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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

– wenn ich wieder in die weite Welt hinausziehen werde, wollen Sie?“

„Das kann ich Ihnen nicht versprechen.“

„Und warum nicht?“

„Fräulein von Walde wird meine Gesellschaft nicht wünschen, und wenn auch … ich habe heute schon einmal erklärt, daß ich den neuen Namen nicht führen werde.“

„Wunderliche Antwort! … Das gehört nicht hierher… Ah, jetzt verstehe ich! Endlich wird es hell vor meinen Augen! Sie glauben also, ich habe Hollfeld’s Wahl gebilligt, weil Ihnen plötzlich ein adeliger Name zugefallen ist … wie, ist’s nicht so?“

„Ja, das glaube ich.“

„Und folgern weiter, daß ich Sie aus dem Grunde auch jetzt als Umgang für meine Schwester wünsche? … Sie sind überhaupt der Ansicht, daß der Aristokrat bei Allem, was ich thue und denke, die erste Stimme hat?“

„Ja, ja!“

„Nun, dann frage ich Sie, welchen Namen führten Sie, als ich hier, auf diesem Wege, Sie um einen Glückwunsch für mich bat?“

„Damals wußten wir noch nicht, welches Geheimniß der Erker enthielt,“ flüsterte Elisabeth kaum hörbar.

„Haben Sie die Worte vergessen, die Sie mir an jenem Tag nachsprechen mußten?“

„Nein, ich habe jede Silbe klar und fest im Gedächtniß,“ entgegnete das junge Mädchen rasch.

„Nun, und halten Sie es für möglich, daß solche Worte enden könnten mit einem ‚und bleiben Sie gesund im neuen Jahr‘ oder dergleichen?“

Das junge Mädchen antwortete nicht, sah aber tieferröthend zu ihm auf.

„Hören Sie mich einen Moment ruhig an, Elisabeth,“ fuhr er fort; er selbst aber war so wenig ruhig, daß man das Klopfen seines Herzens in der schwankenden, von innerer Bewegung fast erstickten Stimme hören konnte. „Ein Mann, den das Glück bevorzugte, indem es ihm eine höhere Lebensstellung und Reichthum in die Wiege legte, mißtraute diesen Vorzügen, als er anfing, selbstständig zu denken. Er fürchtete, daß gerade an ihnen das scheitern könne, was er Lebensglück nannte. Er schuf sich deshalb im Bezug auf die Wahl seiner Lebensgefährtin ein Ideal, nicht, daß er außerordentliche geistige und körperliche Vorzüge beansprucht hätte, er suchte einfach ein Wesen im Besitz eines reichen und reinen Herzens, das kein Verständniß habe für die Vortheile des Ranges und Reichthums und sich ihm, nur ihm, ohne jedwede Nebenrücksicht, hingeben würde… Er kam allmählich zu der Ueberzeugung, daß sein Ideal ein Ideal bleiben werde; denn er war über seiner Erforschung nachgerade siebenunddreißig Jahre alt geworden… Wenn die Hoffnung bereits die Flügel zusammenfaltet, wenn es dunkel werden will, dann hat das in der zwölften Stunde noch plötzlich aufglühende Morgenroth etwas Ueberwältigendes für die Menschenseele. Sie wird aus dem Geleise gerissen, und eben die Verspätung, das so lange erfolglose Harren stürzen sie in ein Meer von Zweifeln und lassen sie nicht recht mehr an das unerwartete Glück glauben… Elisabeth, er fand ein solches Herz, das, unterstützt von einem klar erwägenden, reich ausgestatteten Geist, hoch stand über jenen kleinlichen Interessen; aber es schlug in einer jungen, mit dem höchsten Liebreiz geschmückten Hülle… War es da wohl ein Wunder, wenn der gereifte Mann, der, wie er wohl wußte, nichts Bestechendes in seinem Aeußeren hatte, mißtrauisch und voll Angst auf einen Anderen blickte, der Jugend und eine schöne Gestalt in die Wagschale legen durfte? … War es ein Wunder, wenn er durch einen Blick, eine Versicherung, eine Handlung des jungen Mädchens sich einen Augenblick zu den kühnsten Hoffnungen hinreißen ließ, um im nächsten der tiefsten Muthlosigkeit zu verfallen, wenn er Jenen um sie bemüht sah? War es nicht ganz begreiflich, daß er fürchtete, die Jugend werde sich zur Jugend gesellen? … Nie hat wohl ein männliches Herz glühender die Erfüllung seiner Wünsche herbeigesehnt, als das seinige, nie aber auch mag feiger gezweifelt worden sein an einem Erfolg, als er in namenloser Qual gezweifelt hat! … Und als man ihm sagte, daß sein kleiner, vergötterter Liebling jenem Anderen angehören werde, da leerte er den Schmerzenskelch und sagte ‚ja‘, weil er wähnte, er handle in ihrem Sinn… Elisabeth, ich stand heute völlig vernichtet und verzweifelnd an der Schwelle des Pavillons. Sie wissen nicht, was es heißt, wenn der Schiffer alle seine besten Schätze, seine Kleinodien auf ein einziges Schiff häuft und dies vor seinen Augen versinkt… Soll ich Ihnen beschreiben, was ich empfand, als Sie so entschieden die Standeserhöhung von sich wiesen und somit eine Verbindung mit Hollfeld unmöglich machten? Soll ich Ihnen sagen, daß mich nur der Zustand meiner Schwester und die Rücksicht auf Sie selbst abhalten konnten, den ehrlosen Buben vor Ihren Augen zu züchtigen? … Er hat bereits Lindhof verlassen und wird nie wieder Ihren Weg kreuzen… Wollen Sie die Beleidigung vergessen, die Ihnen heute in meinem Hause widerfahren ist?“

