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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Der Schmuck des Meeres.[1]
Von Carl Vogt.
II.


Die Perlen und Cameen, welche unsere Schönen tragen, sind nur das verarbeitete Skelet eines Meerthieres, welches in seiner ursprünglichen Gestalt von demjenigen, der nur das verarbeitete Korall gesehen hat, kaum zu erkennen ist. Die abenteuerlichsten Meinungen waren früher darüber verbreitet und haben sich, wie aus der Sage von dem Zauberbaume bei Nizza hervorgeht, unter den Fischern erhalten.

Das Edelkorall war früher in Aller Augen eine Pflanze oder eine Art Stein und erst im Anfange des vorigen Jahrhunderts entdeckte ein junger Arzt aus Marseille, Peyssonnel, der von der französischen Akademie zum Studium der Meerespflanzen an die Küsten der Berberei geschickt worden war, daß die vermeintlichen Blüthen des Koralls Thiere seien, die sich ausdehnten, zurückzögen und ihre Arme bewegten. Es ging ihm Anfangs schlecht mit seiner Entdeckung. Réaumur, der berühmte Beobachter der Insecten und des Thermometers, Jussieu, der Vater des natürlichen Pflanzensystems und Nebenbuhler Linné’s, wollten nicht daran glauben, bis sie sich endlich durch eigene Beobachtungen überzeugten. Für den Entdecker freilich zu spät. Nachdem die Akademie von Marseille einen Preis zurückgewiesen hatte, den er für ewige Zeiten für Denjenigen stiften wollte, der die beste Abhandlung oder die bedeutendste Entdeckung über einen Gegenstand, welcher die Naturgeschichte des Meeres beträfe, gemacht habe, ging er aus dem Lande und man kennt heut zu Tage weder Ort noch Zeit seines Todes.

Aber es hält nicht leicht, lebende Korallenstücke zu erhalten. Die Fischer wollen nicht, daß man ihnen folge. Gieb man ihnen Gefäße, um die Korallen gleich beim Fange frisch in Seewasser zu thun, so erfüllen sie den Wunsch meist gar nicht, oder nur unvollkommen. Geht man ihnen zu Schiffe nach, so segeln sie in’s Weite. Auf das eigene Schiff nehmen sie den Forscher nur mit Widerstreben, weil sie fürchten, er verrathe Anderen die guten Bänke. Wer einmal am Meere sich mit naturwissenschaftlichen Studien beschäftigt hat, kennt alle diese Schwierigkeiten. Man muß Jahre lang mit den Fischern umgegangen sein, sie täglich in Verdienst gesetzt haben, bis sie begreifen, daß es ihnen vortheilhafter sei, für fünf oder zehn Francs Quallen und ähnliches, sonst von ihnen verachtetes Zeug zu fangen, als Fische, die ihnen kaum zwei Francs im Tag abwerfen. Aber mit Geduld, Belehrung und Geld überwindet man endlich alle Schwierigkeiten. Sobald die Korallenfischer einmal eingesehen haben, daß es dem Naturforscher nicht um schöne Stücke, sondern weit mehr um lebende, kleine Aestchen zu thun ist, welche für sie keinen Werth haben; sobald sie einmal gesehen, daß der Mann, der ihnen nachgeht, weder die Geheimnisse ihres Handwerks ausbeuten, noch die Bank verrathen will, auf der sie vielleicht reichen Fang machen: so nehmen sie selbst Interesse an den Untersuchungen und machen häufig auf Dinge aufmerksam, die man leicht übersehen könnte.

Endlich hat man es dazu gebracht, einige lebende Endspitzchen, einige kleine, an Steine oder Muscheln befestigte Stämmchen in dem Augenblicke zu erhalten, wo das Netz sie heraufbringt. Man hat ein mit Seewasser gefülltes Gefäß bereit; man taucht die Stückchen hinein, womöglich ohne sie nur mit der Luft in Berührung zu bringen; man schlingt einen Faden oder einen Draht um das gebrochene Ende, das Steinchen oder die Muschel und hängt so das Stämmchen mitten im Glase auf, das man an einen kühlen Ort bringt, denn Hitze und helle Sonnenstrahlen scheut das Gewächs der Tiefe. Und nun heißt es: Warten! Ruhe ist jetzt die erste Bürgerpflicht. Wie man die Schnecke ruhig lassen muß, damit sie endlich ihre Hörner herausstrecke, so auch die meisten jener wunderbaren thierischen Organismen des Meeres, die sich in unglaublichem Grade zusammenziehen und ausdehnen können. Oft dauert es stundenlang, oft wird die Neugierde nach kurzen Minuten befriedigt. Athemlos starrt man auf das keulenförmige, schmutzig-rothe Endchen des Zweiges. Schwillt es nicht an, wird es nicht zusehends dicker? Wahrhaftig! Hier und dort scheint sich auch ein Punkt der Oberfläche warzenartig zu erheben. Die Warze wird auf ihrer Spitze weiß. Die acht feinen, sternförmig gestellten Ritzchen, die man mit der Lupe auf der Warze sehen konnte, dehnen sich aus, stechen durch ihre helle Farbe gegen das Roth der Umgebung ab. Die Sternläppchen der Warze weichen auseinander; ein helles Ding drängt sich dazwischen hervor, wie ein durchsichtiges, mit Wasser gefülltes Bläschen, das zusehends wächst und anschwillt, bis es sich an der Spitze entfaltet, und acht helle, am Grunde breitere, gegen das Ende zugespitzte, blätterartige Arme ausstreckt, die an ihren Rändern mit feinen Fransen umgeben sind. Nun gleicht das ganze Gebilde einer achtblätterigen Glockenblume oder Gentiane und man begreift, daß Marsigli, der diese Wesen zum ersten Male sah, sie für wirkliche Blumen hielt, obgleich er ihre Zusammenziehungen und Ausdehnungen sehr wohl beobachtete.

