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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Das würde mir und Euch nicht behagen,“ entgegnete er lächelnd. „Aber wo bleibt mein Bruder Christian?“

„Der Bauer sitzt in der Stube,“ sagte das Mütterchen.

„Hm!“ meinte Heinrich. „Er ist zu stolz, um seinem Bruder entgegenzukommen. Nun, dann müssen wir ihn wohl aufsuchen. Doch zuvor nehmt, was ich Euch mitgebracht. Hier!“

Er griff in die Taschen, an denen die Kleinen bereits schnupperten, und zog daraus eine Menge von Näschereien und Spielsachen hervor, die er unter sie vertheilte. Dann kamen die Erwachsenen an die Reihe, die Frauen erhielten Tücher, Bänder, glitzernde Nadeln und Ohrgehänge, die Männer hübsche Messer, buntbemalte Pfeifenköpfe und einige Päckchen Tabak.

„Euch, Großmutter, gebe ich eine neue Hornbrille und diesen Kuß!“

Dann winkte er uns, ihm zu folgen, und wir traten in das Wohnzimmer. Hier saß in einem hölzernen Armstuhle der Bauer, der aus einer kurzen Pfeife schmauchte und sich langsam erhob.

„Bruder Christian,“ rief der Stelzfuß, ihm die Hand schüttelnd, „hier sind ein paar Herren, die Dich und Deinen Hof abschreiben und abmalen wollen. Was sagst Du zu dieser Ehre? Bedanke Dich doch!“

„Seien Sie willkommen und setzen Sie sich!“ sprach der Bauer kühl und gemessen; dann ließ er sich in seinen Stuhl zurückfallen, rauchte weiter und blieb wortlos.

Alsbald begannen zwei Mägde eine lange Tafel aufzuschlagen, an der die Hausgenossen in bestimmter Reihenfolge Platz nahmen. An der einen Langseite saßen die Männer, Knechte, Jungen und Knaben, an der andern die Hausfrau, die Großmutter, ihre Töchter, die Mägde und kleinen Dirnen; der Platz zu oberst, wo sonst der Bauer zu sitzen pflegte, blieb leer. Der älteste Knabe sprach ein kurzes Tischgebet und die Mahlzeit nahm ihren Anfang, bei der eine Brodsuppe, Kartoffeln, Kohl und gebratene Speckschnitte die Hauptrolle spielten. Alle aßen langsam und bedächtig, aber ohne ein Wort zu verlieren.

Für uns, Heinrich und den Bauer ward etwas später ein Tisch im Nebenzimmer gedeckt und die Bäuerin wartete selber auf. Es gab einen Milchreis, Eierkuchen, gebratene Würste, Mehlklöße mit Pflaumen und zum Dessert Brod, Butter und Käse, Alles in gewaltigen Portionen und von guter Beschaffenheit. Heinrich, mein Camerad und ich führten die Unterhaltung, der Bauer sprach nur, wenn man ihn nach etwas fragte.

Nach dem Essen zeigte uns Heinrich das Haus, während uns die Kinder theils vor-, theils nachliefen.

„Sind das Alle Ihres Bruders Kinder?“ fragte ich.

„Nein,“ antwortete der Stelzfuß. „Etwa die Hälfte gehört meiner ältesten Schwester. Sie ist mit dem Großknecht verheirathet und dient nun hier gleichfalls als Magd, bis sie sich vielleicht später eine Kathe und ein Stückchen Land kaufen. So lange wohnen und speisen Beide mit ihren Kindern auf dem Hofe.“

„Heirathen denn die Bauerntöchter auch Knechte?“

„Je nun, wenn sie alt werden und keine anderen Männer bekommen.“

Außer der Schlafkammer für die Familie waren nur zwei Zimmer vorhanden, das Fremdenzimmer, in welchem wir speisten, und die große Wohnstube. Beide waren sehr einfach meublirt. In einer standen ein eiserner Klapptisch, ein halb Dutzend Rohrstühle und ein hohes breites Himmelbett mit buntgeblümten Kattunvorhängen, außerdem mehrere riesige Schränke und Truhen, in denen die Kleider- und Leinenschätze aufbewahrt werden; alle von massivem Eichenholz, schön geschnitzt und, wie uns Heinrich sagte, über hundert Jahre im Besitz der Familie. In der Wohnstube liefen rothgestrichene Bänke die Wände entlang und darüber waren ähnliche Gestelle angebracht, auf welchen Töpfe, Kannen, Tassen, Schüsseln, Teller, Löffel und anderes Geschirr lehnten. In der einen Ecke stand ein mächtiger Kachelofen von grüner Glasur, in der andern hing eine große geschwärzte Wanduhr. Durch ein in der Mauer angebrachtes Fensterchen konnte man die ganze Diele oder Tenne übersehen.

