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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Wie gewonnen, so zerronnen“, oder wie wir Schweizer sagen: „Ring (d. h. ohne Anstrengung) g’wunne, ring dure (durchgebracht)“. Die Einsätze betrugen zwanzig bis zweihundert Francs und das Spiel bestand darin, daß man einige Geldstücke in einen Hut warf, diesen schüttelte, dann umkehrte und „Kopf oder Nichtkopf“ rieth. Natürlich geht die Sache sehr rasch, und man kann in verhältnißmäßig kurzer Zeit bedeutende Geschäfte machen. Einer unter den Briganten soll zwanzigtausend Francs an Geldern, die er auf diese Weise gewann, besitzen. Diejenigen, welche ihre Baarschaft verloren hatten, fingen dann an um ihren Schmuck zu spielen, den diese Leute sehr lieben. So hatte z. B. derjenige, welchen wir „Affe“ titulirten, nicht weniger als zweiundzwanzig Ringe an seinen Fingern und einige goldene Ketten um den Hals. Ueberdies hatte er sich noch einige große Goldstücke gleich Ordenssternen an die Brust geheftet, als würdiger Ritter des Bomba-Ordens. War auch der Schmuck dahin, so ging es um den Antheil an der nächsten Geldsendung. Ja, es wurde um Summen gespielt, welche man von erst noch zu fangenden Personen zu erhalten hoffte. Das Spiel war immer mit Zank und Streit begleitet und Manzo konnte einmal die mit Dolch und Revolver aufeinander Dringenden nur dadurch beschwichtigen, daß er bestimmt erklärte, er werde den Ersten niederschießen, der sich noch ein einziges Wort erlaube. Das wirkte. Solche Momente sind die einzigen gewesen, welche an die Räuber-Romantik der „Böhmischen Wälder“ erinnerten. Zwei Dutzend Banditen in hitzigem Streite begriffen, Dolch und Revolver schwingend, beleuchtet vom röthlichen Scheine eines Feuers im düsteren Walde, die gespenstigen Schatten der umstehenden Bäume, mitten im Getümmel den handfesten Hauptmann mit gespanntem Revolver und dem Zeigefinger am Drücker, sein entschlossenes Gesicht, erhellt von der nächtlichen Flamme und glühend vor Zorn, ließen mich unwillkürlich an die Strophe denken:

„So machen wir uns Muth und Kraft
Und mit dem Schwarzen Brüderschaft,
Der in der Hölle bratet.“

Wenn auch Manzo in solchen Augenblicken als entschiedener Meister auftrat, so hinderte dies dennoch nicht, daß seine Untergebenen jede Gelegenheit benutzten, ihren Capitano zu beschimpfen. Dieser Umstand mochte auch dazu beitragen, daß in ihm der Entschluß reifte, sich nach Auslösung der Gefangenen freiwillig der Behörde zu stellen. Es war nur die eiserne Nothwendigkeit und der Mangel an eigener Intelligenz, was die Briganten zwang, seinen Befehlen sich zu fügen.

Um unsere tödtliche Langweile einigermaßen abzukürzen, suchten wir anfangs unser Heil in den überschickten Karten und spielten Piquet; als sich aber nach und nach auch die Briganten zum Spiele gesellten und dann regelmäßig Streit entstand, so sah sich Manzo genöthigt, die Karten wegzunehmen und zu zerreißen. Ich kam nun auf den Gedanken, einfache Schachfiguren zu schnitzen, aber meine Arbeit war eine vergebliche. Friedli, der nicht besonders stark war im Schach, zeigte durchaus keine Lust mitzuspielen, und so blieb mir nichts Anderes übrig, als die Figuren als theures Andenken aufzubewahren. Einen anderen Zeitvertreib fanden wir, bei gänzlichem Mangel an Taschenuhren, darin, daß wir die Stunden nach dem Stande der Sonne zu bestimmen suchten. Wir brachten es hierin zu einer ziemlichen Fertigkeit, allein es fehlte uns die Controle, der Maßstab, die Richtigkeit unserer Beobachtungen an einer guten Uhr selbst zu prüfen.

Unser Verhältniß zu Manzo, wurde nach und nach ein ganz erträgliches. Ja, wir besaßen eine Art Banditen-Vertrauens, das sich sogar einmal in der Weise kundgab, daß Manzo den Herrn Wenner aufforderte, ihm einen Liebesbrief an eine seiner weiblichen Bekanntschaften zu schreiben. Lachend erwiderte Wenner, daß er dies aus Mangel an Uebung durchaus nicht verstehe. Wiederholtes Drängen von Seite Manzo’s und die versprochene Beihülfe von uns Uebrigen, die wir vielleicht mehr Praxis in dieser Art Literatur hatten, vermochten endlich Wenner, die drollige Arbeit zu übernehmen. Sei es aber, daß Manzo, dem feurigen Liebhaber, die gewählten Ausdrücke zu gut italienisch, d. h. unverständlich blieben und überhaupt nicht in seinem Wörterbuche zu finden waren, sei es, daß das Product des prosaischen Schreibers dem edlen Jüngling und Brigantenchef allzu prosaisch war oder allzu sehr die platonische Liebe verherrlichte: genug, das seltsame Product eines Liebesbriefes kam erst nach vielfachen Erörterungen und nicht wenigen Correcturen zu Stande. Von der Wirkung des Schreibens auf das zart besaitete Gemüth der schönen, unbekannten Brigantessa erfuhren wir leider nie etwas.

