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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

um sieben Uhr eröffnet werden. Schon standen die Mitglieder in ihrem Costüme bereit und froren in fleischfarbenen Tricots; ungeduldig scharrten die muthigen Pferde im Sande und noch ungeduldiger stampfte Renz mit seinen Füßen, da sich keine menschliche Seele blicken ließ. Endlich zeigte sich ein neugieriger Zuschauer, aber es war – ein Soldat, der unentgeltlichen Einlaß begehrte, weil der Circus ursprünglich dem Militär gehörte. Der „Freischütze“ schien jedoch das launische Glück mitgebracht zu haben, denn bald folgte ihm ein zahlreiches Publicum auf dem Fuß. Aber damit war die Noth noch nicht beseitigt und die Verlegenheiten

Renz und sein folgsamster Zögling Danielo.

waren ohne Ende, da es selbst am Unentbehrlichsten fehlte. Besonders machte sich der Mangel an passender Garderobe sehr unangenehm bemerkbar, namentlich war nur eine Stallmeister-Uniform vorhanden. Man wußte sich jedoch zu helfen, indem die Uniform so rasch als möglich von einer Schulter auf die andere wanderte, so daß Naumburg sich täuschen ließ und die Fülle und Eleganz der nicht vorhandenen Costüme höchlichst bewunderte. Die Vorstellungen fanden Beifall und wurden so gut besucht, daß Renz seine Uhr einlösen und mehrere Stallmeister-Uniformen anschaffen konnte.

Nach einiger Zeit wandte sich der junge Director nach Breslau, wo er den Grund zu seiner künftigen Größe legte. Das Publicum strömte nach dem Circus und war von den Leistungen der Gesellschaft entzückt, welche sich bedeutend vermehrt hatte und bereits fünfundzwanzig Pferde besaß, indem Renz den Grundsatz befolgte, jeden erworbenen Thaler sofort auf die Vergrößerung seines Geschäftes zu verwenden. Aber noch war er weit entfernt von seinem Ziele und das Schicksal bereitete ihm neue Verlegenheiten und Hindernisse. Ein neidischer Concurrent entführte ihm nämlich sämmtliche Mitglieder, die er heimlich engagirt hatte, so daß Renz zwar mit fünfundzwanzig Pferden, aber nur mit drei Personen, unter denen er selbst und seine Frau noch mitzählten, in München anlangte, wo er bereits den Circus gemiethet und alle Vorbereitungen getroffen hatte.

Jeder Andere hätte gewiß den Kopf verloren, weil sich in so kurzer Zeit eine neue Gesellschaft nicht engagiren ließ, aber der Napoleon der Kunstreiter vereinigte in seiner Person eine ganze Armee. Da er in seiner Jugend die verschiedensten Productionen geübt und eine bewunderungswürdige Vielseitigkeit sich erworben hatte, so war er jetzt im Stande, bald hoch zu Roß, bald als Athlet, bald auf dem Drahtseil zu erscheinen und an einem Abend allein so viel zu leisten, als sonst alle seine Mitglieder zusammengenommen. Muthig eröffnete er seine Vorstellungen und dem Kühnen stand auch diesmal das Glück zur Seite. Das Publicum, entrüstet über die Hinterlist des Concurrenten, nahm in so auffallender Weise Partei für Renz, daß er in München die glänzendsten Geschäfte machte und bald wieder an der Spitze einer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_277.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)