Es giebt nichts Zarteres in den Farben, nichts Feineres in den Formen, als die mannigfachen, zur Classe der Polypen gehörigen Meerthiere im höchsten Grade der Ausdehnung. So auch das Edelkorall. Es kann kein prachtvolleres, leuchtenderes Roth geben, als die feinen Zacken, welche die Basis des glockenförmigen Polypenleibes umgeben; kein durchsichtigeres Krystallmilchglas als den Leib und die Arme selbst. Ist aber einmal einer der Polypen entfaltet, so folgen alle übrigen rasch nach und bald erscheint ein solches Stämmchen über und über mit Blüthen bedeckt (Fig. 1), so dicht, daß sie sich wechselseitig in ihrer Entfaltung zu hindern scheinen. Blumen sind starr, bewegungslos – hier aber herrscht überall Leben und Bewegung, wenn auch langsam und maßvoll. Ich kann nichts Besseres thun, als die Worte von Lacaze-Duthiers wiedergeben: „Bald scheinen die Arme schmächtig und in die Länge gezogen, sie heben und senken sich, indem sie sich krümmen; bald scheinen sie gerade, ungebogen, kurz und dick. Nicht minder wechselt die Gestalt der kleinen Blumenkrone, denn dieser Name gebührt ihr der Aehnlichkeit wegen; bald gleicht sie einer halbgeöffneten Glocke, deren weiße, zierlich geformte Blumenblättchen einem prachtvoll rothen Kelche entsteigen, bald einer eleganten, verschwimmend gezeichneten Urne, bald einem Rade, dessen acht Speichen mit der größten Regelmäßigkeit ausgestreckt sind. Häufig krümmen sich auch, bei größter Ausdehnung, die Enden der Arme nach außen zurück, so daß der Polyp der Blumenkrone jener Lilie gleicht, die man den Türkenbund nennt.“

Du beobachtest dies Alles, die vielfachen Stellungen, Kürzungen und Biegungen der Arme, mit der höchsten Aufmerksamkeit mit der Lupe, mit dem wagerecht gestellten Mikroskope. Da stößt dein Knie an das Tischlein, die Erschütterung läßt das Glas erzittern – im Nu ziehen sich die feinen Fransen der Arme zusammen, diese krümmen sich gegen die Mitte, neben den dort angebrachten, offenstehenden Mund hinein, die Glocke zieht sich zurück, die rothen Randlappen klappen sich zu und in kürzester Frist hast du nur noch das keulenförmige Aestchen mit den unebenen Warzen vor Augen, welche vor dem Beginn der Ausdehnung sich zeigten. Die Ausdehnung mußt du erwarten, das Zusammenziehen kannst du jeden Augenblick hervorrufen – ja, mit einem feinen Nädelchen oder einer Borste brauchst du diesen oder jenen Polypen nur leise zu berühren, um ihn augenblicklich in seine Zelle zurücktreten zu sehen, während sein Nachbar ungestört bleibt. Offenbar sind es feinfühlende Wesen, und zwar nicht nur gegen Berührung, sondern auch gegen grelles Sonnenlicht und einigermaßen gesteigerte Wärme. Und doch hat unser Scalpell und Mikroskop noch keine Nervenfaser in dem Gewebe ihres Körpers nachweisen können!

So lehrt schon die einfachste Beobachtung die kleinen, blumenähnlichen Thierchen kennen, welche aus dem scheinbar unbelebten Gewebe des Koralls sich entwickeln. Zugleich aber sieht man schon bei diesen kleinen Wesen einestheils das Individuum, anderntheils die Gesammtheit in Thätigkeit. Bei Erschütterung ziehen sich sämtliche Polypen, wie auf ein Commando, in ihre Zellen zurück; wird nur der einzelne Polyp berührt, so crepirt auch nur der einzelne, indem er sich der Unbill zu entziehen sucht.

Trotz der mannigfaltigen Lebensäußerungen, welche diese Polypen kundgeben, ist dennoch ihr Bau höchst einfach. In der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_326.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)