Diese ist der Hauptraum, denn sie enthält außer der Küche noch die Scheune, die Ställe, den Speicher und manches Andere. Rechts stehen die Kühe, links die Pferde und daneben logiren die Schweine, Schafe und das Federvieh. Nie erlischt auf dem großen Heerde das Feuer und stets hängt darüber ein riesiger Kessel, in welchem Wasser, Kartoffeln, Rüben oder ein Mehlbrei für das Vieh kochen. Daneben brodeln ein kleiner Kessel und mehrere Töpfe und Pfannen. Dieses Feuer heizt zugleich den Ofen der Wohnstube durch eine in die Mauer gebrochene Oeffnung, die während des Sommers durch eine Eisenplatte geschlossen wird. An der Heerdmauer hingen eine Menge Würste und Speckseiten, welche der immerwährende Rauch vortrefflich conservirt und die mit einer in der Nähe lehnenden Holzgabel zum täglichen Gebrauch heruntergelangt werden. Aber auch Menschen und Vieh befinden sich in diesem Rauche sehr wohl, der, da ein Schornstein fehlt, keinen andern Abzug hat als das Thor und einige oben an den Seitenmauern angebrachte Luftlöcher, daher er Wände und Balken schwarz und braun färbt. Er ist um so stärker und für den Fremdling um so empfindlicher, als er meist durch jenes den Knicks entnommene Strauchwerk erzeugt wird. Neben dem Heerde steht ein Wasserfaß, lehnt ein Backtrog, hängen die anderen Küchengeräthe, namentlich auch über einer Rolle ein drei Ellen langes Handtuch ohne Ende, das von allen Bewohnern gemeinsam benutzt wird. In einem besondern Verschlage befindet sich die Obst- und Speisekammer, in einem andern Flachs und sonstige Vorräthe. An den Wänden der Diele stehen in althergebrachter Ordnung ein Häckerlingkasten und eine Häckerlingschneide sowie die Kisten des Gesindes. Ihre Betten befinden sich in der Höhe auf einem über die Querbalken geschlagenen Gerüste, zu welchem eine Leiter hinaufführt. Noch höher bis zur Spitze des Daches auf langen Querstangen lagert das Getreide in Garben, die Stroh- und Heuvorräthe. Eine lange Leiter führt in den Dachraum, in welchem sich die obenerwähnte große viereckige Oeffnung befindet. Durch diese wird das Viehfutter und die Garben hinabgeworfen und letztere auf der Tenne ausgedroschen.

Die ganze Einrichtung des Hauses ist zwar sehr einfach und naturwüchsig, aber auch ebenso praktisch und bequem, weit zweckmäßiger als auf neuern Bauerhöfen, wo sich Scheune, Speicher und Ställe in besonderen Gebäuden befinden.




Blätter und Blüthen.


Freiligrath’s silberne Hochzeit. Es war am Nachmittage des 19. Mai, in der heitern Helle und Wärme des ersten schönen Tages während des diesjährigen kalten Frühlings, als wir uns von St. Johns Wood nach der Station der North London-Eisenbahn aufmachten, um an das entgegengesetzte Ende der Metropole, nach Lower Clapton, hinauszufahren. Eine deutsche Freundin hatte uns den Abend vorher durch die Nachricht überrascht, daß heute der fünfundzwanzigste Jahrestag von Freiligrath’s Vermählung sei, und wir waren um so rascher entschlossen, dem verehrten Dichterpaar unsere Glückwünsche zu seiner silbernen Hochzeit darzubringen, als wir schon länger einen Besuch beabsichtigt hatten. Ein voller Strauß von Frühlingsblumen, das frische Grün des Parks, die mildklare Luft um uns her, Alles stimmte zu der festlichen Empfindung des Tages, und wenn die Erinnerung an die Ereignisse der fünfundzwanzig Jahre, deren Kreis sich heute rundete, sammt dem Hinblick auf die gegenwärtige kritische Lage Deutschlands es nicht an ernsten Gedanken fehlen ließ, so konnten sie doch dem Feste sein Recht nicht rauben – sie gaben ihm nur den bedeutungsvollen Hintergrund, von dem es sich für uns, die seit langer Zeit zu der Familie des Dichters in freundschaftlicher Beziehung gestanden, charakteristisch abhob. Welch’ weite Kluft zwischen dem Mai 1841 und dem Mai 1866! Freiligrath, damals noch der orientalisch-exotische Schwärmer, der gekrönte Dichter eines romantischen Königs, Deutschland noch das unschuldige politische Paradies, in dem die Wölfe und die Lämmer, die Pardel und die Böcke friedlich nebeneinander lagen. Aber schon wenige Jahre später war Alles verändert. Der Dichter sagte seiner Ruhe im Schatten der tropischen Palmen, seinen phantastischen Wanderungen durch die Wüste, seinem Lehensverhältniß zu dem romantischen König Lebewohl. Entschlossen trat er mit seinem „Glaubensbekenntniß“ in die Schranken der vaterländischen Parteikämpfe und nahm ohne Zögern, als Folge dieser Revolution seines Innern, die Verbannung auf sich. Erst die Katastrophe jenes paradiesischen Zustandes der politischen Welt im Jahre 1848 rief ihn auf kurze Zeit in das Vaterland zurück. Doch sein persönliches Schicksal war fortan unauflöslich an das der deutschen Freiheit gebunden, seine Lieder gingen mit der Revolution und die Ebbe der großen Fluth, die so viel edle Kräfte auf’s Meer hinaustrieb, führte auch ihn von Neuem nach England in’s Exil. Traurig, fürwahr, sind die Verhältnisse eines Landes, das seine Dichter in die Verbannung stößt! und sehnend schweifte Freiligraths Auge seitdem aus der Fremde wohl oft in seine westphälische und rheinische Heimath hinüber. Allein er legte die Hände nicht müßig in den Schooß. Durch ausdauernde Arbeit gründete er sich während der langen Jahre der Reaction in London eine schöne Häuslichkeit; eine blühende Familie wuchs um ihn heran und das Glück, welches eine so gegründete Heimath dem freien Manne zu gewähren vermag, wurde ihm in reichem Maße zu Theil. So

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