufe des Abends fanden noch mehrere andere Freunde sich ein und zwischen Gesang, Spiel und Unterhaltung gingen die Stunden wie im Fluge vorüber. Endlich schien es Zeit zum Aufbruch. Aber siehe da, inzwischen war es Zeit zum Abendessen geworden und die Einladung zu einer Bowle Maitrank konnte unter den Umständen nicht ausgeschlagen werden. Und in Maitrank wurde dann unter lautem Jubel die Gesundheit des silbernen Brautpaars ausgebracht. Der Waldmeister, obschon auf englischem Boden gewachsen, duftete, als käme er aus den Gründen deutscher Wälder, die Blume des Rheinweins war unverblüht und das dazu schallende „Hoch“ tönte mit vaterländischem Gefühle drein.

Eben waren wir aufgestanden, um nochmals einen Gang durch die Bibliothek zu thun, als von unten her vierstimmiger Männergesang ertönte. Deutsche Stimmen, deutsche patriotische Lieder. Es war der Gesangverein des Londoner Turnerbundes, der noch spät Abends den weiten Weg nach Clapton hinausgekommen war, um das silberne Brautpaar durch den Klang seiner Lieder zu erfreuen. Als die letzten Töne verhallten, begab die ganze Gesellschaft, Freiligrath und seine Gemahlin an der Spitze, sich zu den Turnern hinunter. Man schüttelte sich die Hände, die Bowle wurde neu mit Rheinwein gefüllt und der Dichter drückte in einer kurzen Ansprache den Turnern seinen Dank für die ihm erwiesene Freundlichkeit aus. „Aber,“ so schloß er, „lassen Sie uns, die wir hier vereint sind, auch Deutschland nicht vergessen; lassen Sie uns hoffen, daß es aus seiner gegenwärtigen bedrängten Lage auferstehen werde zu neuem Leben! Deutschland hoch!“ Hoch, hoch! schallte es von allen Seiten nach, und unter den vereinten Wünschen für die Zukunft des Dichterhauses und des deutschen Vaterlandes nahm man Abschied.

So feierten wir Ferdinand Freiligrath’s silberne Hochzeit, eine Festfeier, die in der Geschichte der Dichter und mehr noch in der der Emigration gewiß zu den seltensten gehört und deren Erzählung mir daher auch mitten in dem Waffenlärm der Gegenwart als eine den zahlreichen Freunden des Dichters willkommene erschien.




Mein alter Koffer. Ich bin eben wieder von einer kleinen Tour nach Hause zurückgekehrt und mein alter Koffer steht noch neben mir in der Stube, kaum geräumt, aber jeden Augenblick bereit, auf’s Neue seine Ladung einzunehmen und mich auf einer frischen Reise zu begleiten. Alter, ehrlicher Koffer, wie manche lange Strecke haben wir schon zusammen zurückgelegt, und wie jugendfrisch sieht er eigentlich noch aus! Ein paar Runzeln hat er freilich bekommen und ein paar Narben, es geht das nicht anders im Leben, bei Menschen, wie bei Koffern, aber zäh hat er sich gehalten – und wenn ich denke, was er Alles durchgemacht!

Ich traf neulich einen Amerikaner, der mir seinen Koffer rühmte und behauptete, ein solches Fabrikat könne nur in Amerika geliefert werden; ich bewies ihm, daß unsere deutschen Arbeiter das Nämliche und Besseres leisten, wenn sie wollen. Diesen Koffer habe ich im Jahre 1849 von Moritz Mädler am Markt in Leipzig für elf Thaler gekauft, und wie viel tausend Meilen ich mit ihm in der Zeit gemacht, wäre wohl kaum zu sagen. Dabei ist nie ein Ueberzug über seine schwarze Haut gekommen und trotzig hat er der brennenden Sonne der Tropen, wie Schnee, Regen und Salzwasser die Stirn geboten.

