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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Organisationstalent, ein gleiches Umfassen des Größten wie des Kleinsten nur als allgemeine Vorzüge einer genialen Natur und Eigenschaften jedes echten Staatsmanns, und jenes Achten der Ueberzeugung Andrer, sobald diese Ueberzeugung selbst sich nur als das Resultat ernster und wahrhafter Erwägung documentirt, blos als ein natürlicher Ausfluß jener ersterwähnten Charaktereigenschaft. Ein ächter Edelmann, ein erklärter Feind der Bureaukratie, so hat sich Watzdorff allzeit bewährt. Bedeutungsvoll wurde schon die erste Beziehung, in welche der neue Minister zu der Landesvertretung trat. Seither war bei den Sitzungen der letzteren die Anwesenheit von Regierungscommissaren ausgeschlossen; die Regierung beanspruchte deren Theilnahme. Die Vorlage weckt im Schooß des Landtags Mißtrauen. Indeß man versucht’s. Der wahrscheinliche Urheber der Vorlage, Watzdorff selbst, erscheint als der Abgeordnete der Regierung im Sitzungslocal. „Auch ich als Minister muß mich als Vertreter Aller betrachten, wenn auch von einem höhern Standpunkte aus. Es bedarf keiner geheimen Sitzungen, um sich freimüthig über die Landesbehörden und selbst über die Staatsregierung auszusprechen, und selbst wenn es sich von einer Beschwerde über den Minister handelte, wer sollte nicht den Muth haben, sie in seiner Gegenwart zu erheben, aber wer wollte auch demselben versagen, sich dagegen zu vertheidigen?“ Das Vertrauen war nach solchen Worten hergestellt, die Vorlage wird angenommen. Und es war ein Fortschritt, denn nun erst konnte sich das constitutionelle Leben ordentlich entwickeln. Der Eintritt einer vollständig neuen Aera des weimarischen Verfassungslebens trat jedoch erst ein mit dem Landtag von 1847. Das durch die materielle Noth in Folge der Mißernte des vorhergegangenen Jahres empfindlich gemachte Volksgemüth kam damals zur Kritik des Bestehenden und ein Jahr später zur entscheidenden That durch die offene Gewalt der Märztage.

Das unpopulär gewordene Ministerium Schweitzer-Gersdorff trat ab. Watzdorff übernahm das Präsidium des Ministeriums. In jener von Excentricitäten nach aller Richtung bewegten Zeit tritt die Person Watzdorffs am bedeutendsten in die Erscheinung. Frauenblick soll weit rascher das Geheimniß des innern Menschen ergründen können, als das Mannesauge. und so heißt es, daß namentlich auch die höchste Frau des Landes, deren überdies überall nur Segen spendende Hand bis in die ärmsten Hütten griff, im kritischen Moment Veranlassung gegeben, daß ihm das höchste, unumschränkte Vertrauen geschenkt wurde. Das Frauenauge bewährte sich; die begehrten Concessionen wurden bewilligt. Das zerrissene Band zwischen Fürst und Volk wurde rasch wieder geknüpft. Seltsamerweise waren es ganz dieselben, wie sie schon Carl August in seinem Innern erwog. – Natürlich kann es nicht Aufgabe eines Blattes wie die Gartenlaube sein, das weimarische Verfassungsleben in seinen einzelnen Phasen zu schildern, nur soviel sei gesagt, daß darin sich mehr als einmal das anderswo Unerhörte zeigte, daß die Regierung liberaler war, als die Kammern, ja daß diese letztere einmal – und es ist das einzige Mal geblieben – aufgelöst wurde, weil ihre Mitglieder den freisinnigen Bestrebungen des Ministeriums Opposition machten und ihm vorwarfen, es huldige demokratischen Grundsätzen. Denn auch in Weimar hat es an Reactionsversuchen nicht gefehlt, nur lagen sie hier außerhalb der Regierung und scheiterten vollständig. Eine preußische Junkerpartei hat es, Gott sei Dank, in Weimar nie gegeben. Sie wäre auch durch den gemeinsamen Druck von unten und oben alsbald zermalmt worden.

