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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

nach dem fürstlichen Schlosse; dann zog sie den Schleier hastig über das Gesicht und brach in ein heftiges Weinen aus.

Es war infolge von Bertha’s Geständnissen zu einem heftigen Auftritt zwischen Herrn von Walde und der Baronin gekommen, der mit Ausweisung der Letzteren endete. Helene stieß sie mit Abscheu zurück, als sie Hülfe und Fürsprache bei ihr suchte, und so sah sie sich gezwungen, den Reisewagen zu besteigen, der pünktlich zu der vom Schloßherrn bestimmten Stunde an der Einfahrt hielt… In den Wermuthbecher fiel übrigens ein Tröpfchen Süßigkeit. Herr von Walde hatte ein Erziehungsgeld für Bella ausgesetzt unter der Bedingung, daß sie von nun an vernünftiger erzogen werde, als bisher geschehen. –

Fast zur nämlichen Stunde, da die Baronin Lessen Lindhof für immer verließ, erschien die Oberhofmeisterin von Falkenberg im Boudoir der Fürstin, die in Begleitung ihres Gemahls vor wenigen Tagen aus dem Bade zurückgekehrt war.

Die Oberhofmeisterin verbeugte sich so tief, wie es ihre unsicheren Fundamente nur irgend gestatteten, aber es geschah in einer eigenthümlichen Hast, die sie bei jedem anderen Eintretenden höchst indignirt als etikettenwidrig gerügt haben würde. Sie hielt einen offenen Brief in den Händen, der seine ursprüngliche Glätte offenbar erst zwischen den zitternden Fingern eingebüßt hatte.

„Ich bin sehr unglücklich,“ begann sie mit alterirter Stimme, „den durchlauchtigsten Herrschaften eine scandalöse Nachricht unterbreiten zu müssen… O, mon dieu, wer hätte das gedacht! … Nun, wenn selbst in dieser Sphäre Scham und höheres Bewußtsein aufhören, wenn Jeder der Eingebung einer gemeinen Neigung folgen will und seine heiligen Vorrechte unter die Füße des Pöbels wirft, dann ist es freilich kein Wunder, daß wir zuletzt den Nimbus nicht mehr zu halten vermögen und das Volk sogar an den Thronen zu rütteln wagt!“

„Alteriren Sie sich nicht, meine liebe Falkenberg,“ sagte der Fürst, der zugegen war, sichtlich amüsirt, „Ihre Einleitung hat etwas vom grandiosen Styl der Kassandra… Aber ich spüre bis jetzt noch nichts von dem geweissagten Erdbeben, und zu meiner Befriedigung bemerke ich auch,“ sein Blick streifte lächelnd drunten den stillen Marktplatz, „daß meine getreuen Unterthanen sich ruhig verhalten… Was haben Sie mir mitzutheilen?“

Sie sah betroffen zu ihm auf; sein sarkastischer Ton machte sie unsicher.

„O, wenn Durchlaucht wüßten!“ rief sie endlich. „Gerade er, auf dessen stolzes Blut ich Häuser gebaut haben würde! Herr von Walde zeigt mir an, daß er sich verlobt habe, und mit wem? mit wem?“

„Mit Fräulein Ferber, der Nichte meines alten, braven Oberförsters,“ ergänzte der Fürst lächelnd. „Ja, ja, ich habe schon so etwas gehört… Der Walde ist nicht auf den Kopf gefallen, wie ich merke. Die Kleine soll ein wahres Wunder von Schönheit und Liebenswürdigkeit sein… Nun, ich hoffe, er läßt uns nicht lange warten auf die allerliebste kleine Bekanntschaft und stellt sie uns bald vor.“

„Durchlaucht,“ rief die Oberhofmeisterin erstarrt, „sie ist die Tochter Höchstihres Forstschreibers!“

„Ja, ja, beste Falkenberg,“ beschwichtigte die Fürstin, „das wissen wir ja. Aber beruhigen Sie sich nur, sie ist ja eigentlich doch von Adel, wie ich gehört habe.“

„Erlauben Euer Durchlaucht gnädigst,“ entgegnete die alte Dame, hochroth im Gesicht, und deutete auf den zerknitterten Brief, „hier steht sie schwarz auf weiß, diese Verlobung mit einer Bürgerlichen; hier steht der Name Ferber und kein anderer, und so wird er auch auf dem Stammbaum Derer von Walde stehen für alle Zeiten; scheint es doch, als ob ihn der Herr Bräutigam auch noch mit einer gewissen Ostentation betone! … Daß diese Menschen mit dem edlen Geschlecht der Gnadewitze nichts gemein haben, beweisen sie am schlagendsten dadurch, daß sie den herrlichen alten Namen nicht zu würdigen wissen, indem sie sich in unbegreiflicher Indolenz weigern, ihn zu führen. Der versprengte Tropfen nobles Blut ist im Lauf der Jahre verkommen in ihren Adern, und für meine Adelsbegriffe ist und bleibt das Mädchen unadelig… Ich beklage aufrichtig den armen Hollfeld, der, wie Euer Durchlaucht doch gewiß gnädigst zugeben werden, ein Cavalier vom reinsten Wasser ist, er verliert durch diese Mesalliance mindestens eine halbe Million, und die unglückliche Lessen, von der ich mit der Verlobungsanzeige zugleich einige trostlose Abschiedszeilen erhielt, verläßt heute noch Lindhof, jedenfalls, um der scandalösen Geschichte aus dem Wege zu gehen.“

„Das sind Dinge, die speciell Ihr freundschaftliches Gefühl berühren, und deshalb will ich nicht rechten mit Ihnen über die Art und Weise Ihrer Auffassung,“ entgegnete der Fürst nicht ohne Schärfe. „Uebrigens will ich Sie hiermit ersucht haben, der Fürstin und mir sofort Anzeige zu machen, wenn Herr von Walde uns seine Braut vorzustellen wünscht.“

Drin im Nebenzimmer, dessen Thür offen stand, drehte sich Cornelie lustig auf dem Absatz herum und schlug ein Schnippchen.