Er hatte längst ihre beiden Hände ergriffen und hielt sie gegen seine Brust. Sie ließ es widerstandslos geschehen und bejahte mit bebenden Lippen seine Frage.

„Und wollen wir nicht überhaupt Alles vergessen, meine süße, kleine Goldelse, was sich zwischen Anfang und Schluß des Glückwunsches gedrängt hat? … Mein liebliches, blondes Mädchen, die Wonne meiner Augen, meine kleine Elisabeth Ferber steht wieder vor mir und sagt folgsam Wort für Wort nach, nicht wahr? … Der letzte Satz, der so grausam unterbrochen wurde, lautete?“

„Hier ist meine Hand als Bürge eines unaussprechlichen Glückes,“ stammelte Elisabeth.

„Ich will die Deinige sein im Leben und Sterben bis in alle Ewigkeit!“

Aber sie öffnete vergebens die Lippen, um die Worte, die er feierlich, in tiefster Bewegung sprach, zu wiederholen. Thränen stürzten aus ihren Augen, und sie schlang ihre Arme um den Hals dessen, der sie jubelnd an seine Brust zog…

„Nun flieht mein himmlischer Traum wieder von mir,“ sagte er mit einem Seufzer, als sich Elisabeth endlich leise aus seinen Armen wand. „Lasse mir wenigstens Deine Hand, Elisabeth; ich muß erst lernen, an mein Glück zu glauben. Wenn Du heute von mir gehst, werde ich in die Nacht der Zweifel zurückfallen. … Du bist Dir klar und fest bewußt, daß Du jetzt unwiderruflich mein bist? Du weißt doch, daß Du nun Vater und Mutter und die traute Heimath auf dem Berge verlassen mußt um meinetwillen?“

„Ja, das weiß ich und das will ich, Rudolph,“ sagte sie lächelnd, aber fest.

„Sei gesegnet, mein Liebling, für diese Worte… Aber, Du sollst die ganze Schwäche meines Unglaubens kennen lernen. War es nicht nur Erbarmen mit meiner grenzenlose Liebe, was Dich bewog, meiner ungestümen Werbung nachzugeben?“

„Nein, Rudolph, es war die Liebe, die in meinem Herzen lebt, seit ich – klingt das nicht seltsam – in Deine zürnenden Augen sah, seit ich Deine Stimme gehört hatte, wie sie menschliche Grausamkeit und Härte unerbittlich richtete. Und sie ist seit jenem Augenblick auch nie wieder von mir gewichen; sie ist im Gegentheil groß gewachsen und immer mächtiger geworden, trotz all’ meines Bestrebens, sie zu vernichten, trotz aller rauhen Worte, die sie oft genug tödtlich verwundeten.“

„Wer hat das gethan?“

„Du selbst, Du warst heftig, abstoßend gegen mich.“

„O Kind, das waren die Ausbrüche einer wahnsinnigen Eifersucht! Ich habe mich mein ganzes Leben hindurch in der Selbstbeherrschung geübt; aber jene schrecklichste aller Qualen ließ sich nicht hinter den Schild zwingen… Und deshalb wollte mein kleines Mädchen den Himmel zerstören, den sie mir jetzt eröffnet?“

„Deshalb nicht, das wäre auch ganz vergebliche Mühe gewesen, denn ein warmer Blick von Dir machte Alles wieder gut; aber es trat ein anderer hartnäckiger Streiter in die Schranken – das war der Verstand. Er hatte sich die allgemein verbreitete Sage von Deinem unglaublichen aristokratischen Hochmuth wacker eingelernt und wiederholte mir bei jeder Aufwallung meines Herzens eindringlich den Grund, weshalb Du die Hand einer fürstlichen Hofdame zurückgewiesen haben solltest.“

„Ah, die sechszehn Ahnen!“ rief Herr von Walde lächelnd. „Siehst Du, kleine Goldelse, das ist das Walten der Nemesis!“ fuhr er ernster fort. „Um Widerwärtigkeiten zu entgehen, griff ich ohne weitere Ueberlegung zu dem ersten, besten Mittel, das, wie ich jetzt merke, mich um ein Haar mein ganzes Lebensglück gekostet hätte… Ich verkehre sehr gern mit dem Fürsten von L.,

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