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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Dichters Jubeltag.[1]
Heimathsgruß der Gartenlaube an F. Freiligrath in London.


Wer lauschte einst am trauten Herde
In Thüringens sangfrohem Bann?
Ein Dichter von der rothen Erde,
In dem der Jüngling ward zum Mann.

5
Fühlt’ er wohl an sein Herz gerichtet

Das Lied, das dort das Volk gedichtet,
Daß heilig jede Liebe werde,
Das Lied: „O wie ist’s möglich dann?“

Wer Liebe suchte ohne Ende,

10
Weil sie ihm allerorts entwich,

Und sie in Thüringen nicht fände,
Den Armen flieht sie ewiglich.
Dem Dichter Heil! Er hat sie funden,
Die Liebste hält sein Arm umwunden:

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„Er leget ihre beiden Hände

Auf die erhitzte Stirne sich.“

„So bin ich fromm, so bin ich stille,
So bin ich sanft, so bin ich gut!
Ich habe Dich, das ist die Fülle!

20
Ich habe Dich, mein Wünschen ruht!

Dein Arm ist meiner Unrast Wiege
Und jeder Deiner Athemzüge –“
Haucht in der Herzen Zauberhülle
Der Liebe Mohn in süße Gluth.

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Der Unrast Wiege! Kühner Sänger!

Wie früh zerschmolz des Friedens Traum!
Du „Springer“, weil Du wardst ein Sprenger
Der Ketten an „der Menschheit Baum.“
Von Land bist Du zu Land gefahren

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Seit fünfundzwanzig Liebesjahren,

Und ach! die Fremde nur beut länger
Noch Deiner „Weihnachtstanne“ Raum.

Die erste sahn der Limmat Wogen,
Als Du der Freiheit Fahne fandst;

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Die nächsten, an der Themse Bogen

Hast Du sie leuchtend aufgepflanzt;
Dann wieder an des Rheines Borden –
Dann schlossen sich der Heimath Pforten –
Und fort bist singend Du gezogen:

40
„O lieb’, so lang’ Du lieben kannst!“


So sang Dein Lied „der Liebe Dauer“,
Als Dich der Haß von dannen trieb, –
Doch sieh, des Volkes treue Trauer,
Sie sah Dir nach; Du gingst, sie blieb.

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Und heut’, wo silbern sich die Kränze

Geschmückt von Eurem Liebeslenze,
Ruft’s, trotz der starren Trennungsmauer,
Dir zu, daß Du ihm ewig lieb!

Sei denn von Euren Heimaththalen

50
Euch ein vereint Gezweig entsandt:

Ein Eichenzweig Dir von Westphalen,
Und Ihr aus dem Thüringerland
Ein Tannenreis, daß sie die Aue
Der Jugendlieb’ im Geiste schaue –

55
Und Beid’ Euch all’ die Bilder malen,

Die preist Dein „brauner Foliant“.

„Der Liebe Dauer“ helf’ die Bürde,
Die der Verbannung Nord umweht,
Dir tragen, bis die Heimathhürde

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Dir einstens wieder offen steht;

Bis wir mit Gruß und Kuß Dir sagen:
Du hast als Held und Mann getragen
Die selbsterwählte „Doppelwürde
Als Tagelöhner und Poet.“

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Und zieht dereinst, wenn längst die Farben,

Für die Dein Kampfschwert Du geweiht,
Des Sieges heil’gen Kranz erwarben
In des Jahrhunderts schwerstem Streit,
Der Genius Deutschlands durch die Schwaden

70
Am Erntefest der Geistessaaten:

Dann pflück’ er „zwischen Deinen Garben“
Den Strauß sich für die Ewigkeit.

Friedrich Hofmann.


  1. Zu seiner silbernen Hochzeit am 20. Mai.


Blätter und Blüthen.


