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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Mitte zwischen den Armen steht der kreisförmige, von einer rundlichen Umwallung umgebene Mund, der in einen Sack führt, welcher Alles in Allem, Speiseröhre, Schlund, Magen und Darm ist. Dieser Verdauungssack öffnet sich nach unten in eine weite Höhle, die allgemeine Leibeshöhle, hat aber hier einen Wulst, durch dessen Zusammenziehung die Oeffnung geschlossen werden kann. Er würde frei in dieser Höhle hängen, wenn er nicht durch acht häutige, strahlenförmig gestellte Scheidewände gehalten würde, die einerseits sich an die äußere Haut der Glocke, andererseits an den Verdauungssack festsetzen und erst unter diesen hinab in den Grund der Höhle sich erstrecken. Schneidet man einen Polypen unterhalb des Verdauungssackes quer durch, wie dies in der beistehenden Figur (Fig. 2) dem Polypen 1 geschehen ist, so sieht man die acht strahlenförmig gestellten Scheidewände wie die Speichen eines Rades um eine mittlere Nabe, welche hier dem Platze entspricht, den der Verdauungssack in dem weggeschnittenen Theile einnimmt. Mittels dieser Scheidewände, die man bei den andern längsdurchschnittenen Polypen derselben Figur am Grunde des Verdauungssackes angeheftet sieht, sind in der Höhlung des glockenförmigen Körpers acht Kammern von einander getrennt, in deren vorderen Theil sich die Arme zurückziehen können, die also, wenn der Polyp zurückgeschlupft ist, acht rundliche, im Umkreise des Magensackes in eigenen Behältern liegende Pakete darstellen. So sieht man in dem Längsschnitte des Polypen 2 zu beiden Seiten die zurückgezogenen, durch den Schnitt getroffenen Arme und zwischen denselben die Knopflöchern ähnlichen Oeffnungen, durch welche sie bei der Entwickelung hervortreten.

Stämmchen vom Edelkorall mit entwickelten Polypen.

Die Scheidewände, herbergen die Fortpflanzungsorgane. In ihrem untern Theile entwickeln sich die Eier und die männlichen Organe, die anfangs nicht zu unterscheiden sind. Ihre obere, mehr häutige Hälfte dient zur Befestigung des Verdauungssackes, ihre untere erscheint mehr drüsig, und hier bilden sich die Fortpflanzungsproducte aus. Aber es giebt keine vollkommen strenge Scheidung – meist trägt zwar ein Bäumchen nur männliche, ein anderes nur weibliche Polypen – aber die Fälle kommen auch nicht selten vor, wo ein Ast desselben Bäumchens männliche, ein anderer weibliche Polypen trägt, oder wo auf demselben Aestchen männliche und weibliche Thiere bunt durcheinander stehen, oder endlich, wo derselbe Polyp männliche und weibliche Organe zugleich trägt, also ein vollkommener Zwitter ist. Die Trennung der Geschlechter auf verschiedene Bäumchen ist die Regel, die Zwitterbildung desselben Thieres die seltenste Ausnahme. Die Geschlechtsverschiedenheit ist aber bei diesen niederen Thieren überhaupt nur eine sehr geringe; sie drückt dem Organismus keinen besonderen Stempel auf; der männliche Polyp gleicht dem weiblichen bis in die kleinsten Einzelheiten; nur das Mikroskop kann entscheiden, welchem Geschlechte das Thier zugehört. Wo die Fortpflanzung auch noch auf andere Weise vor sich gehen kann, wird in dem Thierreiche wenigstens die Ausbildung der Fortpflanzungsorgane wohl niemals einen bestimmenden Einfluß auf die Bildung des Gesammt-Organismus ausüben.

Somit hätten wir den einzelnen Polypen in seiner ganzen Einfachheit construirt. Er sitzt fest in der rothen fleischigen Masse, in welcher seine Zelle ausgehöhlt ist; seine Bewegungsorgane, die zurückziehbaren Arme, dienen zugleich zum Erfassen der Nahrung, die in den Mund geführt, im Magen verdaut wird; Fortpflanzungsorgane sind vorhanden, mittelst deren die Art weiter erhalten werden kann, wenn das Individuum dem Gesetze alles organischen Lebens entsprechend abstirbt. Auf diese Weise, mit Empfindung und Bewegung, Ernährung und Fortpflanzung begabt, könnte das Einzelwesen für sich fortbestehen und in der That besteht es, wie wir zeigen werden, im Anfange seiner Entwicklung als Solches, in ähnlicher Art, wie die See-Anemonen oder Actinien, welche jetzt Jedermann kennt, seit sie in den Aquarien der zoologischen Gärten mit so schönem Erfolge gezüchtet werden.

