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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Die Werkstätte eines großen Mannes.


Wer nach Amsterdam kommt und den Anblick der See den Genüssen der Verfeinerung vorzieht, der wähle zum Quartier die „Nieuwe Stadsherberg“. So hab’ ich’s gemacht und mich mit Freunden wohl dabei befunden. Zwar hat dies eigenthümliche Hotel im Bädecker blos das Prädicat „nicht übel“ und es fehlt ihm der Stern der Auszeichnung; es behagte uns aber nichtsdestoweniger sehr gut darin, und es waren recht verwöhnte Leute unter uns, besonders der Prager Wirthschaftsrath und seine liebenswürdige Gattin. Alles war gut, am besten aber die Lage und die Aussicht. Die Pfahlbauten sind gegenwärtig Mode; nun, einen schöneren und besseren Pfahlbau wird man im ganzen antediluvianischen Moder nicht finden, als da die neue Stadtherberge mit ihren vielen hellen Fenstern, den weißen Gardinen dahinter und den blitzenden Messingdrückern. Weit hinausgerückt, auf drei Seiten von der Fluth umspült, steht das Haus auf einem Rost mitten im Y (spr. Ei), und ein langer Pfahlsteg führt vom Buitenkant des Hafens hinaus auf die gastliche Insel. Und was giebt es Anziehenderes für den Binnenländer, als wenn er Morgens aus seinem Bett hinausblicken kann auf den von Segeln überflogenen Spiegel des Meeres oder Abends in traulicher Gesellschaft bei der Flasche die Sonne versinken sieht in den gekräuselten Wellen? Dazu der stete Verkehr; hier ist der Landungsplatz der Südersee-Dampfboote, gleich daneben ein Werft der Fischerschaluppen; zur Linken liegen Pinken, zierliche Jachten, Jollen und Hafenboote jeder Art; da ist ewiges Gewühl, Kommen und Gehen; die Luft ist durchduftet mit jenem eigenthümlichen Theergeruch, der die Reisesehnsucht weckt; Seefahrer, Capitäne, Matrosen aller Nationen bewegen sich untereinander; und wenn der Blick auf der einen Seite den Frieden oder Aufruhr der ewigen See erfaßt, so fällt er auf der andern in das Getümmel einer Weltstadt.

Wir waren aus der „holländischen Schweiz“ (Cleve) gekommen, hatten den „holländischen Garten“ (von Arnheim über Zütphen nach Amersfort) durchwandert – eine Landschaft, deren Reize viel zu wenig bekannt sind – und verschoben nunmehr hier, festgehalten von den eigenthümlichen Schönheiten Amsterdams, die Abreise von Tag zu Tag. Gestern waren wir in dem Dorfe Broek gewesen, dessen sprüchwörtliche Reinlichkeit uns aber geradezu lächerlich erschien, da sie ganz augenscheinlich zum größten Theil auf den Geldbeutel der Besucher berechnet war, und sich in dem armseligen Häuslein eines Schiffers, in welches wir eingebrochen waren, keineswegs auffallend zeigte, obgleich auch dessen Inneres – der Wahrheit die Ehre – immer noch unendlich sauberer war, als in mancher deutschen Stadt die Kinderstube wohlhabender Leute. Heute wollten wir als letzte, unerläßliche Merkwürdigkeit die Stadt Saardam besuchen, welche aber eigentlich Zaandam heißt und nordwestlich von Amsterdam, jenseits des Y, an der Mündung des Zaaneflüßchens liegt.

Um drei Uhr Nachmittags betraten wir das übervolle Dampfboot, auf dessen Verdeck es allerdings stark nach Genever und Käse roch; aber wer hätte bei dem herrlichen Wetter es in der Kajüte auszuhalten vermocht! Es war eine wundervolle Fahrt. Das oft tückische Y war glatt, von keinem Lüftchen erregt, daher begegneten uns auch keine Segelschiffe, sie lagen alle regungslos mit um die Masten gefalteter Leinwand. Mühsam ruderten schwere Milchewer[WS 1] vorüber, in der östlichen Ferne qualmte unter schwarzen Wolken ein Steamer heran; südlich zeigte weißquellender Dampf die Linie der Haarlemer Eisenbahn. Hier aber richtete sich der Blick zunächst auf den Mastenwald der Küstenfahrzeuge, welche da vor Anker liegen, dann auf die zierlichen Sommerhäuser, deren Schwellen sich in der See baden, während ein dunkelgrüner Baumkranz sie umwölbt; aber immer weiter fliehen sie zurück; die Stadt verschwimmt in der Zitterluft des Sommernachmittags; rothe Baken, mit großen Nummern bezeichnet, weisen uns den Weg und kreischende Möven bilden unser Geleit. Auf dem Deck herrscht so wenig Leben, als über dem Wasser; die Männer rauchen – aber nicht mehr Thonpfeifen, sondern Cigarren – die Meisjes verhüllen die Goldbleche ihres Kopfschmucks zum Schutz gegen die Sonne und schlafen. Nach und nach senkt sich eine ganz holländische Schläfrigkeitsatmosphäre herab auf die gesammte Gesellschaft.