„Ah, also deswegen wollte der Herr Eisbär der Zunge gewisser redseliger Damen entgehen!“ rief sie mit unterdrücktem Lachen. „Cornelia, wo blieb damals dein untrüglicher Scharfblick für das Verliebtsein der Männer! … Uebrigens macht mir die Geschichte unendlichen Spaß um der alten Falkenberg willen,“ wandte sie sich flüsternd an eine andere junge Dame, die stickend am Fenster saß. „Jetzt werden wir mindestens vierzehn Tage lang das Vergnügen haben, zu sehen, wie die vielgetreue Royalistin unsere Durchlauchten am liebsten mit den Blicken spießen möchte, sobald sie ihr ahnungslos den Rücken zukehren, während sie den ganzen Honigseim des gelobten Landes über ihre welken Lippen fließen läßt, wenn der Sonnenschein der fürstlichen Augen auf sie fällt. Um dieses Genusses willen möchte man wirklich wünschen, daß unsere sämmtlichen Herren solche dumme Streiche machten.“

„Um Gotteswillen, Cornelie, bist Du wahnsinnig?“ rief die Collegin im Fenster und ließ entsetzt die Nadel fallen. –

Und wiederum in der nämlichen Stunde, da sich selbst das kleinste Tröpflein Blut in den aristokratischen Adern der Frau Oberhofmeisterin von Falkenberg empörte, trat Doctor Fels heimkehrend in die Kinderstube, wo seine Frau eben das Kleinste badete und dabei die strickenden Fingerchen ihrer zwei kleinen Töchter beaufsichtigte.

„Frau, freue Dich mit mir!“ rief er mit strahlendem Gesicht schon in der Thür. „Lindhof bekommt eine Herrin, und was für eine! … Gold-Else, die schöne Gold-Else wird’s, hörst Du, mein Schatz? … Nun wird’s wieder hell und sonnig da draußen! Der gesunde Gedanke siegt und der finstere Geist, der auf die armen Menschenseelen einen wahren Mehlthau geworfen hatte, entflieht – ich habe ihn eben im Reisewagen des Herrn von Walde vorbeirasseln sehen. Draußen in Lindhof mögen vor einer Stunde der unsichtbaren Kreuze genug in der Luft herumgeflogen sein… Die Verlobungsanzeige ist wie eine Bombe in unsere gute Stadt gefallen. Ich sage Dir, es ist eine wahre Lust, die langen, die ungläubigen und die neidischen Gesichter alle zu sehen! … Mich aber hat sie ganz und gar nicht überrascht, diese Nachricht. Ich wußte seit der Attentatgeschichte, was kommen würde. Als ich noch an demselben Abend an Herrn von Walde’s Seite nach Lindhof rollte, um zu sehen, ob die Alteration für das kleine, kühne Mädchen keine nachtheiligen Folgen gehabt habe, da merkte ich plötzlich, daß endlich auch seine Stunde geschlagen hatte, daß er auch ein Herz habe, und zwar eines voll tiefer, leidenschaftlicher Liebe.“


Will der Leser einen Zeitraum von zwei Jahren überspringen und noch einmal an unserer Hand die Gnadecker Ruinen betreten, so führen wir ihn auf den Windungen einer breiten, schönen Fahrstraße den Berg hinauf vor das Schloßthor, das, neu angestrichen, seine rostigen Schlösser und Bänder mit neuem Eisenwerk vertauscht hat.

Wir gedenken fröstelnd des kalten, feuchten Hofraumes hinter diesem Hauptthor, den düstere Colonnaden an drei Seiten einschließen, während die oberen Stockwerke die mörderische Absicht zeigen, auf uns herabzustürzen. Wir erinnern uns des einsamen Wasserbeckens inmitten des Hofes, das, von den steinernen Löwen beherrscht, seit vielen, vielen Jahren vergebens auf die silberhellen Fluthen hofft, die sein Rund füllen sollen.

Mit diesen Vorstellungen läuten wir. Auf den tiefen Klang der Glocke öffnet alsbald eine frische, kräftige Magd den schweren Thorflügel und bittet uns, einzutreten. Wir aber weichen wie geblendet zurück, denn aus der Thüröffnung quillt uns ein Licht- und Farbenstrom entgegen. Die Ruinen sind verschwunden, nur die hohe, eisenfeste Ringmauer steht noch und läßt uns jetzt erst recht erkennen, wie ausgedehnt der Raum ist, den sie umschließt.

Wir treten nicht auf das hallende Steinpflaster des Hofes,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_291.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)