Aber der Korallen-Polyp ist nicht nur ein geselliges Thier, sondern auch Socialist und Communist in der verwegensten Bedeutung des Wortes; nur durch gemeinsame Arbeit vieler, engverbundener Thiere kann der werthvolle Korallenstock aufgebaut werden, den der Mensch aus der Tiefe des Meeres fischt, und diese gemeinsame Arbeit ist nur unter der Bedingung möglich, daß jedes Einzelwesen allen Gewinnst seiner ernährenden Thätigkeit an die Allgemeinheit abgiebt. Jeder Polyp sucht so viele kleine Thierchen als nur möglich zu fangen und zu verdauen, auf den Nahrungssaft, den er aus denselben zieht, hat er das erste unbestreitbare Recht, allein dieser Nahrungssaft gehört nicht ihm allein. Während die unverdaulichen Reste durch den Mund ausgeworfen werden (es existirt hierfür keine besondere Oeffnung), tritt der Nahrungssaft aus der allgemeinen Höhlung des Polypenleibes in mannigfache Canäle über, mittelst deren er sich in der lebendigen Rindensubstanz des Korallenstockes vertheilt und zu allen übrigen Theilen gelangt. Aber – und das bemerke man wohl bei diesem thierischen Communismus – auch hier gilt das Gesetz, daß, wer zuerst kömmt, auch zuerst mahlt – daß, wer Etwas fängt, erst selbst verdaut und zu seinem Nutzen verwendet und nur den Ueberschuß den Anderen zukommen läßt. Ich weiß nicht, ob Schneider Weitling selig dieses Gesetz der Thierwelt auch bei seinen weltverbessernden Plänen hinlänglich berücksichtigte, möchte aber fast daran zweifeln.

Anatomie des Edelkoralls.
Die lebende Rinde ist der Länge nach gespalten und von dem Kerne zurückgeschlagen worden.

1. Tief am Grunde quer durchschnittener Polyp, der die radartig gestellten Scheidewände zeigt. – 2. Längsdurchschnittener Polyp mit eingezogenen Armen. – 3. Ebensolcher mit entwickelten Armen. – 4. Die tiefen Längscanäle der Rinde. – 5. Aststück des innern Kalkkerns, der zum Schmuck verwendet wird. – 6. Die beiden Lippen des Längsschnittes der Rinde mit den durchschnittenen Netzgefäßen. – 7. Querschnitt der Rinde, ebenso.

Die Gemeinsamkeit liegt in der rothen, dicken, fleischigen Rinde, in welcher die Zellen für die Polypen ausgehöhlt sind. Diese Rinde ist keineswegs nur eine verbindende Haut, welche die Glockenthiere decken und schirmen soll, sie ist ihre wahre Ernährerin und Erzeugerin, das Band, welches das Ganze zusammenhält, und die Geburtsstätte des inneren festen Kernes, der dem ganzen Baume als Stütze dient. Diese Rinde, die um so dicker im Verhältniß zu dem Kerne ist, je intensiver das Leben in dem ganzen Baume waltet, die deshalb an den wachsenden Spitzen der Zweige keulenförmige Anschwellungen bildet, in welchen nur ein feines, festes Zweiglein das innere Skelet darstellt, diese Rinde knirscht unter dem Messer, wenn man sie einschneidet, denn sie enthält eine Menge in verschiedenster Weise zusammengruppirter rother Kalknadeln, die nach und nach zusammenwachsen, um die innere Achse zu bilden. Ihre Substanz selbst scheint aus Fasern zu bestehen, die sich lebhaft zusammenziehen können, und aus einem schleimigen Urgewebe, das dem Rinde- oder Zellgewebe der höheren Thiere entspricht und sich bei allen niederen Seethieren in großer Menge findet. In diesem Gewebe sind nun eine Menge von Höhlen und Canälen ausgegraben, die sich in allen Richtungen kreuzen und mit einander zusammenhängen, so daß jeder Schnitt durch die Rinde, in welcher Richtung er auch geführt werden mag, eine

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