Land! Dort hebt es sich, wir sind kaum eine Stunde gefahren. Von einem wahrheitsliebenden Reiseschriftsteller und Jäger ist erzählt worden, daß er einmal auf der Insel Java einen meilenweiten Wald von sonderbar abgestorbenen Hölzern erblickt habe; beim Lichte besehen, waren es die Geweihe hier ruhig lagernder Hirsche. So, wenn man jetzt nach Terrafirma schaut, erscheint die ganze Küste wie ein ungeheurer Riesenzaun von gekreuzten Telegraphenarmen; es ist aber ein Wald von Windmühlenflügeln, der sich hier über den rothen Dächern niedriger Häuser erhebt, und fürwahr „ein Wald“ darf man sagen, denn die Zahl dieser nützlichen Wahrzeichen Hollands ist hier eine so außerordentlich große, daß das schärfste Auge sich vergeblich abmüht, sie zu beziffern. Wohin man blickt, rechts, links, Windmühlen und Windmühlen bis in die aschgraue Ferne. Ihnen und ihrer billigen Betriebskraft auf diesem „zugigen“ Terrain gegenüber, ist der mächtigste Factor der Neuzeit, der Dampf, bisher nur ein Ritter von der traurigsten Gestalt gewesen, der ihnen keinen Fußbreit abzugewinnen vermochte. Glückliches Holland! Und was Alles in diesen Mühlen durch den lieben Wind gemahlen wird, man darf es gar nicht sagen, sonst wird man ausgelacht. Oder fragt doch einmal einen Blasius im Binnenland, ob er glaube, daß man auf seinem Windbock Ziegelstücke zu feinstem Pulver herstellen und damit Handel nach England treiben könne? (– wo, wie ich sehr fürchte das Ziegelmehl zur Chocoladenfabrikation verwendet werden wird.)

Aber da sind wir am Land und der Strom reißt uns mit sich fort. Doch nein, er staut sich, oder vielmehr, wir werden gestaut. Wir sind umringt, gestellt von einem Gürtel sehr lebhafter Holländer in allen Altersclassen, welche mit aufgehaltenen Händen sich zu Führern anbieten. Als ob man diese in Zaandam brauchte! Hier ist nur ein Wallfahrtsziel und dies kann man nicht fehlen, wenn man den Andern folgt. Es ist die Werkstätte Peter Michaelow’s. Verwundert fragt Mancher: „Wer, was war dieser Peter Michaelow?“ Je nun, er war Zar und Zimmermann, Lortzing hat ihn hübsch in Musik gesetzt und sein Testament macht der Welt zu schaffen. Unter dem Namen Peter Michaelow lebte und arbeitete hier – Peter der Große, der Selbstherrscher aller Reußen, der Umgestalter, wie seine Völker ihn ehrend oder tadelnd benannt haben. Die Stätte, wo ein großer Mensch geweilt, ist heilig, aber nicht immer ist ein großer Fürst ein großer Mensch gewesen.

Einerlei, da sind wir in einem mäßig großen Hofraum, welcher durch verschiedene Molkereigeräthschaften nicht gerade sachgemäß illustrirt wird. Vor uns steht ein sonderbares Bauwerk: eine offene Halle mit einem geschlossenen Kern; der letztere ist ein windschiefes Blockhaus, schon halb in den weichen Boden gesunken, vielfach gestützt und ausgebessert, mit zwei Fenstern und einer Thür; das ist die Hütte, die dem Zaren-Zimmermann als Atelier und Wohnung gedient hat. Sie ist vollkommen erhalten geblieben, wie sie war, dank der Pietät der russischen Kaiserfamilie; eine ihrer Prinzessinnen hat sie mit einem säulengetragenen Dach überstülpen lassen, um sie vor dem nagenden Zahn der Witterung zu schützen; aber trotzdem ist Alles morsch und baufällig; zahllose Spähne hat das reliquiensüchtige Messer der Söhne Albions aus den Wänden entführt; jetzt wird streng auf jede Schnitzelei gefahndet. Treten wir ein. Wie eng, wie ärmlich! Es schleicht sich doch etwas wie Bewunderung in unsere Seele, wenn wir an die Selbstverleugnung des mächtigsten Mannes seiner Zeit gedenken, der um einer großen Idee willen sich hier einzusperren nicht scheute. Zwei enge, schmale Gelasse und ein Wandalkoven, wie sie am Niederrhein üblich sind, das ist der ganze Raum. Zwölf Personen bringen schon Verkehrsstockung hervor, man wartet, bis die Erstgekommenen sich satt gesehen haben, was glücklicherweise nicht lange dauert. Die Möbel, Tisch und Stühle, auf ersterem das Fremdenbuch, sind nicht mehr diejenigen, welche der merkwürdige Gast benutzt hat, trotzdem die Führer bereit sind, dies zu beschwören; auch von seinem Handwerksgeräth, seinen Schiffsmodellen ist nichts mehr vorhanden, das Alles ist wohlgeborgen im Museum der Admiralität in St. Petersburg. Aber er selber ist noch da, dort aus dem Rahmen tritt er hervor in der Arbeitsjacke der Schiffzimmerleute, mit der festen, eisernen Stirn, den sinnlichen Lippen, den stechenden Augen; sein Oelbild ist, in Lebensgröße, hieher gestiftet von seinem Urenkel, dem Zaren Nikolaj. Ringsum noch andere Bilder, Kupferstiche, gute und schlechte, lauter Portraits von Peter und Katharina, dann zwei Marmortafeln: Petro magno Alexander 1814, und dem Ahnen, der seinen Russen die

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: M l hewer
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_332.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)