Von 1849–52 begleitete er mich um die ganze Erde, dann lange Jahre auf allen Zwischenreisen, 1860 und 61 wieder nach Süd-Amerika, 1862 nach Afrika, und immer und immer hielt er treu aus. In Valparaiso lief er mir freilich einmal davon und ich mußte eine weite Strecke hinter ihm dreinfahren – er war damals noch jung. In Californien ließ er sich einmal plündern, wie es auch schon manchem mit Vernunft begabten Menschen geschehen ist, aber nichts konnte uns trennen. Packträger haben ihn über die Cordilleren geschleppt, die Südsee-Insulaner ihn über den Korallensand ihrer Eilande gezogen; auf den Rücken eines Maulthieres geschnallt, ist er durch die Pampas geflogen, das Cap Horn hat er umschifft und das Cap der guten Hoffnung, die Landengen von Panama und Suez gekreuzt und mehr als einmal die Spritzwellen der See über sich hinwegschlagen lassen. In Java ist er dabei von Termiten angefallen, in Abyssinien von Scorpionen besucht worden, hat bald in Hotels, bald unter einem Baume logirt, kennt die unteren Schiffsräume von zahllosen Fahrzeugen und darf sich rühmen, unausgesetzt den wahrhaft grausamen Mißhandlungen getrotzt zu haben, mit denen Koffer und sonstiges Passagiergut in ordentlich durchdachter Weise von deutschen Eisenbahn-Bediensteten behandelt werden. Aber trotzdem, wie wenig verändert, seit ich ihn im Laden kaufte, steht er da! Er ist älter geworden, ja, aber wahrlich nicht schlechter oder weniger brauchbar, und ich fürchte fast, daß er mich noch überlebt und mein Sohn vielleicht einmal das Geschäft mit ihm fortsetzt.

Darum tadle mir Keiner deutsche Fabrikate! Die Franzosen mögen eleganter, die Engländer und Amerikaner oft praktischer arbeiten, als die Deutschen, doch nie im Leben solider und dauerhafter, und dafür ist mein alter schwarzer Koffer zwar ein stummer, aber doch beredter Zeuge.

Fr. Gerstäcker.     


Wie Georges Sand jetzt lebt. Georges Sand lebt nicht mehr auf ihrem reizenden Schlosse Nohant, das sie ihrem Sohne Maurice Sand überlassen hat; sie bewohnt gegenwärtig in Paris, Rue des Feuillantines Nr. 97, eine neue Wohnung in einem neuen Hause. Damit haben wir zugleich gesagt, daß sie sich daselbst äußerst unbehaglich fühlt. Ihr Arbeitszimmer scheint sie zu geniren wie ein Kleid, dessen Aermelausschnitt zu eng ist. An den Wänden hängen einige sehr mittelmäßige Gemälde, die nicht von berühmten Meistern herrühren können. Georges Sand wird am 5. Juli zweiundsechszig Jahre alt; es ist jetzt vierundvierzig Jahre her, seit sie sich mit dem Baron Dudevant vermählte, von dem sie seit dreißig Jahren gesetzlich geschieden ist. Trotz dieses Alters hat sie noch immer etwas Jugendliches in ihrem Aussehen, was sie der Schönheit ihrer lebhaften Augen und dem kaum ergrauenden Haar verdankt, welches in kleinen, krausen Löckchen Stirn und Schläfen umgiebt. Sie bedient sich einer Brille, aber nur zum Schreiben.

Georges Sand hat eine sanfte, angenehme Stimme und drückt sich mit vieler Leichtigkeit und Einfachheit aus. Erhält sie Besuch, so ist ihr Erstes, dem Besucher eine Cigarette anzubieten und sich selbst eine anzuzünden, worauf sie mit großem Behagen die weißen Rauchwolken in die Luft wirbelt. So nimmt die Unterhaltung sofort einen vertraulichen Ton an, den sie überhaupt liebt, vorausgesetzt, daß der Besucher ein geistreicher Mann ohne große Prätensionen ist. War sie jemals schön? Es existiren viele Portraits von Georges Sand, und die Urtheile der Schriftsteller, welche sie in ihrer Jugendblüthe gekannt, sind völlig verschieden und unklar darüber. Heinrich Heine hat sich über diesen Punkt am deutlichsten ausgesprochen; er erblickte in der Verfasserin der „Consuelo“ ein Wunder von unvergleichlicher Schönheit, eine Art leidender und doch strahlender Gottheit, welche alle Anbetung verdiente. Wenn man heute diesen ausdrucksvollen Kopf, dieses Gesicht betrachtet, dessen Züge durch das Alter von den Verheerungen der Leidenschaft gereinigt und nur noch von Geist verklärt sind, so fühlt man sich versucht, zu glauben, daß er Recht hatte und daß er allein richtig gesehen hat.




Kleiner Briefkasten.

G. B. in Z. Dergleichen Spielerein gehören zwar eigentlich nicht in die Gartenlaube; da Sie aber die jetzt so in Mode gebrachte Vexirschrift – auch Prismatypie genannt – noch nicht kennen und uns ähnliche Wünsche auch von anderen Seiten geäußert worden sind, so lassen wir nebenstehend eine rechts hübsche Kleinigkeit dieser Art folgen, indem wir noch bemerken, daß Sie sich die Vexirkarten selbst von Th. Wendisch, Stralauer Straße 38 in Berlin verschaffen können. Versuchen Sie nun, ob Sie den scheinbaren Krikelkrakel unserer Prismatypie der Höhe und Quere nach entziffern können.





Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_352.jpg&oldid=- (Version vom 26.7.2021)