Erin in New-York. (Originalcorrespondenz der Gartenlaube.) Die Leser der „Gartenlaube“ wissen jedenfalls, daß seit etlichen Monaten in Amerika eine irische Republik etablirt ist; daß diese nicht nur einen Präsidenten, sondern deren zwei hat; daß die grüne Fahne mit der goldenen Harfe triumphirend vom prachtvollen, splendid ausgerüsteten Executivgebäude am schönen Union Square, dem Marsfelde New-Yorks, flattert; daß besagte Republik ihren Congreß und ihre Beamten hat; daß sie Obligationen ausgiebt, denen es nicht an Abnehmern fehlt; daß sie Waffen und Munition sammelt; daß sie offen den festen Entschluß zu erkennen giebt, zu Lande und zu Wasser Krieg gegen England zu führen. Amerika sieht dem Allen ruhig zu, denn es kennt seine Pappenheimer. Was anderswo ganz unmöglich stattfinden könnte, gilt hier lediglich als von Presse und Publicum gut mitzunehmender Zwischenfall eines täglichen Treibens, dem es zu keiner Zeit an Großartigkeit fehlt. Dem europäischen Leser aber möchte eine kurze Skizzirung der Elemente, aus denen die irische Republik zusammengesetzt ist, nicht unlieb sein. Auch der europäische Continent hat seine Landplagen; aber wenigstens fehlt es ihm an Irländern, und dazu mag er sich gratuliren.

Die Irländer sind in jeder Beziehung anders, als gewöhnliche Menschen. Sie bringen das fertig, was Andern unmöglich ist, und sind zudem unfähig, was Andere können. Wer hinsichtlich dessen, was auf moralischem oder physischem Gebiet möglich oder unmöglich ist, Berechnungen anstellt, wird die Rechnung ohne den Wirth machen, wenn er mit Bezug auf Söhne und Töchter der grünen Insel gewöhnliche Naturgesetze als Norm annimmt.

Da, wo jetzt die Schiller-Statue über die reizenden Seen des Centralparks schaut, wo die Cascaden sprudeln, die kleinen Katarakte schäumen, wo sorgsam gehegte Blumen duften, der Luftballon des Professors Lowe mit der Brautgondel am Seil in die Höhe steigt, verliebte Pärchen durch den idyllischen Gang streifen und die Geldaristokratie in Tausenden glänzender Equipagen ihren Reichthum und ihre Eitelkeit zur Schau trägt, – war noch vor wenigen Jahren das Paradies der Irländer. Kein Fußbreit des Bodens, auf dem sie hausten, war ihr Eigenthum, aber wo es ihnen gefiel, da setzten sie sich fest und harrten dessen, der es wagen würde, sie zu vertreiben. Lange zögerte man damit, und als endlich die Zeit kam, war eine förmliche Armee von Gesetzesdienern erforderlich, um den nicht besonders passiven Widerstand der in ihren heiligsten Rechten Gekränkten zu brechen. Auch wichen sie nur Schritt für Schritt, und unmittelbar an der Grenze des Centralparks ragen noch jetzt ihre hölzernen Burgen empor. Hier eine Ordnung, Reinlichkeit, Aufsicht und Sicherheit, welche nicht leidet, daß das zarteste Hälmchen geknickt wird, und wenige Schritte davon ein Gebiet, welches die Polizei bei Tage nur mit äußerster Vorsicht und zur Nachtzeit nie betritt. Hier schwarze Fracks und goldene Uhren, Sammetmäntel und Diamanten, dort Lumpen, welche kaum die Blöße decken, und diese Contraste so nahe bei einander, daß der durch kleine Lumpenträger von der Schwelle der väterlichen Behausung geschleuderte Koth den Frack und Mantel erreicht.

Von dort zogen in den schrecklichen Julitagen des Jahres 1863 die Dämonen und Furien aus, um das Schicksalsrad der Militäraushebung zu zertrümmern, die Beamten zu zerreißen, Dutzende von Gebäuden in Flammen aufgehen zu lassen, Waffendepots zu plündern, Neger zu hängen, ein Waisenhaus für farbige Kinder einzuäschern und ein Schreckensregiment einzuführen, an welches New-York selbst heute nur noch mit Scham und Schauder zurückdenkt. Und dorthin wurde der Raub getragen, den Niemand den Räubern abzunehmen wagte, dort wurden heimlich von den Angehörigen die Leichen der im Straßenkampf Gefallenen eingescharrt, von denen man nur weiß, daß sich ihre Zahl auf Hunderte belief. Das ist eines von den Stadtvierteln der Irländer. Suchen wir aber den bevölkertsten Theil New-Yorks auf, so finden wir, daß die schmutzigsten, elendesten Quartiere ausschließlich von denen bewohnt werden, welche zur goldenen Harfe schwören, und blicken wir auf die Sümpfe von New Jersey, über deren Breiwege man nicht hinüber kann, ohne mehr mephitische Dünste einzuathmen, als mit der Gesundheit verträglich ist, so treffen wir dort die Pfahlbauten der Irländer, welche in der pestilenzialischen Atmosphäre wunderbar gedeihen. Die Zähigkeit dieser Menschen, sich’s gemüthlich zu machen, grenzt an’s Wunderbare. Auf einem wegen seines felsigen Charakters bis jetzt vacant gebliebenen Bergloch in einer sonst sehr anständigen Straße sah ich oft im Vorübergehen einen alten Eisenbahnwagen, der, von einer irländischen Familie käuflich erstanden, häuslich eingerichtet war und jetzt Eltern, Kinder und Kindeskinder beherbergte. Für keine häusliche Verrichtung fehlte es an Raum, und eines Tages sah ich sogar eine kleine rothe Fahne darüber flattern, zum Zeichen, daß eben Auction darin abgehalten werde.

