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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 20.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Vom schönen Fritz.[1]
Von A. Ewald.


Schadet ein Irrthum wohl? Nicht immer, aber das Irren,                    
Immer schadet’s. Wie sehr, sieht man am Ende des Wegs.     
Goethe, Vier Jahreszeiten.

Ich sehe ihn noch vor mir, den blonden Lockenkopf mit seinem Lebensmuth und seiner Lebenslust! Kein Pferd war ihm zu wild, kein Sprung zu hoch, kein Stückchen an Barren und Reck unmöglich, keine Waffe unbekannt, auch leider – kein Becher zu groß. Ein sprudelndes Herz, eine Fülle von Liebenswürdigkeit! Genie, was er auch angriff! Er war Aller Schoßkind, der Liebling aller Männer, der Günstling aller Frauen, der Stolz der „Couleur“. Nie wieder habe ich eine so wunderbar strahlende und hinreißende Erscheinung getroffen.

Unser Turn war, wie gesagt, der Begünstigte der Schönen und bei seinem leichten Blut und feurigen Sinn entzog er sich keineswegs ihren Huldigungen, sondern genoß mit vollen Zügen, was ihm geboten ward. Noch als Gymnasiast gewann er die Neigung von Cornelie Günther, deren Vater, ein sehr wohlhabender Mann, sein Vormund war und ihn bei sich erzogen hatte. Für ihn selbst blieb das Verhältniß eine unterhaltende Tändelei, denn die Universität stand ihm bevor und im Angesicht ihrer Herrlichkeiten besaß er nicht Ernst genug, um sich der Liebe mit voller Seele zuzuwenden; auch fiel es ihm keinen Augenblick ein, sich schon jetzt ehrbarlich zu binden, wo sich ihm nach seinen Begriffen die Pforten der Freiheit und des Jubels aufthaten. Cornelie nahm die Sache ernster. Ich selbst habe das Mädchen nicht kennen gelernt, aber sie wurde mir von allen Seiten übereinstimmend höchst günstig geschildert. Nicht eben als eine hervorragende regelmäßige Schönheit, doch als eine zarte Gestalt, fein von Gesicht, blond und blauäugig, innerlich und tief, still nach Außen, keusch und sanft, streng erzogen. Nicht das, was einen angehenden Studenten fesselt, wohl aber das, worauf das Auge des fertigen Mannes freudig ruht. Sie also nahm, ihrer Natur gemäß, die Sache ernster, und als Freund Turn nach Jena wanderte, war es bei ihr, obgleich keine Erklärungen erfolgten, beschlossen, daß sie ihn im Herzen bewahren wolle, bis er sie dereinst heimführen könne.

Turn besaß nur ein kleines Vermögen, gegen zweitausend Thaler. Der Vormund hatte es gewissenhaft verwaltet und, ohne den Erziehungsaufwand zu berechnen, durch die Zinsen um ein Kleines vergrößert. Als der Mündel zur Universität abging, war er fast volljährig; Günther, mit den Gefahren wohlbekannt, die das Universitätsleben mit sich bringt und die gerade seinen leichtblütigen Zögling besonders bedrohten, zeigte ihm, daß ein so geringfügiges Vermögen kaum für die Studienkosten auslange, ermahnte ihn väterlich, dasselbe zu schonen, und machte ihm, um seine Hand über dem Zögling zu halten, den Vorschlag, ihm auch nach Eintritt der Volljährigkeit erst nach und nach auszuzahlen, was er brauchen werde. Der gute Turn hatte nichts dagegen und zog davon, um Jura zu studiren. Die Aussichten standen damals in seinem Land für Juristen sehr günstig, so günstig, daß er fast unmittelbar nach Vollendung der Studien eine Anstellung erwarten konnte. Aber er studirte nicht zu eifrig, sondern beeiferte sich nur, ein echter Student zu sein. Dazu gehörte auch Gleichgültigkeit für den Mammon, und diese besaß Turn von Natur her hinlänglich, um sie nicht erst lernen zu müssen, und den Werth des Geldes zu erkennen hatte ihn seines Vormundes freigebige Fürsorge nicht genöthigt. So von Herzen gern splendid, meinte er, sich als Student erst recht nicht lumpen lassen zu dürfen, und „ponirte“ und „verpumpte“ flott darauf los. Wir hielten ihn für reich, denn man sah ihm an, daß er gewohnt war, auf großem Fuße zu leben; Manche – es fehlt ja niemals, auch unter der Jugend, an gemeinen Seelen – benützten seine Freigebigkeit und halfen ihm vom Gelde. Der Vormund mahnte und mahnte zur Sparsamkeit und die Mahnungen machten anfangs Eindruck, denn Turn liebte und verehrte ihn, und dann war er ein paar Tage fleißig und häuslich. Aber bald kamen die lustigen Brüder – sie vermißten ihn ja überall – rückten ihm vor’s Quartier, verhöhnten seine Solidität und seinen „Katzenjammer“ und „moralischen“, entfalteten die kostbarsten Pläne zu wilden Streichen vor seinen Augen, und wenn es dergleichen gab, da konnte er der Versuchung nicht widerstehen. Die Pedelle wußten das prächtig; waren einmal Fenster eingeworfen oder Läden abgehoben und der Saale übergeben worden, er mußte es gethan haben, und da er wieder zu leichtsinnig war, um sich gehörig zu vertheidigen, und eher noch einen Trumpf darauf setzte, als den Unschuldigen spielte, so wurde er für eigene und fremde Streiche nicht selten verdonnert und in’s

  1. Die vorstehende Novelle ist einem größern Cyclus von Erzählungen („Nach siebenzehn Jahren. Ein Strauß Geschichten“) entnommen, in welchen der Verfasser eine Anzahl früherer Universitätsgenossen an einem bestimmten Tage in der alten Musenstadt an der Saale wieder zusammenkommen läßt, um gegenseitig zu erzählen, was Jeder in den seit seinem Studententhum verflossenen fünfzehn Jahren an Leid und Lust erlebt hat. Wenn wir später noch eine oder die andere dieser frischen und von wahrer Poesie durchwehten Novellen unsern Lesern mittheilen werden, so glauben wir sicher nur auf den Dank der letzteren rechnen zu dürfen.
    D. Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_305.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)