Der Kreis der freien Institutionen der weimarischen Regierung verwirklicht den wiederholt aus dem Munde des gefeierten, allgeliebten Premierministers gehörten Grundsatz: „Diejenigen Schranken, welche die freie Entwickelung des individuellen, Familien- und Gemeindelebens hemmen, mehr und mehr zu bannen, das Volk zur Bildung und somit zur wahren Freiheit, zur politischen Reife zu führen.“ In diesen innern Fragen hat die Regierung in neuester Zeit nicht blos eine Majorität, sie hat sogar eine Einstimmigkeit im Landtage für sich gewonnen. In äußeren Fragen, welche immer auch die Theilnahme der Landesvertretung durch Wort und That in Anspruch nehmen, in nationalen deutschen Fragen ist die weimarische Regierung stets in Uebereinstimmung gewesen mit den allgemeinen Sympathien des deutschen Volkes. Auch sie hegt die von den Besten im Vaterlande getragene „Ueberzeugung, daß wir, was unsere großen nationalen Fragen betrifft, früher oder später doch zu dem gewünschten Resultate kommen werden.“ Bis dahin steht sie mit uns Allen in Hoffnung und Geduld und sucht, festbegründet auf dem Boden des Gegebenen, vorerst diejenigen Ziele zu erreichen, welche die Möglichkeit der Fortexistenz für sich haben. Daß diese Scheinexistenz des Bundestags, den uns die Reaction wiedergebracht, ertragen werden muß, beklagt auch sie mit uns Allen. „Wir wären dahin nicht gekommen,“ resultirt sie, „hätte man im Jahre 1851 nicht das Streben gehabt, Alles, was die Vergangenheit gebracht hat, unberücksichtigt darum, ob es großen, praktischen Werth hatte oder nicht, zu beseitigen.“ Das Verhalten der weimarischen Regierung bei der jetzt in ein neues verhängnißvolles Stadium tretenden Schleswig-Holsteinschen Frage ist bekannt. Sie erwarb sich darum ein einstimmiges Vertrauensvotum der ganzen Landesvertretung.

Eine Beeinflussung der Wählerschaft ist von dieser Regierung nie ausgegangen. Nur ein einziges Mal, heißt es, als der Führer der oppositionellen Linken durch eigenes Versehen nicht auf die Wahlliste zu kommen schien, soll eine Einwirkung dahin stattgefunden haben, daß in einem reactionären Wahlkreise derselbe gewählt wurde. Die Regierung wollte diese gesinnungstüchtige Opposition nicht missen. So echt constitutionell denkt man in Weimar, dem ein großer Verlust erwachsen würde, sollten sich die Gerüchte bewahrheiten, daß Watzdorff einem an ihn ergangenen Rufe nach Dresden Folge geben werde.

Wem diese Vorführung der Entwickelung des Verfassungslebens in einem kleinen deutschen Staate bedeutungslos erscheinen könnte, dem möge die Betrachtung entgegengehalten werden, daß das Facit aus dieser gegenseitigen Achtung der Parteien und der gesetzgeberischen Factoren, welche nie bis zu der Tiefe gegenseitiger Verunglimpfung herabgesunken sind, daß dies starke, feste, auch in den bewegtesten Zeiten nie zerrissene Band der Einheit zwischen Fürst und Volk zwar nicht eine politische, aber doch eine moralische Großmacht ergiebt. Dies verleiht dem weimarischen Verfassungsjubiläum nicht eine blos territoriale, vielmehr eine deutsche, eine allgemeine Bedeutung.

Fr. Hg.




Bismarck an Uhden.
Kleine Skizze aus großer Zeit.
Von E. Dohm.
IV.


Der General-Lieutenant von Haacke führte die Befehle des Königs mit der Eile und Pünktlichkeit des im Dienst ergrauten Soldaten aus. Schon am nächsten Tage, am 4. August, erstattete er dem König seinen Bericht, den wir hier unverkürzt mittheilen. Ueberhaupt liegt der weitere Verlauf unserer Erzählung in den uns aufbewahrten Documenten so vollständig vor, daß wir dem Inhalt derselben nur wenige ergänzende Bemerkungen hinzuzufügen haben werden.

Der Bericht des Grafen von Haacke lautet folgendermaßen:

„Auf die von Ew. K. Maj. mir wegen des ältesten Sohnes des Groß-Canzlers v. Cocceji allergnädigst gegebenen Ordre habe ich ihn von Stunde an in solche Aufsicht genommen, daß er aus Berlin nicht entkommen soll; hiernächst aber sogleich mich mit dessen Mutter weitläuftig besprochen, wie man ihn, ohne Aufsehen zu machen, am füglichsten in Verwahrung halten kann. Sie danket Ew. K. Maj. allerunterthänigst vor diese gnädige Vorsorge. Weil es aber in einem Particulier Hause zu Berlin fast nicht möglich sein würde, ihn so genau zu verwahren, daß er weder echappiren noch einige Correspondenz mit der Barbarina haben könne, so habe ich zuförderst Ew. K. Maj. allerunterthänigst vorschlagen wollen, ob man ihn entweder bei dem Commandanten im Invaliden Hause hinbringen oder nach alten Landsberg auf das Schloß unter der Aufsicht des Capitain v. Demcke hinliefern solle. Wenn Ew. K. Maj. einen oder den anderen Vorschlag approbiren, so bitte nur um die nöthige Ordre an den Commandanten zur Annehmung und will hiernächst besorgen, daß er sofort in der Stille und ohne Aufsehen weg gebracht werde, auch niemand erfahre, wo er eigentlich hin gekommen. Die Barbarina betreffend, so muß Ew. K. Maj. allerunterthänigst

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