Ich brauche mich wohl kaum gegen die Anschuldigung zu verwahren, als wollte ich alle Irländer unter eine Rubrik bringen; Thatsache aber ist es, daß so, wie ich’s hier angedeutet habe, nur die Irländer leben, und daß sie sich nur in dieser Richtung vorzugsweise kenntlich machen, während sie in respectabeln Kreisen nicht genug vertreten sind, um Aufmerksamkeit zu erregen. Auch abgesehen von der Wohnung, sind ihre Sitten ganz eigener Art. Bei der Procession am letzten St. Patrickstage sah ich zwei Söhne Erins, welche eine Meinungsdifferenz nach guter alter Weise durch die Kraft der Fäuste auszugleichen suchten. Sie waren, sich fest umklammernd, gestürzt und bearbeiteten einander mit Fäusten und Zähnen, worin weiter nichts Auffallendes lag. Das Sonderbare aber war, daß sie plötzlich, Beide blutend, aufstanden, einander freundschaftlich, mit dem verbindlichsten Lächeln die Hand schüttelten und sich zusammen wieder der Procession anschlossen. Während des Ringens hatte der beiderseitige Heldenmuth ihnen Respect eingeflößt; sie hatten einander in der Gosse als vollkommene Gentlemen kennen gelernt und waren jetzt die besten Freunde. Bemerkenswerth ist nebenbei die nur unter ihnen herrschende Gewohnheit des Nasenabbeißens.

Und dieses Element ist in New-York eine Macht. Es giebt bei den Wahlen den Ausschlag und will überall berücksichtigt sein. Am Patrickstage wurden durch Beschluß des Gemeinderaths die städtischen Bureaus geschlossen, und vom Stadthause herab, wie von privaten Gebäuden, wehten dieses Jahr ihm zu Ehren dieselben Fahnen, welche so oft die Siege der Republik verherrlichten. Dieser Anblick hat etwas Trauriges, Demüthigendes. Nie würde hier auf einen deutschen Ehrentag dieselbe Rücksicht genommen werden. Eine größere Rolle spielt in der Stadt der rohe Irländer als der gesittete Deutsche; mehr Respect hat man vor der brutalen Kraft als vor der Bildung; mächtiger ist die Furcht als die Achtung.

Das Motiv, welches die Irländer zu Allem bringen kann, ist der Negerhaß, welcher bei ihm keine Grenze kennt und einen wahrhaft fanatischen Charakter trägt. Wo die Einen dominiren, da dürfen die Andern sich nicht blicken lassen. Der Grund dieser eigenthümlichen Erscheinung liegt in dem Gefühl, daß der Irländer auf der niedrigsten Stufe der gesellschaftlichen Leiter stehen würde, wenn der Neger nicht noch tiefer stünde, und darum darf dieser sich nicht erheben. Es ist dem Sohne Erin’s ein Bedürfniß, etwas unter sich zu haben, und diesem Bedürfniß müssen die armen Schwarzen abhelfen. Allen Andern gegenüber fühlt er seine Unterordnung, und den Groll, welchen er darüber empfindet, lässt er am Afrikaner aus.

Und doch kann mit diesen Leuten, einzeln genommen, Niemand bekannt werden, ohne die dem Menschenfreund wohlthuende Ueberzeugung zu

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