Bei dieser guten Laune des Hauptmanns hofften wir jetzt auf baldige Erlösung und sollten darin nicht wieder getäuscht werden, wie dies allerdings schon einmal vor Neujahr der Fall gewesen.

Am 8. Februar brach die Bande in Abwesenheit des Capitano nach unserm neuen und letzten Versteck auf, einer geräumigen Hütte, zu welcher etwa zwanzig Bäume von sechs bis elf Zoll Durchmesser verwendet worden, und es ging endlich der heißersehnten, goldenen Freiheit entgegen. Obgleich wir wacker ausziehen mußten, spürten wir doch nichts von Müdigkeit. Bald stießen wir auf Manzo, der mit Matteo und dem Wasserwächter uns entgegenkam und wohl den letzten Empfangsschein ausgestellt hatte. Da man sich aus der Entfernung nicht erkennen konnte, so wäre es bald zu einem blutigen Zusammenstoß gekommen, denn schon hatte man gegenseitig die Gewehre erhoben und den Hahn gespannt. Glücklicherweise erkannte man sich endlich und wir langten Samstag den 10. Februar noch bei Tageshelle in einer Felsenschlucht an. Aus ihr führte ein schmaler Fußsteig und dieser war – Gott sei Lob und Dank! jubelte es in unserm Innern – unser Weg zur Freiheit.

Der Abschied von Seite der Briganten war uns etwas zu zärtlich. Sie küßten Einen nach dem Andern, drückten uns die Hände und wünschten uns glückliche Heimkehr. Die Spitzbuben! Manzo gab Jedem von uns achtzig Francs Reisegeld, und als er zu bemerken glaubte, daß wir mit der Summe nicht recht zufrieden seien, legte er Jedem noch zwanzig Francs hinzu. Ueberdies erhielten wir von den Banditen zum Andenken an die unfreiwillige, nichts weniger als gefahrlose und wohlfeile „Cameradschaft“ goldene Fingerringe. Ich empfing deren vier.

Endlich waren wir der Kerls los und unsern Führern übergeben. Die Trennung von der Bande wurde von dieser durch Abfeuern ihrer Revolver und Gewehre, durch Jauchzen und allerlei tolles Gebahren gefeiert. Endlich postirten sie sich gar noch auf eine Anhöhe und winkten mit Händen und Tüchern so lange, bis wir ihrem Auge entschwunden waren.

Es wird kaum nöthig sein, den Lesern zu versichern, daß wir mit Siebenmeilenstiefeln fürbaß zogen, noch weniger wird man eine Schilderung erwarten, mit welchen Gefühlen wir in Acerno einzogen. Hier angelangt, stellten wir uns in der Caserne dem Gensd’armerieposten vor und wurden mit anscheinend großer Freude empfangen. Sogleich wurden von hier aus Eilboten nach Salerno geschickt, welche unsern Familien die freudige Nachricht unserer Befreiung brachten. Sonntag, den 11. Februar, um halb ein Uhr, traf Herr Wenner mit seinen übrigen Söhnen in Acerno ein, um uns zu umarmen, nachdem wir einhundert und siebenzehn Tage unter Briganten gelebt, kein Bett gesehen, öfters im Schnee geschlafen, fürchterliche Strapazen überstanden und mehr als einmal in augenscheinlicher Todesgefahr geschwebt hatten.

Daß wir mit unsern langen Bärten und langen Haaren, mit unsern sonnenverbrannten Gesichtern, in den uns von den Briganten überlassenen Joppen und hohen Wasserstiefeln beinahe unkenntlich waren, darüber wird sich Niemand verwundern, vielleicht aber darüber, daß wir Alle gesund und wohlbehalten in unserer Heimath anlangten.

Wenn in unserm Falle weder Mord und Todtschlag, noch Ohren- und Fingerabschneiden oder ähnliche Barbareien vorgekommen sind, so haben wir dies vornehmlich dem Umstande zu verdanken, daß wir in Manzo’s Hände und nicht in diejenigen eines Giardullo gefallen sind. Und der Brigante, welcher bei unserer Gefangennehmung zu mir gesagt hatte: „Gott hat Euch wohlgewollt, daß Ihr in unsere Hände gefallen seid!“ hatte so unrecht nicht. Ein zweiter Umstand liegt darin, daß die Bande unsertwegen ziemlich in Ruhe gelassen wurde, was wir der Vorsicht und der sichern Vorausberechnung des alten Herrn Wenner zu verdanken hatten.



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